Auf einen Blick
- Stefan Küng verpasst erneut den WM-Titel
- Vergleiche mit Cancellara belasten Küng seit Beginn seiner Karriere
- Hat er vor der WM zu viel gemacht?
Es ist ein ganz besonderes Treffen, das am 22. Mai 2017 auf der offenen Rennbahn in Oerlikon stattfindet. Stefan Küng, die grosse Hoffnung des Schweizer Radsports, spricht für die Blick-Beilage der Tour de Suisse mit seinem grossen Idol Fabian Cancellara. Doch nicht nur das: Küng dreht auf dem 333-Meter-Oval sogar einige Runden mit Spartakus – auf einem Tandem. Gaudi pur. Doch beim Gespräch sagt Küng klipp und klar: «Es gibt keinen neuen Cancellara. Ich bin Stefan Küng und niemand anderer.»
Siebeneinhalb Jahre sind seither vergangen. Aus Küng ist ein guter, ja sogar sehr guter Rad-Profi geworden. Die allermeisten im Peloton hätten gerne das Palmarès, das der Thurgauer aufweist. Und dennoch konnte er die teils unrealistischen Hoffnungen in ihn nicht erfüllen. Auch jetzt, beim Zeitfahren in Zürich, hechelt er vergeblich seinem ersten WM-Titel hinterher. Rang 8, mehr nicht. Auf Gold fehlen ihm 1:48 Minuten und auch der Bronze-Platz ist weit entfernt.
«Seit Anfang meiner Karriere werde ich mit Cancellara verglichen», sagt Küng und spricht dessen vier WM-Zeitfahr-Titel an. «Er sagte jeweils vor den Rennen, dass er Gold gewinnen wolle. Und dann lieferte er ab. Aber ich bin halt anders. Ein Normalsterblicher und kein Überflieger», so Küng.
Es wirkt, als wolle sich Küng entschuldigen. Und tatsächlich sagt er: «Es tut mir leid für alle Zuschauer, die mitgefiebert und mich angefeuert haben.» Als er das in der Mixed Zone sagt, läuft hinter ihm auf einem Bildschirm die Siegerehrung: Sieger Remco Evenepoel (24, Be), der zweitplatzierte Filippo Ganna (28, It) und Bronze-Mann Edoardo Affini (28, It) lassen sich feiern. «Ich würde jetzt auch gerne den Zuschauern mit einer Medaille um den Hals zuwinken. Aber dafür war ich bei weitem nicht gut genug.»
«Als würden meine Beine einschlafen»
Dabei beginnt alles gut. Beim Start auf der offenen Rennbahn in Oerlikon, wo sich Küng und Cancellara vor sieben Jahren getroffen haben, huscht Küng trotz voller Konzentration ein Lächeln über die Lippen. «Stefan, Stefan!», skandieren die Fans. «Ich hatte Hühnerhaut», erzählt er. Dann, um 16:24 Uhr, stürzt sich Küng von der Rampe. Als er die erste Zwischenzeit nach 12,5 Kilometern erreicht, leuchtet Grün auf. Drei Fahrer sind kurz darauf schneller, aber der Fahrplan in Richtung Medaille stimmt – denken viele.
Doch dann, nach der Durchfahrt von Oetwil ZH, beginnt sein sportlicher Niedergang. In der Steigung wirkt King Küng wie ein Bettler, er kommt nicht auf Touren. «Es war brutal, ein einziger Kampf. Es fühlte sich so an, als würden meine Beine einschlafen.» Die Quittung oben auf der Kuppe ist happig: Zwischenrang 9. Küng spürt: Der Traum von Edelmetall ist ausgeträumt.
Zwar fliegt Küng in Richtung Zürichsee hinunter, doch auf der langen Gerade bis zum Sechseläutenplatz geht sein Ofen aus. Küng explodiert zwar nicht wie (fast) jeden Frühling der Zürcher Böögg an gleicher Stätte, fährt aber nur die 23. Abschnittszeit. «Es war eine Qual bis ins Ziel», gibt er zu.
Bissegger verliert mehr als vier Minuten
Wo letztlich das Problem lag? Küng mutmasst, dass er nach seinem Zeitfahr-Sieg bei der Vuelta wohl zu viel gemacht habe. «Ich war sehr gut in Form und wollte im Training noch eine Schippe drauflegen. Da fehlte mir vielleicht die Coolness, weil eine Heim-WM bevorstand. Es wäre wohl besser gewesen, dem Körper mehr Ruhe zu geben.»
Was aus Schweizer Sicht bleibt? Nicht viel. Der wegen einer Erkältung angeschlagene Stefan Bissegger (26) holt die Kohlen auch nicht aus dem Feuer, er verliert über vier Minuten und landet auf dem 29. Platz.
Küng sagt abschliessend: «Ich bin nicht am Boden zerstört, denn ich habe alles gegeben. Leider hat es nicht geklappt. Aber am nächsten Sonntag im Strassenrennen haben wir noch einmal eine Chance – ich stecke den Kopf sicher nicht in den Sand.»