Am Tag nach seinem Scheitern im Halbfinal an den Olympischen Spielen in Tokio ist Jason Joseph (22) bereits zu Hause. Mit grossen Final-Hoffnungen in Japan an den Start gegangen, ist der Baselbieter Hürdensprinter dermassen am Boden zerstört, dass er die ursprünglich geplanten zwei Tage im olympischen Dorf nicht mehr anhängen mag.
Joseph will nur noch heim. Noch am selben Abend fliegt er ab. «Ich habe ihn in Zürich am Flughafen abgeholt», erinnert sich seine Mutter Susan Gross. «‹Mami, ich will keinen Ton über die Olympischen Spiele reden›, hat er mir gesagt. Und so ist das in der ersten Zeit geblieben.» Bis zum Meeting in La Chaux-de-Fonds Mitte August «hat er mir gerade mal guten Morgen und gute Nacht gesagt», erzählt Gross.
Wut, Enttäuschung und ein gebrochenes Herz
Und dann passiert in La Chaux-de-Fonds etwas: Joseph explodiert. Er wetzt in 13,12 Sekunden über die 110 m Hürden, pulverisiert seinen eigenen Schweizer Rekord um fast zwei Zehntel. Noch wichtiger: Er sprintet damit in die Weltspitze, ist die Nummer 10 in der Jahresweltbestenliste und schnellster Mann Europas. Zwei Wochen später bestätigt er den Sprung in internationale Sphären mit Platz 2 bei Athletissima in Lausanne.
Der Leistungssprung kommt zu spät für Olympia. Wer mit Joseph spricht, merkt aber rasch: Wahrscheinlich gibt es ihn nur dank Olympia und dem geplatzten Traum. «Es fühlt sich an wie ein gebrochenes Herz», sagt er immer noch über den Tokio-Frust. Und wie ein gebrochenes Herz einen Menschen nach einer Beziehung verändert, ist auch Joseph ein anderer, als er aus Japan zurückkommt. «Er war enttäuscht und wütend», sagt Trainerin Claudine Müller. Wütend darüber, das, was er im Training regelmässig schon geleistet hat, nicht im Ernstkampf auf die Bahn zu bekommen. «Im Training ist er seither extrem fokussiert.»
Keine Musik mehr, das Handy ist im Flugmodus
Heisst: Wo er früher eher angetrieben werden musste, muss ihn Müller heute bremsen. Er trainiert nicht mehr zu Musik, arbeitet seine Trainingsserien akribisch ab, das Handy ist auch in den Pausen tabu und im Moment auch ausserhalb der Einheiten meist im Flugmodus. «Ich konzentriere mich auf das Wesentliche», sagt er. «Ich habe gemerkt, dass ich noch einmal mehr investieren muss.» Müller sagt: «Er hat eine neue Einstellung zur Konzentration. Sich nur im Wettkampf konzentrieren, das reicht nicht für das, was er erreichen will.»
Neben Jason Joseph gehen am 8. und 9. September bei Weltklasse Zürich zwölf weitere Schweizer Leichtathletik-Stars an den Start. Die grössten Namen bekommen im Letzigrund die Gelegenheit zur Olympia-Finalrevanche: Ajla Del Ponte (100 m) und Mujinga Kambundji (100 m/200 m) treffen auf die jamaikanischen Überfliegerinnen Elaine Thompson-Herah und Shelly-Ann Fraser-Pryce. Insgesamt sind 17 Olympiasieger von Tokio in Zürich gemeldet. Auch Joseph bekommt es mit einem zu tun, er trifft über 110 m Hürden auf Olympiasieger Hansle Parchment und vier weitere Olympiafinal-Teilnehmer. Wie Lea Sprunger (400 m Hürden) haben sich Del Ponte, Kambundji und Joseph regulär für die Startplätze im Diamond-League-Final qualifiziert.
Die weiteren Schweizer: Ditaji Kambundji (100 m Hürden), Lore Hoffmann (800 m), Silvan Wicki (100 m), William Reais (200 m), Ricky Petrucciani (400 m), Jonas Raess (5000 m), Simon Ehammer (Weitsprung), Dominik Alberto (Stabhochsprung) und Simon Wieland (Speer) stehen am Donnerstag im Letzigrund oder am Mittwoch auf dem Sechseläutenplatz, wo mitten in der Stadt Zürich die Hochsprung-, Weitsprung-, Kugelstoss- und 5000-m-Finals ausgetragen werden, im Einsatz.
