Mujinga und Ditaji Kambundji, die schnellsten Schwestern der Schweiz
«Wir sind die besten Freundinnen»

Mujinga Kambundji (29) ist der Star der Olympia-Delegation und die Fahnenträgerin. Schwester Ditaji (19) ist erstmals dabei und sammelt Erfahrungen. Die beiden über Familie, Olympia und ihre schnellen Gene.
Publiziert: 29.07.2021 um 21:27 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2021 um 06:30 Uhr
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Zwei Schwestern, ein Ziel: Mujinga Kambundji (l.) und Ditaji wollen bei Olympia glänzen.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Emanuel Gisi (Text) und Benjamin Soland (Foto)

Sie nehmen es gerne gemütlich, aber wenn es darauf ankommt, sind sie da: Die Kambundjis, die schnellste Familie der Schweiz. Hätte es dafür noch einen handfesten Beweis gebraucht, hat ihn Ditaji Kambundji (19) eindrucksvoll erbracht, als sie eine Woche vor Olympia-Beginn an der U20-EM mit immensem Vorsprung und mit Meisterschafts-Rekord zu Gold über 100 m Hürden gelaufen ist. In Tokio gibt die jüngste der vier Kambundji-Schwestern ihr Olympia-Debüt – zusammen mit ihrer grossen Schwester Mujinga (29), die bereits ihre dritten Spiele bestreitet. Während es für Ditaji darum geht, erste Erfahrungen zu sammeln, steht Mujinga, 2019 WM-Bronzemedaillengewinnerin über 200 m, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

Mujinga und Ditaji Kambundji, Sie sind Sprinterinnen, Ihre beiden Schwestern Kaluanda und Muswama ebenfalls. Wer ist eigentlich der Langsamste in der Familie?
Mujinga: (Überlegt) Der Jüngste, der kann noch nicht laufen.

Ditaji: (lacht) Stimmt, das Baby…

Mujinga: …der kleine Sohn von Kaluanda, unserer ältesten Schwester. Er ist definitiv der Langsamste, er schafft alleine noch keinen Meter.

Ditaji: Aber er kann immerhin schon den Kopf halten!

Sie sind seit kurzem also Tanten. Wie fühlt sich das an?
Mujinga: Es ist sehr schön, wir haben alle eine Riesenfreude. Weil wir als Familie alle so eng sind, ist es ein bisschen ein Baby für alle.

Die Kambundji-Familienbande ist legendär, an Grossanlässen sitzt auf der Tribüne eine bunte Truppe um Mutter Ruth und Vater Safuka, die Mujinga unterstützt. 2016 in Rio zum Beispiel.
Ditaji: Wir waren eine Riesenclique, 13 Leute, die alle zu Mujingas Unterstützung nach Brasilien gereist sind. Eltern, Verwandte, Freundinnen, Schwestern – 13 Menschen, die sonst wahrscheinlich in dieser Kombination nicht zusammen in die Ferien gehen würden. Aber es war so toll, immer lustig. Und ein bisschen chaotisch.

Chaotisch?
Ditaji:
Ja, verbringen Sie mal mit mit einer Gruppe von 13 Leuten im Alter von 14 bis 60 Jahren zwei Wochen in Rio!

Mujinga: …verteilt auf zwei Wohnungen, eine Stunde vom Stadion entfernt…

Ditaji: …und dann findet jemand, es sei jetzt richtig, mit der U-Bahn zu fahren, während jemand anders der Überzeugung ist, der Bus würde uns viel schneller ans Ziel bringen.

Wer ist denn der Chef dieser Gruppe?
Ditaji: Es gibt eben keinen Chef, das macht es manchmal kompliziert. Aber das ist schon gut so, es können schliesslich auch verschiedene Wege ans Ziel führen. Und verstehen Sie uns nicht falsch: Wir sind nicht zwei Wochen lang in einer riesigen 13er-Gruppe durch Rio gezogen. So war es dann doch nicht.

In Tokio müssen Sie auf diese Unterstützung verzichten.
Mujinga:
Es ist so schade. Letztes Jahr waren die Flüge schon gebucht. Es waren immer coole Reisen und es wären viele gekommen. Diesmal hätten sie sogar zwei Kambundjis anfeuern können!

