Netflix-Produzenten aufgepasst: Das Leben von Alexandre Dällenbach (33) ist einen Dokumentarfilm wert. Und das Beste ist: Es gibt ein Happy End.
Aber der Reihe nach. Blick trifft Alexandre Dällenbach in einem kleinen Café in Bern, zusammen mit seiner Frau Melanie. Das Paar entschuldigt sich mehrmals dafür, dass sie zu zweit kommen. aber man muss sie verstehen, da sie sonst schon so wenig Zeit miteinander verbringen. Melanie fliegt wenige Tage später wieder nach La Réunion, um ihre vier Kinder abzusetzen und Alexandres Mutter Chantal Dällenbach-Fontaine abzuholen, mit der sie nach Paris und zu den Olympischen Spielen fährt.
Mutter von Schicksalsschlag getroffen
Mama Chantal ist diejenige, die am Beginn der Geschichte des Fünfkämpfers steht. Ende 1992, als Alexandre erst ein Jahr alt ist, wird sie von einem Motorrad angefahren, eine Eisenstange durchschlägt ihren Schädel. Sie liegt drei Monate lang im Koma und als sie erwacht, gilt sie als zu 100 Prozent behindert. «Ich erinnere mich, dass es Momente gab, in denen sie mich nicht erkannte. Für ein Kind ist das wirklich hart», gesteht ihr Sohn.
Aber im Laufen findet Chantal Dällenbach-Fontaine eine Therapie. Sie erzielt schnell eine Reihe guter Ergebnisse und nimmt 1996 an den Olympischen Spielen in Atlanta teil. Von 2002 bis 2008 hält sie ausserdem den französischen Rekord im Marathonlauf. Der erfolgreiche Kampf seiner Mutter hilft auch Alexandre. Dank dieses Erbes, sagt der Franco-Schweizer, wolle er «jeden Tag eine bessere Version» von sich sein. Ansonsten erinnert er sich «vor allem an die Maskottchen, die mir meine Mutter mitgebracht hat.»
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«Die schwierigste Zeit meines Lebens»
Seither träumte Dällenbach selbst von den Olympischen Spielen. 2008 in Peking war er davon «noch Lichtjahre entfernt». Doch vier Jahre später war er der Qualifikation für London einen Schritt näher. Ein Skandal trübte jedoch seine Karriere, er wurde mit Testosteron-Doping erwischt und für zwei Jahre gesperrt. «Ich habe ein schwarzes Kapitel in meinem Leben aufgeschlagen», sagt Dällenbach heute ehrlich: «Es war die härteste Zeit meines Lebens und ich bin froh, dass ich durch diese Hölle gegangen bin.»
Unmittelbar nach seiner Suspendierung nahm er seine Karriere als Triathlet wieder auf. Der Stempel als Ex-Doper schwamm, radelte und lief nun aber immer mit. «Dann, im Dezember 2014, kehrte ich nach La Réunion zurück, weil mein Sohn Alix kurz vor der Geburt stand. Damals trainierte ich dreimal am Tag und dachte, meine Karriere für meinen Sohn beenden zu müssen oder mich in einer anderen Sportart neu zu erfinden.» Letzteres tut er – und wählt eine Sportart mit fünf statt drei Disziplinen.
Unverhofftes Comeback
Heute sagt er: «Es war das Beste, was mir je passiert ist. Es hat mir geholfen, ein besserer Mann, ein besserer Ehemann und ein besserer Vater zu sein.» Da er jedoch so spät mit seinem neuen Sport begonnen hatte, konnte sich der Schweizer nicht für die Spiele 2016 in Rio qualifizieren. So war Tokio 2021 sein Ziel. Doch als er in Bulgarien an einem Wettkampf teilnahm, erlitt er einen Atemstillstand. «Ich fand mich im Krankenwagen wieder, ohne meine Frau und meine Kinder, und ich dachte, ich würde sterben», erinnert er sich.
So trifft er eine harte Entscheidung und legt seine Karriere auf Eis. Dem Wunsch seiner Frau Melanie folgend eröffnet das Paar ein Restaurant auf La Réunion. «Ich habe meine Karriere aufgegeben und war an der Kasse, Barkeeper und habe die Karaoke-Abende organisiert.» Doch im Januar 2023 wird der Walliser vom italienischen Team im Modernen Fünfkampf kontaktiert, um sie in ein Trainingslager nach Portugal zu begleiten. «Ich fühlte mich wie ein Kind, das den Sport wiederentdeckt.»
Plötzlich lebt er seinen Olympia-Traum
Die Familie Dällenbach packt also erneut ihre Koffer und macht sich auf den Weg. Im März 2023 lässt sie sich in Italien nieder. Drei Monate später löst Alexandre ein Ticket für die Spiele in Paris. «In diesem Moment hatte ich das Gefühl, den schweren Felsbrocken auf meinen Schultern loszuwerden», sagt er. «Ich habe akzeptiert, mich selbst zu sein, mit meiner Vergangenheit, aber auch mit meiner Gegenwart und meiner Zukunft. Diese Doping-Geschichte von 2012 ist ein Segen, denn sie hat es mir ermöglicht, mit vielen Menschen ins Reine zu kommen.»
Ab diesem Donnerstag wird Dällenbach also bei seinen ersten Olympischen Spielen starten. Noch dazu im Heimatland seiner Mutter. «Für mich ist das zu Hause, obwohl ich genauso stolz darauf bin, Schweizer zu sein – und von La Réunion.»