Die Wolken hängen tief über Moerzeke, einem 4700-Seelen-Dorf ins Ostflandern. Es schneit ganz leicht und der Wind wirkt bei 4 Grad besonders fies. Obwohl erst 18.00 Uhr, ist es schon etwas dunkel. Tristesse pur. Tatsächlich? Nein! Im und um das Lokal «De Vier Gekroonden» (Die vier Kronen) wird gesungen, getrunken und gefeiert. Grund dafür ist der Mann, den sie «King» nennen, also König: Stefan Küng (28). Der Thurgauer steht am Zapfhahn und gibt seinem Fanklub «KKF» (King Küng Freunde) einen aus. «Diese Jungs stehen seit sechs Jahren hinter mir. Egal, was passiert. Es ist nichts als selbstverständlich, dass ich ihnen auch mal einige Biere spendiere», so Küng.
Dennoch, die Szenerie wirkt surreal. Nur gerade zwei Tage vor einem seiner grossen Saisonziele, der Flandern-Rundfahrt, zeigt sich der erfolgreichste Schweizer Rad-Profi (22 Siege) locker wie selten. «Ich bin gut vorbereitet, zähle zu den Favoriten. Es passt also alles. Da liegt es schon auch drin, meinen Fanklub in dessen Stammlokal zu besuchen», so Küng.
Für Amelie Debolle (22) bedeutet dies die Welt. Sie plaudert mit ihrem Idol und lässt ihr Fanklub-Shirt mit dem Schweizerkreuz von Küng unterschreiben. «Es gibt viele belgische Velo-Stars. Aber so etwas würde keiner tun», sagt sie. Ihr Freund Pieter de Kuyper (23) nickt und meint: «Wir haben vereinbart, dass unser erstes Kind Stefan oder Stefanie heissen wird.»
Gigantische Puppe und ein eigenes Lied
So viel Verehrung macht Küng stolz, aber auch etwas verlegen. «Das ist typisch für Belgien. Hier ist der Radsport wie eine Religion. Und wir sind die Helden», sagt er. Doch warum hat der Groupama-FDJ-Leader überhaupt einen Fanklub in Ostflandern? Die Geschichte begann im Jahr 2016, also zu einer Zeit, als Küng weder international sehr bekannt noch erfolgreich war. «Das machte uns nichts aus. Wir sahen, welch grosses Kämpferherz er hatte. Und längst wissen wir auch, dass Stefan auch ein grosses Herz hat. Einen Belgier anfeuern können alle – wir feuern lieber einen Schweizer an», sagt Roel de Corte (29), ein Holländisch-Lehrer.
Gemeinsam mit seinem Kumpel Tom Vijt (24) verfolgt er Küngs Karriere Pedaltritt für Pedaltritt. Wenn immer möglich, sind sie am Strassenrand. «Damit uns Stefan von weitem erkennt, haben wir eine riesige Küng-Puppe gebaut», so Vijt. Während des Wartens verbringen sie die Zeit unter anderem damit, zu einem wabernden Bass ihr selbst komponiertes Küng-Lied zu johlen. Dort heisst es unter anderem: «Wo immer er fährt, wir sind da. Gebt uns ein Bier und ihm eine Banane. Es ist Liebe, ich bin ein Fan von Stefan.»
Die meisten der 160 Fanklub-Mitglieder werden am Sonntag bei der Flandern-Rundfahrt versuchen, Küng zum Sieg zu schreien. Doch was, wenn er scheitern sollte? Vijt: «Macht nichts. Stefan wird so oder so alles geben – das reicht uns.» So einfach kann es sein.