Ditaji: Letztes Jahr wäre ich aber noch als Fan dabei gewesen. Ich hatte auch ein Flugticket, um als Zuschauerin im Stadion zu sein.

Mujinga: Stimmt. Aber wenn dieses Jahr Zuschauer zugelassen wären… Es ist nun halt mal so. Und als Athletin muss ich auch klar sagen, natürlich ist es das Wichtigste, dass die Wettkämpfe überhaupt stattfinden können.

Was fehlt Ihnen, wenn die Familie nicht dabei ist?
Mujinga:
Es bedeutet mir extrem viel, wenn Familie und Freunde kommen. Auch wenn ich sie im Stadion manchmal nicht sehen kann. Schon nur, weil ich weiss, dass sie da sind. Für mich – und jetzt für uns beide. Es ist auch im Nachhinein schöner, wenn man so ein Erlebnis zusammen geteilt hat. Es heisst dann «Weisch no denn, z Rio?», man erzählt nicht einfach, was man selber in Rio erlebt hat, während die anderen daheim waren. Es wird ein gemeinsames Ding.

Haben Sie an einem Grossanlass viel von Ihrer Familie?
Mujinga:
Vor dem Rennen nicht. Da ist man auf die Vorbereitung fokussiert. In Rio bin ich aber nach meinem Wettkampf noch ein paar Tage in der Stadt geblieben, da haben wir viel zusammen unternommen.

Dadurch, dass Sie beide an den Spielen teilnehmen, sind sie fast die einzigen, die in Tokio ein bisschen Familie dabei haben. Was bedeutet Ihnen das?
Mujinga:
Es bedeutet, dass wir beide eine unserer besten Freundinnen dabei haben. Dass wir dieses Erlebnis teilen können, ist sehr, sehr schön.

Ditaji: Es bedeutet mir extrem viel. Wir stehen uns trotz zehn Jahren Altersunterschied sehr nahe. Es ist ein riesiges Privileg, dass wir diese speziellen Spiele zusammen erleben.

Für Ditaji sind es die ersten Spiele. Sie, Mujinga, sind als alter Olympia-Fuchs schon zum dritten Mal dabei. Was kommt auf Ihre Schwester jetzt zu?
Mujinga:
Wenn ich das wüsste! Die Spiele dieses Jahr werden ja ganz anders. Was ich bei meinen ersten Spielen 2012 eindrücklich fand, war das Leben im olympischen Dorf. Man trifft Sportler aus anderen Sportarten, tauscht sich mit ihnen aus, man sieht sich immer wieder, feuert sie an. Man schliesst viele Bekanntschaften, das ist toll. Das wird dieses Jahr natürlich nicht im gleichen Mass der Fall sein. Das ganz Besondere, das Olympia-Feeling, wird wahrscheinlich ein bisschen fehlen. Der Wettkampf allein ist eigentlich ähnlich wie an einer WM. Nur etwas grösser.

Was heisst das?
Mujinga:
Die Abläufe sind aufwändiger. In Rio brauchten wir eine Stunde ins Stadion, in London hatten wir einen Call-Room von 45 Minuten. Es ist alles grösser, aber auch professioneller. Im Call-Room gibt es noch einen Startblock, wo man noch einmal Starts üben kann. Nach dem Lauf folgt die Mixed-Zone, wo du 15 Minuten brauchst, bis du einmal an den TV-Kameras, den Radios und den schreibenden Journalisten vorbei bist. Ich glaube, für Didi ist es cool, wenn sie es ohne grosse Ambitionen einfach mal sehen kann.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie an ihr Olympia-Debüt denken, Ditaji?
Ditaji:
Da ist vor allem viel Freude. Es wird eine unglaubliche Erfahrung. Ich freue mich vor allem auf die internationale Konkurrenz. Das wird schon krass. Ich habe ja 2020 erstmals voll auf die Hürden gesetzt.

Mujinga: (lacht) Da bist du das erste Mal überhaupt über die höheren Hürden gelaufen!

