«Wir wurden von Ogi gerettet»
Wie Collombin und Pousaz in Japan im Gefängnis landeten

Vor 50 Jahren gewann Roland Collombin bei den Spielen in Sapporo (Japan) Silber. Aber «die einzige Erinnerung», die er an dieses Ereignis hat, ist seine Zeit im Gefängnis mit Hockey-Spieler Jacques Pousaz.
Publiziert: 01.02.2022 um 13:16 Uhr
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Aktualisiert: 01.02.2022 um 13:29 Uhr
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Roland Collombin verbrachte 1972 in Sapporo verbrachte drei Stunden in einem japanischen Kerker.
Foto: Sven Thomann
Matthias Davet

Roland Collombin meint zu Beginn: «Es gibt keinen Grund, darüber Polemik zu betreiben.» Das trifft sich gut, denn das ist nicht das Ziel. Doch die Anekdote ist interessant: Wie kam ein Olympia-Zweiter ins Gefängnis und wie wurde er dann «von Adolf Ogi gerettet»?

1972 fanden die Olympischen Spiele in Sapporo in Japan statt. Roland Collombin, damals 21 Jahre alt, gewann in der Abfahrt die Silbermedaille. Der Walliser beschliesst danach, auszugehen und den Erfolg zu feiern. «Pousaz hat mich gehört, als ich den Trainer fragte», erklärt der Olympiazweite von damals heute gegenüber Blick. «Er hat gesagt: ‹Ich komme mit dir›. Das hat mich sehr gefreut.» Jacques Pousaz ist damals Schweizer Eishockey-Nationalspieler.

«Sie haben sich vor uns verneigt»

Die beiden gehen in eine japanische Bar und trinken «drei Bier». Von diesem Zeitpunkt an unterscheiden sich ihre Versionen der Ereignisse. Collombin meint: «Vielleicht haben wir ein bisschen zu laut gefeiert und die Polizei hat uns mitgenommen. Wenn wir das Gleiche in der Schweiz gemacht hätten, hätten wir wohl keine Probleme bekommen.»

Pousaz ist skeptischer, gibt aber zu, dass die Erinnerungen verschwommen sind: «Roland rannte an mir vorbei und sagte: ‹Hau ab›. Ich weiss nicht, was er getan hat, vielleicht hat er etwas kaputt gemacht. Heute sagt er mir, dass er sich nicht daran erinnert, aber ich glaube eher, dass er sich nicht daran erinnern will.»

Jedenfalls werden die beiden Olympioniken damals von der Polizei abgeführt. Trotz des vehementen Protests von Roland Collombin lassen die Ordnungskräfte die beiden Männer nicht frei. «Ich sagte ihnen auf englisch, dass ich ein olympischer Champion sei», so der Walliser. «Die Polizisten haben sich vor uns verneigt, aber sie haben uns festgehalten.»

Pousaz kam in eine Zelle

Danach gerieten die Ereignisse ausser Kontrolle. Grösstenteils wegen Jacques Pousaz, der wohl glaubte, er sei auf dem Eis. «Sie bestanden darauf, dass ich einen der Polizisten anremple», erinnert sich der Eishockeyspieler. «Daraufhin wurde ich in eine Art Zelle gesperrt. Roland war nie wirklich im Gefängnis.»

Wie haben sich die zwei Olympioniken hinter Gittern beschäftigt? «Wir konnten uns unterhalten, weil es ein kleines Dachfenster gab. Wenigstens das», sagt Collombin. «Wir haben uns gesagt, dass es nicht schlimm ist», bestätigt Pousaz.

«Aber es gab einen Moment, in dem wir nicht so viel zu lachen hatten», betont der Olympiazweite in der Abfahrt. «Es war in der Tat unmöglich, mit ihnen zu kommunizieren. Sie haben unsere Pässe gesehen und das olympische Dorf angerufen», fügt Pousaz hinzu.

Von Ogi gerettet

Dort wurde Adolf Ogi, der Leiter der Schweizer Delegation, alarmiert. «Ich lag im Bett, als ich plötzlich geweckt wurde und mir gesagt wurde, ich solle mich zum Eingang des Dorfes begeben. Zuerst dachte ich, dass mir jemand einen Streich spielen wollte. Dass dem nicht so war, merkte ich, als ich von meinem Zimmer aus die drei Polizeiautos Blaulicht sah», erinnert sich Ogi.

In Begleitung der Behörden begab er sich in einen Keller, wo er Roland Collombin und Jacques Pousaz entdeckte, die sich «nicht in ihrem besten Zustand» befanden. Ogi: «Was ich mir direkt gesagt habe, war, dass wir sie vor dem Morgengrauen herausholen müssen. Ich habe sie nicht angeschrien, ich war einfach nur konzentriert».

Zu seinem Glück befand sich während der Olympischen Spiele in Sapporo der Schweizer Konsul in Japan. «Ich habe ihn geweckt und ihm klar gemacht, dass Collombin eine Medaille geholt hat und Pousaz am nächsten Tag spielen muss.»

Medien haben geschwiegen

Der spätere Bundespräsident nutzte die Gelegenheit, um auch den Schweizer Arzt und den Trainer der Hockeymannschaft zu wecken. «Sie hatten einige zerrissene Kleider und Blut», sagt Ogi.

Der ehemalige technische Direktor des Schweizer Skiverbands möchte jedoch vor allem die Medienberichterstattung über dieses Ereignis hervorheben. «Es ist nichts publik geworden», freut er sich. «Es ist ein Wunder.»

In den Tagen und Wochen danach kamen jedoch Gerüchte auf. «Also habe ich alle Journalisten zusammengerufen, ihnen die Geschichte erzählt und ihnen gesagt, dass niemand darüber sprechen darf», so Ogi. «Ich möchte meinen Hut vor ihnen ziehen, denn es ist nichts herausgekommen». Nach den Spielen in Sapporo war in der Schweiz eine Euphorie ausgebrochen, die die Medienvertreter nicht verderben wollten.

Der Beginn einer Freundschaft

Und was ist mit den beiden Freunden? Wurden sie nach dieser Geschichte ermahnt? Collombin: «Ich hatte kein Problem damit. Ich hatte meinen Trainer um Erlaubnis gebeten, also wusste er es. Nicht, dass ich im Gefängnis landen würde, sondern dass ich feiern würde», lacht er. Auch Jacques Pousaz hatte nicht grosse Probleme. «Ich hatte eine Prellung an der Schulter, aber ich habe das Spiel am nächsten Tag um 8 Uhr morgens gespielt», erzählt er.

Diese Episode hat die beiden zusammen geschweisst. Pousaz: «Mit Roland entwickelte sich eine Freundschaft. Wir sehen uns regelmässig.»

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