Noemie Rüegg war 16 Jahre alt, als sich ihre Eltern trennten. Ein harter Schlag, ja. Aber aus der Bahn geriet die junge Frau, deren Talent auf dem Rad schon damals offensichtlich war, nicht. «Der Glauben hat mir dabei sehr geholfen. Es war Gottes Plan, dass wir als Familie in anderer Form weitermachen. So ist gekommen. Das hat mich, meinen Vater und meine zwei Brüder noch mehr zusammengeschweisst. Und auch das Verhältnis zu meiner Mutter blieb super.»
Rüegg sitzt auf einer Holzbank und blickt weiter über das Wehntal im Zürcher Unterland, als sie dies erzählt. Die 22-Jährige aus Oberweningen ist das grösste Schweizer Talent im Schweizer Frauen-Strassenradsport. «Wenn ich zu Hause bin, gehe ich am Abend oft spazieren und setze mich hierher, um nachzudenken. Aber auch, um abzuschalten. Ich geniesse diese Ruhe.»
Rüegg wird immer besser
Seit zwei Jahren ist Rüegg nur noch selten daheim. Mehr als 200 Tage verbringt sie auf Reisen. Trainingslager, Team-Events, Rennen – sie lebt ein Leben auf der Überholspur. Zwar wartet die Athletin des holländischen Teams Jumbo-Visma noch auf ihren ersten Profi-Sieg, doch sie wird immer besser – physisch, technisch und taktisch.
«Es dauert nicht mehr lange, bis ich für mich fahren kann», ist sie überzeugt. Der Hintergrund: Rüegg ist zwar nach wie vor oft Helferin, zeigt aber deutlich, dass sie zu mehr fähig wäre. Die Tour de Suisse (17.-20. Juni) lässt sie diesmal aus, weil ihr Programm bislang sehr happig war.
Sie trifft sich mit Bibelstudien-Gruppe
Der Glaube an Gott begleitet Rüegg auch heute – so wie schon früher als Teenager. «Er gibt mir Sicherheit und Gelassenheit. Ich weiss, dass immer jemand bei mir ist.» Was sich verändert hat, ist die Art, wie die Christin ihren Glauben praktiziert. Früher ging sie, wenn immer möglich, mit der Familie in die Chrischona Gemeinde Oberweningen, seit einem Jahr in die Hasli-Chile in Oberglatt.
Als Rad-Profi ist dies für Rüegg aber kaum noch möglich. «Ich verfolge die Messe entweder live auf Youtube oder höre sie später im Podcast.» Das ist aber nicht alles. Das 54-Kilo-Leichtgewicht trifft sich einmal pro Woche mittels Video-Konferenz mit anderen Velo-Profis zur Bibelstudien-Gruppe. «Meistens sind fünf bis sieben Leute dabei. Wir reden über unseren Glauben, erzählen aber auch manchmal einfach, was uns beschäftigt.»
«Ich bete nie für Siege»
Rüegg betet jeden Abend. «Aber nie für Siege, nur für Gesundheit», wie sie erklärt. Sie glaubt an Vorbestimmung und ist überzeugt, dass bereits feststeht, ob sie ein Rennen gewinnen wird oder nicht. «Ich tue als Rad-Profi jedenfalls, was es dafür braucht. Der Rest liegt nicht in meiner Hand.»
Bleibt die Frage: Betet sie auch während der Rennen? «Manchmal schon, vor allem dann, wenn ich extrem leide. Ich mache es im Stillen, nur für mich. Das gibt mir Kraft, um nicht aufzugeben.»