Ditaji: Stimmt. Und jetzt laufe ich gegen die stärksten aus der ganzen Welt.

Worauf kommt es im Olympia-Umfeld an?
Mujinga:
Ganz wichtig ist: Sie soll wahrnehmen, wo sie gerade ist und was das hier gerade bedeutet. Man ist manchmal so fokussiert, dass man gar nicht realisiert, was man erreicht hat. Manchmal arbeitet man auf etwas hin, dann erreicht man es und überlegt sich gar nicht, was alles hätte schief gehen können, was alles passen musste, dass es geklappt hat. Sie soll diesen Moment ruhig geniessen. In diesem Alter schon für die Olympischen Spiele qualifiziert, das ist eine Riesenleistung! Also: Bloss nicht vergessen, dass Olympia riesig Spass machen darf.

Olympia ist die grösste Bühne überhaupt. Ihr gemeinsamer Trainer Adrian Rothenbühler sagt, Sie hätten beide diese Kambundji-Fähigkeit, in grossen Momenten die beste Leistung zu bringen. Woher kommt das?
Mujinga:
Wir haben das einfach bei uns in der Familie. (lacht) Es sind halt die gleichen Gene. Bei mir war es immer so, dass ich es schaffe, noch einen draufzusetzen, wenn es zählt. Und bei Didi ist es jetzt genau gleich. Sie wusste ja, dass sie Ende Juni an den Schweizer Meisterschaften und in Luzern Spitzenleistungen abliefern muss, um sich für die Spiele zu qualifizieren. Und dann hat sie es gemacht. Vielleicht sieht es von aussen manchmal so aus, als ob da gar nicht viel dahinter stecken würde und im Training sind die Leistungen auch nicht immer so. Aber wir haben irgendwie diesen Schalter, den wir umlegen können. Wir funktionieren alle so.

Ditaji: Ich brauche diesen Druck schon.

Mujinga: In der Schule zum Beispiel…

Ditaji: …ich lerne viel besser, wenn ich weiss, dass die Prüfung an einem bestimmten Tag ist. Dann hast du keine andere Wahl, als jetzt zu lernen, sonst hast du ein Problem. Ich bin nicht die, die schon Wochen im Vorfeld in kleinen Häppchen immer ein bisschen etwas macht. Dafür kann ich dann dranbleiben, wenn es darauf ankommt.

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Ihre Mutter Ruth hat nach Mujingas WM-Bronze in Doha gesagt, dass Menschen, die ihr Leben so planen, dass sie im Alltag manchmal etwas knapp dran sind, auch in entscheidenden Momenten unter Druck nicht einbrechen. Erkennen Sie sich darin wieder?
Mujinga: Da ist wahrscheinlich etwas dran. Wir nehmen es auch gerne mal gemütlich, sagen schon mal: «Komm, das machen wir doch später.» Aber wir übernehmen die Verantwortung dann auch. Dann hast du für eine Aufgabe nur noch eine Stunde Zeit statt fünf – aber du machst es dann auch in einer. Man lernt, effizienter zu werden.

Ditaji: Das hilft in Drucksituationen auf jeden Fall.

Welchen Druck haben Sie in Tokio?
Mujinga: Der, den ich mir selber mache. Ich hoffe, es bleibt ein positiver Druck. Ich bin in guter Form, aber habe noch ein zwei Dinge, die ich korrigieren will. Ich hoffe, ich kann alles zeigen, das ich drauf habe.

Ditaji: Für mich geht es darum, Erfahrungen zu sammeln. Mein ganz grosses Ziel war die U20-Europameisterschaft (Dort gewann sie Gold, d. Red.). Tokio ist ein Traum, der wahr geworden ist.

Olympische Sommerspiele in Tokio

Die 32. Olympischen Sommerspiele finden vom 23. Juli bis 8. August 2021 in der japanischen Hauptstadt Tokio statt. Alle Infos zur Eröffnung, Übertragung, Wettkampfterminen, Disziplinen, Neuerungen, Austragungsstätten und Maskottchen erfahren Sie in der grossen Übersicht.

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