Stefan Bissegger (24) ist ein Mann der klaren Worte. «Ich will gewinnen», sagt er. Beim Auftakt zur Tour de Suisse in Einsiedeln gehört der Thurgauer zu den Favoriten. Die Konkurrenz ist gross: Stefan Küng (29), Remco Evenepoel (23, Be) und Filippo Ganna (26, It) werden dem Zeitfahr-Europameister das Leben schwermachen. Das ist Bissegger bewusst. «Aber am Ende schaue ich nur auf mich. Wenn ich meine Leistung abrufe, weiss ich, dass ich es schaffen kann.»
Bisseggers Selbstvertrauen hat durch den Handgelenkbruch, den er Ende März vor Paris-Roubaix im März erlitt, nicht gelitten. «Ich habe mich davon erholt und trainiere seit Wochen ohne Probleme», sagt er. Bei einem Training ganz in der Nähe seiner Wohnung in Felben-Wellhausen TG erklärt «Muni», wie Bissegger wegen seiner bulligen Statur genannt wird, die Geheimnisse des Zeitfahrens.
«Sehe nur meine Hände»
Entscheiden dabei ist der Körper, in Velokreisen oft Motor genannt. «Wenn man nicht die nötigen Wattzahlen drücken kann, bringt alles nichts», weiss Bissegger. Mindestens so wichtig, um im Kampf gegen die Uhr zu bestehen, ist die Aerodynamik. Das Motto ist dabei so oft wie möglich: Kopf runter! «Ich sehe die meiste Zeit nur meine Hände und den Velocomputer. Was tatsächlich vor mir liegt, weiss ich nicht.»
Bisseggers sportlicher Leiter von EF Education folgt ihm bei Wettkämpfen im Auto. Ohne seine Anweisungen via Funk wäre Bissegger chancenlos – er würde bei der leichtesten Kurve geradeaus fahren. Die Folgen wären fatal. «Das Zeitfahren ist ein Blindflug. Oft bin ich mit 50, 60 oder gar 70 km/h unterwegs. Würde der Funk ausfallen, müsste ich ständig den Kopf heben, um nach oben zu blicken – der Luftwiderstand wäre riesig.»
Er will kein Geschrei im Ohr
Bei stärkeren Richtungswechseln verlässt Bissegger seine Aeroposition – er stützt sich nicht mehr auf den Unterarmen ab, sondern hält Lenker inklusive der Bremsen mit den Händen – nur so kann er seine Maschine gut steuern. Sobald die Kurve vorbei ist, senkt er den Kopf wieder. «Obwohl ich das schon länger mache, braucht es manchmal viel Überwindung. Es geht auch immer darum, wie früh man vor einer Kurve öffnet. Es ist fast wie beim Tauchen als Kind – man fragt sich, wie lange man noch unter Wasser bleiben kann.»
Übrigens: Im Gegensatz zu anderen Fahrern will Bissegger vom sportlichen Leiter per Funk nicht motiviert werden. «Ich will kein Geschrei im Ohr, sondern klare Anweisungen bekomme und über die Zwischenzeiten informiert werden.» Sein Motto? Nach dem Zielstrich bleibt genügend Zeit, um laut zu werden – im besten Fall auf dem Podest.