Möglicherweise ist Musa Suliman mit folgender Antwort schon sehr gut beschrieben. Auf die Frage, was er dazu sagt, dass es Athleten gibt, die sich im Olympischen Dorf in Paris über das Essen und die Betten beklagen, antwortet der 20-Jährige: «Das hier ist für mich wie ein Fünf-Sterne-Hotel.»
Musa Suliman strahlt. «Seit ich 2021 auf Schweizer Boden gelandet bin, bin ich ein glücklicher Mensch. Es gibt überhaupt keinen Grund, mich zu beklagen. Und dass ich jetzt in Paris an Olympia teilnehmen kann, übersteigt alle meine Träume.»
Wir treffen Musa im Olympischen Dorf, die Sonne scheint, an seiner Seite sitzt seine Trainerin Sandra Gasser (62), die frühere Spitzen-Mittelstreckenläuferin. Ihr Schützling startet am Mittwoch um 12.00 Uhr über 800 Meter. Seine persönliche Bestzeit ist mit 1:48,77 gemeldet. In seinem Vorlauf laufen sie im Schnitt 1:44er-Zeiten. Musa ist Teil des Flüchtlingsteams, das in Paris 37 Sportler an den Start schickt.
Im Sudan, wo Musa Suliman geboren ist, hatte er keine Träume, er konnte sich nicht vorstellen, wie sein Leben dereinst aussehen würde. «Es herrschte Bürgerkrieg, wir mussten von Ort zu Ort flüchten. Das Einzige, was für mich zählte, war etwas zu essen und zu trinken zu finden.» Irgendwann haben die Sulimans im Norden die Grenze zu Ägypten überschritten. In der Hoffnung auf Arbeit, ein bisschen Glück und Frieden. Sein Vater wurde krank, hatte Probleme mit den Augen, konnte seine Frau und die sechs Buben nicht mehr allein ernähren. «Also musste ich arbeiten gehen, obwohl ich noch ein Kind war. Ich schleppte Metall oder arbeitete in einem Restaurant, wo ich Gemüse rüstete.»
Durchs Fenster die grünen Wiesen gesehen
Organisiert vom Schweizer Migrationsamt, wurde er 2021 zusammen mit seiner Mutter und den Brüdern von Kairo via Istanbul nach Zürich geflogen. Bevor es mit dem Bus weiter nach Bern ging, mussten sie eine Woche in Quarantäne, es war Pandemie. «Ich habe die grünen Wiesen durchs Fenster gesehen, durfte aber nicht raus. Es war eine lange Woche.» Später landeten sie in Bern in einer Flüchtlingsunterkunft, heute wohnt er mit der Mutter und drei Brüdern in der Nähe von Ostermundigen, wo er eine Integrationsschule besucht.
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Musa versuchte es zuerst mit Fussball. «Ich war zwar schnell, aber technisch nicht wirklich gut», schmunzelt er. Als er einmal zu früh beim Training erschien, lief er sich auf der Leichtathletikbahn ein bisschen warm. «Da waren andere Läufer, ich ging ihr Tempo mit, das war einfach und danach fragten sie, ob ich bei ihnen mitmachen wollte.» So wechselte Musa vom Fussball bei Länggasse Bern zum STB, dem Leichtathletikklub der Stadt Bern. Die erste gestoppte Zeit, die er ohne jegliches Training über 800 Meter lief, waren zwei Minuten. «Da war ich müde, weil ich gerade von der Schulreise kam. Die zweite Zeit war dann bereits 1:55.»
Unter den Fittichen von Sandra Gasser
Musa und seine Trainerin Sandra Gasser haben sich die Bestzeiten der Konkurrenten in seinem Vorlauf angesehen. «Die sind alle schneller als ich. Aber mein Ziel ist es, nicht letzter zu werden in diesem Lauf.» Für ihn sei das nicht nur Spass, hier mitzulaufen. «Ich bin ehrgeizig, möchte meine Bestzeit unterbieten, mich stets verbessern, dass ich in vier Jahren in Los Angeles nicht mehr nur Mitläufer, sondern einer der Favoriten sein werde.»
An dieser Stelle greift Sandra Gasser ein: «Musa ist ein toller Kerl. Einer, der offen auf alle Menschen zugeht. Doch hat er spät mit dem Laufen angefangen. Es braucht Zeit, damit sein Körper sich an die Belastungen gewöhnt. Noch ist er zu verletzungsanfällig.» Musa trainiere sechsmal in der Woche, «normal sind elf, zwölf Einheiten.» Um ganz an die Spitze zu kommen, wo Musas Schweizer Flüchtlings-Kollege Dominic Lobalu (25) bereits ist, brauche es sehr viel. Lobalu kämpft in Paris um Medaillen. Musas Ziele sind andere, aber nicht weniger ambitiös. Am Mittwoch werden seine Mutter und zwei seiner Brüder im Stadion mitfiebern. Sie stolz zu machen, nach allem, was sie zusammen durchgemacht haben, das ist fast wie eine Medaille gewinnen. Vor allem ist es tief empfundenes Glück.