Als der Spanier Juan Ayuso (20) um 16.08 Uhr das Ziel in La Punt erreicht und seinen Sieg feiert, spielt sich am Albula bereits ein Drama ab. Magnus Sheffield (21, USA) sei in der Abfahrt gestürzt, so die Information, die sich im Zielraum rasend schnell ausbreitet. Und auch den Schweizer Fahrer Gino Mäder (26) hats offenbar erwischt.
Dann sickern immer schlimmere Details durch. Von Mäders Team Bahrain-Victorius heisst es auf Blick-Anfrage, dass Mäder noch lange nach seinem Sturz versorgt werden musste. Mäder war nach einer langgezogenen Linkskurve von der Strasse abgekommen und lag danach regungslos in einem Bach, musste vor Ort gar reanimiert werden.
«Der Rennarzt war innert zwei Minuten an der Unfallstelle»
Von den Tour-de-Suisse-Verantwortlichen heisst es später, dass es bei Rennkilometer 197 «bei hohem Tempo» zum Unglück gekommen war. «Der Rennarzt war innert zwei Minuten an der Unfallstelle», erklärt Tour-Direktor Olivier Senn am Donnerstagabend. Mäder konnte mittlerweile mit der Rega ins Spital in Chur gebracht werden. Wie RSI schreibt, ist Mäders Zustand im Laufe des Abends stabil.
An der gleichen Stelle in der Abfahrt ist auch Magnus Sheffield (21) vom Team Ineos Grenadiers zu Fall gekommen. Der US-Amerikaner zog sich dabei aber weniger schwere Verletzungen zu, kam mit Prellungen und einer Gehirnerschütterung davon.
Warum die beiden von der Strasse abkamen, ist nicht bekannt. Bremsten sie zu spät? Hatten sie Materialprobleme? Oder brachte sie etwas anderes zu Fall? An der Unfallstelle sind noch lange nach dem Crash Polizisten bei der Spurensicherung. Anhand von Leitkegeln im Hang lässt sich erahnen, wo Mäder und Sheffield heruntergestürzt sind – Mäder flog wohl zusätzlich über eine Stützmauer und von da in den Bach. Um den Unfallhergang zu rekonstruieren, sucht die Kantonspolizei Graubünden nun Augenzeugen.
Evenepoel macht Tour-Verantwortlichen Vorwürfe
Während der Abfahrt wurden bei einigen Fahrern zeitweise fast 100 km/h gemessen. Belgiens Star Remco Evenepoel (23) hat den Crash von Magnus Sheffield miterlebt. Er erhebt Vorwürfe gegen die Tour-Organisation: «Das war keine schlaue Idee, das Ziel einer solchen Etappe nach einer Abfahrt zu platzieren. Aber man braucht offenbar immer noch mehr Spektakel. Es muss wohl einfach etwas passieren, damit man reagiert.»
Raphael Meyer, CEO von Tudor Pro Cycling, sagt: «Einige unserer Fahrer sind an der Unfallstelle vorbeigefahren. Sie sind geschockt. Wir sind auf dem Weg ins Hotel, im Teambus herrscht absolute Stille.» Einer dieser Fahrer ist Roland Thalmann (29). Im Interview mit SRF erklärt Thalmann, wie er an der Unfallstelle vorbeifuhr: «In einer langgezogenen Kurve standen zwei Räder, die nicht mehr so schön ausgesehen hatten. Beim Blick zurück sah ich dann, wie zwei Fahrer recht weit unten neben der Fahrbahn lagen. Das war sicher keine schöne Szene.»
Gesamt-Leader Skjelmose: «Ich bin traurig»
Zum Zeitpunkt des Unfalls bei der Albula-Abfahrt war die Spitzengruppe bereits kurz vor der Zielankunft in La Punt. Der Sieg ging schliesslich an Juan Ayuso (20) aus Spanien. Mattias Skjelmose (22) holte sich derweil das Leadertrikot zurück. Auch der Däne findet nach dem Etappen-Schluss klare Worte an die Adresse der Verantwortlichen: «Vielleicht war diese Abfahrt zum Abschluss nicht die beste Idee.»
Allerdings relativiert der Däne auch: «Jede Abfahrt ist unsicher, wenn man zu schnell unterwegs ist. Ich bin traurig.» So wie Evenepoel bezieht sich Skjelmose nur auf Sheffields Sturz, jenen von Mäder hat er nicht gesehen. Den Unfall Sheffields beschreibt er so: «Er kam von der Strasse ab, dann konnte er sein Velo nicht mehr kontrollieren. Es hätte noch viel schlimmer ausgehen können.»