Diese Geschichte um Kletter-Star Petra Klingler (31) ist eigentlich auch die Geschichte, dass selbst in der heutigen Zeit noch nicht alles immer übers Internet läuft. Sondern dass ein schlichtes Plakat an einer Hauswand ausreicht, damit jemand sein Glück findet. Das Plakat mit den Worten «Räume zu vermieten» hängt an einer unscheinbaren Scheunenwand mitten in Appenzell, als Klinglers Freund eines Tages daran vorbeikommt und die angegebene Telefonnummer wählt.
Es ist ein Volltreffer. Klingler sucht schon länger einen grossen Raum, um sich einen neuen Trainingsort einzurichten. «Wir haben zuvor schon mehrere andere Orte besichtigt», sagt die Boulder-Weltmeisterin von 2016, «doch entweder war die Raumhöhe zu tief oder die Miete zu hoch.»
Mehr Klettern
Die Eingangstür ist kaum zu finden
Diesmal passt alles. Auch weil der Besitzer, die Firma tanks.ch, begeistert von der Idee ist, eine Kletteranlage in seine Scheune zu integrieren. Monatelang wird gewerkelt und eingerichtet. Ein Crowdfunding deckt die Kosten. Nun öffnet Klingler für Blick die unscheinbare Tür an der Scheunenseite zu ihrem neuen Reich, wo sogleich eine schmale, selbst gezimmerte Treppe in den Untergrund führt.
Klinglers neues Glück liegt unterhalb der Erde. Beim Blick-Besuch ist es draussen drückend heiss, drinnen richtiggehend kühl. «Einer der Vorteile hier, selbst im Hochsommer merkt man nichts von der Hitze», sagt sie.
Die weiteren Vorteile: Ihre eigene, mehrere tausend Franken teure und im Winkel verstellbare Trainingswand fand im hohen Raum mit einer kleinen Anpassung tatsächlich Platz. Dazu kommt eine zweite Wand, ein hochmodernes, rund 5000 Franken teures «Moon-Board», auf das via App mit LED-Anzeigen verschiedene Routen in verschiedenen Schwierigkeitsstufen angezeigt werden können. Die Matten stammen aus einer Kletterhalle in St. Gallen, wo sie ausrangiert wurden.
Für ihre nächsten grossen Ziele, die Heim-WM in Bern im August und auch für Olympia 2024 in Paris, hat Klingler nun ihr eigenes Trainingsreich. Die meisten öffentlichen Kletterhallen bieten keine für den Profi wichtige Systemwand voller Griffe, da sie aufs breite Publikum eingestellt sind.
Auch weil es an geeigneten Trainingsmöglichkeiten fehlte, tat sich die Zürcherin lange schwer damit, fix zu ihrem Freund nach Appenzell zu ziehen. Doch nun radelt Klingler in zwei Minuten von daheim zu ihrer Halle.
Nun gibts wegen Klinglers Halle sogar einen Verein
«Manchmal bin ich schon morgens um 7 Uhr hier und spule in aller Ruhe alleine mein Programm ab», sagt sie. Denn dass sie alleine trainiert, ist mittlerweile nicht mehr selbstverständlich. In Appenzell existiert durch die Alpstein-Lage eine lebendige Kletterszene. Klingler: «Das Bedürfnis für eine Halle war grösser als gedacht.» Es ist so gross, dass rund um den Raum eine regelrechte Community entstanden ist und sogar ein Verein gegründet wurde. 20 Schlüssel für die versteckte Eingangstür sind im Verein mittlerweile im Umlauf.
Am meisten ist aber natürlich Klingler selber da. Sie will an der Heim-WM in Bern nach langer Verletzungszeit stark zurückkehren und sagt über Paris 2024, ihr letztes grosses Ziel vor dem Rücktritt: «Mit Olympia habe ich noch eine Rechnung offen.»