Noch ist 2021 erst einige Tage alt und die Rad-Saison noch gar nicht richtig gestartet. Dennoch gibts bereits einen Knall: Marc Hirschi verlässt das Team DSM (ehemals Sunweb) trotz laufendem Vertrag per sofort. «Einvernehmlich», wie es in der Medienmitteilung der deutsch-holländischen Equipe heisst. Darüber kann man nur lachen. Oder weinen. Denn: Hirschi ist eines der grössten Talente im Rad-Zirkus, sein Potenzial ist riesig – im letzten Jahr gewann er eine Tour-Etappe, die Flèche Wallonne und wurde WM-Zweiter. Wer ihn unter Vertrag hat, darf sich glücklich schätzen – könnte man meinen.
Dreijahresvertrag beim Team UAE
Am Samstagmittag dann vermeldet das UAE Team Emirates, dass es Hirschi für drei Jahre unter Vertrag nimmt. Hirschi lässt in der Medienmitteilung verlauten: «Erstmal möchte ich mich bei meinem letzten Team für alles bedanken, was sie für mich getan haben in den vergangenen drei Jahren. Jetzt bin ich glücklich zu vermelden, dass ich dem UAE Team Emirates beitrete. Ich freue mich sehr über diesen Wechsel. Wir haben die gleichen Ziele, das UAE Team bewegt sich in die richtige Richtung und ist in den letzten Jahren gewachsen. Ich freue mich sehr darauf, von dieser Dynamik zu profitieren – sowohl fürs Team, als auch für die Entwicklung meiner Karriere. Jetzt konzentriere ich mich auf das Trainingslager, alle kennenzulernen und anzukommen. Ich werde zum ersten Mal die Vereinigten Arabischen Emirate besuchen und freue mich bereits, das Land zu entdecken.»
Was aber sind die Gründe für die Trennung von DSM? Die Parteien schweigen – auch Hirschi und dessen Manager Fabian Cancellara. Vieles deutet aber auf eine Eskalation von Meinungsverschiedenheiten hin. Das Hauptproblem dabei dürften die militärisch anmutenden Strukturen im Team DSM sein, denen sich Hirschi nicht mehr unterwerfen wollte. «Ich weiss mittlerweile, was mir gut tut und was nicht», sagte der Allrounder schon letzte Saison.
Damit widersprach er wohl diametral der Idee des erfolgreichen Team-Managers Iwan Spekenbrink. Dieser führt seine Fahrer an der kurzen Leine. Seine Regeln sind strikt und wer nicht spurt, bekommt dies zu spüren. Wie BLICK erfuhr, geht dies von Kleiderordnung bis hin zu Hausaufgaben, welche die Fahrer am Abend machen müssen. Dabei gilt es, die Strecke des nächsten Rennens praktisch auswendig zu lernen. Das wird am nächsten Morgen kontrolliert.
Instinktfahrer Hirschi braucht Freiheiten
Während sich Hirschi früher mit dem wissenschaftlich-technischen geprägten Ansatz von Sunweb identifizieren konnte, wurde er je länger, desto mehr mehr zum Rad-Freigeist. Das ist nicht negativ gemeint. Im Gegenteil: Hirschi ist ein Instinktfahrer, der dann am besten fährt, wenn er auf seinen Körper und Geist hört.
Das tut auch Hirschis Ex-Teamkollege Michael Matthews (30), der das Team DSM ebenfalls verlässt. Gegenüber der holländischen Zeitung Het Niewsblad berichtet er von Massagen, die eine halbe Stunde dauerten. Wollte er mal länger, ging das nicht. Warum? Weil es nicht im Reglement steht. Auch der Einsatz von Ketone – dem «Wundermittel», das nicht auf der Dopingliste steht – ist bei DSM kein Thema. Und Trainingslager auf eigene Faust planen? Nein, auch das geht nicht.
Letztlich wurde das Vögelchen Hirschi flügge. Es war an der Zeit, sein Ausbildungsteam zu verlassen. Er dürfte künftig eine Million Franken verdienen und die Freiheiten, die er möchte, erhalten.