Vor gut einem Jahr wagte Sprinter William Reais (25) einen Neuanfang. Der Bündner verlegte seinen Lebensmittelpunkt nach Bern. In der Hauptstadt trainiert er in einer Gruppe mit den Kambundji-Schwestern. Seither fliegt Reais über die Tartanbahn. Im Frühjahr lief er an den Europameisterschaften über 200 Meter zu Bronze. «Ich fühle mich sehr gut. Endlich bin ich verletzungsfrei», sagte er vor wenigen Wochen zu Blick.
In den Jahren zuvor hatte er immer wieder mit körperlichen Problemen zu kämpfen. Manchmal tat etwas weh, aber niemand wusste warum. «Das war sehr frustrierend.» Inzwischen weiss Reais genau, was sein Körper braucht. Qualität geht vor Quantität. Einige Übungen absolviert er auf dem Rasen und ohne Nagelschuhe, um die Belastung für den Körper so gering wie möglich zu halten.
Müde – aus verschiedenen Gründen
Knapp einen Monat vor seinem ersten Olympia-Einsatz absolvierte der Churer einen besonderen «Härtetest». Der Sänger Remo Forrer (22) forderte ihn zu einem Sprintduell über 100 Meter heraus. Vor dem Start schraubten beide die Erwartungen herunter. «Wir sind müde», meinten sie schmunzelnd. Reais spürte noch die Läufe an den Schweizer Meisterschaften in den Beinen. Der Bündner gewann die Titel über 100 und 200 Meter. Forrer, der die Schweiz 2023 am ESC vertrat, erlebte anstrengende Tage am Open Air St. Gallen.
Dass Reais ein Wettkampftyp ist, bewies er wenige Minuten später. Nach einem lockeren Einlaufen liess er Forrer im ersten Lauf keine Chance. Den zweiten Sprint absolvierte der Leichtathlet mit einem Besen in beiden Händen. Wieder wurde Forrer Zweiter. Kurz vor der Ziellinie putzte Reais die Bahn seines Konkurrenten. Was für eine freche Showeinlage. «Das musste sein, sorry», sagt er lachend.
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Olympia-Abenteuer beginnt am Montag
Reais kam erst mit 16 Jahren zur Leichtathletik. Zuvor hatte er Fussball gespielt. Nun nähert sich der Spätstarter langsam, aber sicher der erweiterten Weltspitze. Eine zusätzliche Motivationsspritze verpasst ihm Forrer im letzten Lauf des Tages. Mit einer knappen Sekunde Vorsprung überquert der St. Galler die Ziellinie. «Jetzt kann ich nach Hause fahren», sagt Forrer lachend.
Reais nimmt die Niederlage sportlich: «Er ist wirklich schnell.» Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass Forrer beim Start 20 Meter Vorsprung hatte. Zudem wurde Reais erneut durch den Besen in seinen Fingern gebremst. «Zum Glück sind die Bedingungen in Paris für alle gleich», meint er mit einem Augenzwinkern. Am Montag beginnt für Reais das Olympia-Abenteuer über 200 Meter.