Neben Jason Joseph gehen am 8. und 9. September bei Weltklasse Zürich zwölf weitere Schweizer Leichtathletik-Stars an den Start. Die grössten Namen bekommen im Letzigrund die Gelegenheit zur Olympia-Finalrevanche: Ajla Del Ponte (100 m) und Mujinga Kambundji (100 m/200 m) treffen auf die jamaikanischen Überfliegerinnen Elaine Thompson-Herah und Shelly-Ann Fraser-Pryce. Insgesamt sind 17 Olympiasieger von Tokio in Zürich gemeldet. Auch Joseph bekommt es mit einem zu tun, er trifft über 110 m Hürden auf Olympiasieger Hansle Parchment und vier weitere Olympiafinal-Teilnehmer. Wie Lea Sprunger (400 m Hürden) haben sich Del Ponte, Kambundji und Joseph regulär für die Startplätze im Diamond-League-Final qualifiziert.
Die weiteren Schweizer: Ditaji Kambundji (100 m Hürden), Lore Hoffmann (800 m), Silvan Wicki (100 m), William Reais (200 m), Ricky Petrucciani (400 m), Jonas Raess (5000 m), Simon Ehammer (Weitsprung), Dominik Alberto (Stabhochsprung) und Simon Wieland (Speer) stehen am Donnerstag im Letzigrund oder am Mittwoch auf dem Sechseläutenplatz, wo mitten in der Stadt Zürich die Hochsprung-, Weitsprung-, Kugelstoss- und 5000-m-Finals ausgetragen werden, im Einsatz.
Die beiden Frauen in seinem Leben, Mutter und Trainerin, sind für Joseph Gold wert. «Sie hat ein unschlagbares Gespür für mich», sagt Joseph über seine Mutter, die für ihn auch Administration und PR-Arbeit erledigt. «Auch wenn sie gewisse sportliche Dinge nicht 1:1 nachvollziehen kann, weil sie nie Profi-Sportlerin war – sie durchschaut vieles sehr schnell.» Dass er ihr nach der Rückkehr so konsequent aus dem Weg ging, hat einen einfachen Grund: «Ich war so sauer, ich wollte sie nicht irgendwie schlecht behandeln oder vor den Kopf stossen. Sie wäre die Letzte, die das verdient hat.»
«Frauen betreuen Athleten oft ganzheitlicher»
Trainerin Müller ist es, die Joseph diesen Sommer wieder in die Spur bringt, nachdem er im Frühling bei Star-Coach Rana Reider in Florida zwar körperlich enorme Fortschritte gemacht hat, aber keinen Weg findet, die neue Power auf die Bahn zu bringen. Sie merkt rasch, dass Josephs Wut nach Olympia zum Treibstoff für neue Höchstleistungen werden kann. «Ich habe das Gefühl, dass ein männlicher Trainer damit anders umgegangen wäre», sagt Joseph. «Claudine hat schnell erkannt, dass ich das für mich brauche und dass ich das gut kanalisiere.» Woran das liegt? Gibt es so etwas wie weibliche Coaching-Intuition? «Ich würde es so nennen, ja», sagt Joseph.
Dass es neben Müller kaum Trainerinnen von Spitzenathleten gibt, überrascht ihn. «Ich profitiere extrem von ihr und ihrem Blick auf die Dinge. Manchmal sehen Frauen Dinge anders», sagt er. «Männliche Trainer sehen oft nur die nackte Leistung, nach meiner Erfahrung betreuen Frauen Athleten oft ganzheitlicher.» Das sei nicht nur in Einzelsportarten ein Gewinn. «Ich könnte mir vorstellen, dass das auch in Teamsportarten funktionieren könnte.»
Die letzten Monate schweissten Trainerin und Athlet zusammen
Im Fall von Joseph scheint es jedenfalls zu klappen. «Bei uns hat es schnell gepasst», sagt Müller, die mit dem 1,93-m-Riesen seit dessen Teenie-Jahren zusammenarbeitet. Die letzten schwierigen Monate haben das Duo weiter zusammengeschweisst. «Ich denke, er vertraut darauf, dass ich weiss, was er braucht.»
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Zwei Rennen hat Joseph in dieser Saison noch, um den neuen Fokus und das neue Leistungslevel weiter zu bestätigen. Die nächste Chance kommt bei Weltklasse Zürich am Donnerstag, wenn der Diamond-League-Final auf dem Programm steht. Er brennt schon jetzt. «Ich freue mich darauf, zu zeigen, was ich kann. Den Fans, aber auch mir selber.» Die Welt soll sehen, was er kann und welches Potenzial noch in ihm steckt. Am Donnerstag ebenfalls im Letzigrund-Stadion: Gross und Müller. Auch wenn die beiden wichtigsten Frauen in Josephs Sportlerleben schon lange wissen, was er eigentlich drauf hat. Auch dank ihnen.