Er ist 1.84 Meter gross und 70 Kilo schwer. Vor allem aber ist er der Mann der Stunde im Profi-Radsport: Biniam Girmay (22). Der Eritreer verblüffte in den ersten drei Giro-Etappen in Ungarn, wurde einmal Zweiter und einmal Vierter. «Das Ziel habe ich noch nicht erreicht. Ich will der erste Afrikaner sein, der eine Giro-Etappe gewinnt», sagt er in der L'Équipe. Gelegenheiten dazu wird der Mann, der sowohl bei mittelschweren Etappen als auch bei Massensprints ganz vorne mitmischen kann, noch viele. Die Italienrundfahrt endet am 29. Mai in Verona.
Wer nun meint, dass Girmays Giro-Traum realitätsfremd ist, täuscht sich. Bereits letztes Jahr holte er sich bei der WM in Belgien Silber im U23-Strassenrennen. Edelmetall an einer WM zu holen, schafften vor ihm nur Südafrikaner oder Tunesier. Und bei Gent-Wevelgem im vergangenen Frühling überzeugte Girmay alle – er gewann den mit Pflastersteinen gespickten Klassiker.
«Familie wichtiger als das Velo»
Vielleicht noch verblüffender war seine Antwort auf die Frage, wie er seine Chancen auf die Flandernrundfahrt eine Woche später sähe. Girmay winkte ab, er wollte zurück in die Heimat. «Meine Familie ist das Wichtigste, wichtiger als das Velo. Ich muss mich jetzt um sie kümmern, um mein Baby», sagte er. Girmay opferte seine sportlichen Chancen in einem der grossen Rad-Monumente zugunsten seiner Familie. Es brachte dem Familienvater grosse Sympathien ein.
In seiner Heimat Eritrea wird Girmay längst als Halbgott gefeiert. Und es scheint so, als würde sich Afrika aufmachen, nach der Leichtathletik endlich auch den Profi-Radsport zu erobern. Die Begeisterung ist jedenfalls riesig.
Ehe es soweit ist, wird noch Zeit vergehen. Aber die Richtung ist vorgegeben – 2025 findet erstmals überhaupt eine Rad-WM in Afrika statt. Genauer: In Ruanda. «Ich will ein Beispiel für alle Afrikaner sein», sagt Girmay. Er ist es längst.