Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt. Ungefähr so lassen sich die vergangenen Wochen von Dominic Lobalu (25) zusammenfassen. Zuerst erhält er das Go des Leichtathletik-Weltverbands: Er darf an den Europameisterschaften in Rom für die Schweiz an den Start gehen. Dort holt er sensationell Gold über 10'000 und Bronze über 5000 Meter.
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Nur einen Tag später dann das «No» des Internationalen Olympischen Komitees (IOC): Dieses verweigert dem Flüchtling aus dem heutigen Südsudan den Start für die Schweiz in Paris. Denn er hat – noch – keinen roten Pass.
Nach dem Lauf bleibt er hier
Ganz auf die Spiele verzichten muss Lobalu jedoch trotzdem nicht. Das IOC lädt ihn ein, für das offizielle olympische Flüchtlingsteam zu starten – eine Einladung, die der 25-Jährige nach einiger Bedenkzeit annimmt. «Ich wäre sehr gern für die Schweiz angetreten. Leider ist dies nicht möglich», erzählt Lobalu in Luzern, wo er beim Meeting «Spitzen Leichtathletik Luzern» ein Vorbereitungsrennen auf Olympia läuft.
Er gibt sich sehr viel Mühe, die Fragen auf Deutsch zu beantworten, das ist ihm wichtig. «Der Traum von den Olympischen Spielen ist riesig. Nun werde ich für alle Flüchtlinge der Welt laufen – aber auch mit der Schweiz im Herzen.»
Dominic Lobalu sorgt in der internationalen Leichtathletikszene nicht erst seit seinem Sieg in der Diamond League 2022 für Furore. Fast noch mehr als seine Leistungen beeindruckt sein Lebenslauf. Der Langstreckler wird 1998 im damaligen Sudan geboren. Als Neunjähriger flieht er, nachdem seine Eltern ermordet worden sind, vor dem Bürgerkrieg nach Kenia. Schon als Teenager will Dominic Lobalu einfach nur laufen. In Kenia spielt er Fussball – und dort wird sein Lauftalent entdeckt.
Im Frühling 2019 nimmt Lobalu an einem von der Unicef organisierten Zehnkilometerlauf in Genf teil. Er setzt sich ab und bleibt in der Schweiz. Der talentierte Läufer gelangt über das Integrationszentrum Seeben in Ennetbühl SG zum LC Brühl St. Gallen und zu Laufcoach Markus Hagmann, der bis heute Lobalus Trainer ist – und inzwischen auch ein wunderbarer Freund.
In Abtwil SG findet Lobalu ein neues Zuhause. Im April 2023 stellt der nationale Leichtathletikverband Swiss Athletics den Antrag, Dominic Lobalu für seine neue Heimat starten zu lassen. Diesem wird stattgegeben. So darf der Europarekordhalter über 5000 und Landesmeister über 10'000 Meter für die Schweiz bei den Europameisterschaften in Rom antreten. Der Rest ist für die Geschichtsbücher.
«Der Final ist einfacher zu laufen»
Dass das IOC ihm in Paris den Start für die Schweiz verweigert, schmerzt. «Ich fühle mich hier zu Hause. Die Menschen hier haben mir geholfen. Hier bin ich sicher und frei, kann ich ich selbst sein. Die Schweiz ist meine neue Heimat geworden.» Zuwarten, bis er den roten Pass hat, ist dennoch keine Option. Die Olympischen Spiele finden nur alle vier Jahre statt. Es ist nicht zu ändern. Einen Plan B gibt es nicht. Deshalb nimmt Lobalu die Gelegenheit wahr, als Teil des offiziellen Flüchtlingsteams unter olympischer Flagge zu laufen. Er wird die 5000 Meter in Angriff nehmen, hat gut trainiert, fühlt sich fit.
«Am schwierigsten sind die Vorläufe», erzählt er. In den Vorläufen werde oft taktiert, es komme zu Stürzen, Läufer würden sich gegenseitig blockieren. «Der Final ist viel einfacher zu laufen.» Natürlich träumt Lobalu gross. Eine Olympiamedaille, das wärs. 5000 Meter bis zum Himmel, quasi. Doch einer wie er kommt von sehr viel weiter her. Und auch wenn bei den Spielen das Schweizerkreuz nur auf Lobalus Socken zu sehen sein wird: Es ist da, in seinem Herzen. Denn seinen Traum lebt Dominic Lobalu mit und in der Schweiz.