Giulia Steingruber, wie frisch sind Sie in Tokio angekommen?
Ich durfte wie alle anderen Athleten auch in der Business Class fliegen. Das war sehr ein grossartiges Erlebnis und auch sehr angenehm. Der Flug war sehr erholsam – und ich konnte sogar ein bisschen schlafen. Wir sind dann allerdings mitten in der Nacht angekommen und schon ein paar Stunden später musste ich zur ersten Dopingkontrolle.
Corona ist ein grosses Thema in Tokio. Im Olympia-Dorf gibt es auch schon positive Athleten. Wie gross ist die Angst?
Ein bisschen Angst vor Corona habe ich schon, aber es ist jetzt halt so. Das muss man akzeptieren und das Beste daraus machen. Es hat mittlerweile sehr viele Athleten hier, da müssen wir sehr vorsichtig sein. Es gibt zum Glück viele Sicherheitsmassnahmen. Wir alle haben eine spezielle App, wo wir täglich unsere Temperatur eintragen und wir machen jeden Tag einen Spucktest. Überall hat es Desinfektionsmittel und wir laufen alle ständig mit Maske rum.
Und wie gefällt Ihnen die Halle?
Die Halle ist cool, ein schönes blau und sehr hell. Zuerst mussten wir aber zwei Tage warten, bis die Halle offen war – diese Zeit haben wir dann im Fitness verbracht. Jetzt können wir aber regelmässig trainieren. Der Boden jedoch ist superhart. Er katapultiert zwar sehr gut, fühlt sich aber an wie Beton.
Was heisst das für den lädierten Oberschenkel?
Bei der Landung knallt es heftig in die Beine. Deshalb trage ich aus Vorsicht auch immer noch ein Tape am Oberschenkel. Nicht mehr so fest wie an der EM in Basel. So bleibt alles kompakt und stabil – wichtig auch für den Kopf. So kann ich unbelastet in die Wettkämpfe.
Sie hatten vor der Heim-EM im April einen Bündelriss. Wie fühlt der Oberschenkel jetzt an?
Der Riss ist sicher verheilt, aber wenn die Belastung zu hoch ist, dann bin ich schnell verspannt an dieser Stelle. Ich muss schon aufpassen, dass es nicht alles zusammenzieht und sich der Muskel wieder verletzt. Aber ich bin jeden Tag in der Pflege und der Physiotherapeut massiert die Verspannungen raus.
Wie ist das Risikomanagement?
Ich will schon in der Qualifikation das volle Risiko nehmen. Das ist der Tag X für mich. Wenn ich während der Qualifikation nicht alles gebe, dann komme ich auch nicht in den Final.
Wann kommt der Moment, wo Sie auf die Gesundheit keine Rücksicht mehr nehmen?
Ich will aber auf keinen Fall meine Gesundheit riskieren. Das ist für mich ganz klar. Ich weiss, dass ich fit bin – und ich weiss, dass mein Oberschenkel hält. Die Verletzung ist nicht mehr präsent. Ich kann mich voll auf meinen Körper verlassen.
Und was ist dann alles möglich?
Ich hoffe natürlich, dass ich nicht nur im Sprung, sondern auch im Mehrkampf den Final erreichen kann – und ich denke mir, dass auch der Boden-Final drin liegt. Das wird zwar extrem schwierig, aber wenn eine saubere Übung hinlege, könnte es klappen.
Wie sieht es mit der Konkurrenz aus?
Die ist sehr stark, es ist unglaublich dieses Jahr. Vor allem beim Sprung hat es sehr viele Turnerinnen, die ihren Schwierigkeitsgrad noch einmal hochgeschraubt haben und so zwei super Ausführungen mit haben. Ein sehr enges Feld.
Wie realistisch ist eine Medaille?
Wenn alle Athletinnen ihr Programm sauber durchbringen, dann wird es sehr schwierig. Ich muss ein wenig darauf hoffen, dass es Stürze und Komplikationen gibt. Es kommt voll auf die Tagesform an. Aber die Chance ist da, weil ein paar Turnerinnen haben im Training schon Probleme gehabt.
Also Bronze wie in Rio 2016?
Das wäre wie Gold für mich. Wenn alles normal läuft gehen die ersten beiden Plätze an die USA.
Sie waren schon einmal in Tokio – 2011 an der WM.
Das ist immer noch sehr präsent, ich war im Sprung- und Mehrkampffinal. Und wir durften während diesen zwei Wochen immer wieder auch in die City. Tokio ist dadurch zu einer meiner Lieblingsstädte geworden. Schade, dass das diesmal nicht mehr möglich ist. Aber ich bin mega froh, bin ich wieder da, und das nach zehn Jahren.
Seither haben Sie 2012 und 2016 zwei Sommerspiele erlebt. Wie fest profitieren Sie davon nun in Tokio?
Das hilft mir sehr. Ich kann mich jetzt viel besser fokussieren. In London war ich bei der Ankunft im Olympiadorf so überwältigt von meinen Gefühlen. Die Reizüberflutung hatte zur Folge, dass ich mich nicht so gut konzentrieren konnten. Ich Rio war das dann schon einfacher. Und hier in Tokio habe ich voll den Fokus.