Der Gips ist endlich weg und das Lächeln wieder zurück – noch nicht so unbeschwert wie vor dem Unfall, aber Mujinga Kambundji strahlt neue Zuversicht aus. «Ich bin einfach mega froh, dass ich wieder ohne Gips laufen darf und nicht mehr auf den Hometrainer muss. Im Moment macht alles Spass, was sich wieder wie ein normales Training anfühlt», sagt Kambundji. «Ich sehe wieder Licht am Ende des Tunnels.»
Vorbei ist die Zeit der Dunkelheit im Dezember, als sie nach dem Fussbruch einige Wochen lang an Krücken geht. «Es hat mich vor allem am Anfang tief getroffen und sehr mitgenommen.» In den ersten Tagen nach dem Befund schottet sie sich ab und meidet jeglichen Kontakt mit der Öffentlichkeit. «Ich wollte ausser mit meiner Familie mit niemandem darüber reden, sondern einfach nur für mich sein. Es brauchte Zeit, um den Frust zu verarbeiten», sagt Kambundji.
Sie erinnert sich noch einmal an den Fehltritt im Training, als sie bei einem Sprint versehentlich auf ein Markierungshütchen steht und mit dem Knöchel unglücklich umknickt. «Im ersten Augenblick habe ich mich sehr erschrocken, weil ich nicht wusste, was los war.»
Die Diagnose im Spital ist ein Schock. «Als ich vom Arzt den Gips bekam, wurde mir bewusst, dass ich die Hallensaison vergessen kann. Das ging mir sehr nah.»
Die negativen Gedanken hat sie mittlerweile beiseite geschoben. «Zuerst habe ich mir schon überlegt, ob man diesen Unfall hätte verhindern können. Aber ich gebe niemandem die Schuld, höchstens mir selber. Es war einfach Pech», sagt Kambundji und zuckt mit den Achseln.
Ein Jahr zum Vergessen
Die Suche nach der Leichtigkeit des Seins umtreibt die 28-jährige Bernerin schon seit geraumer Zeit. 2020 wird wegen der Corona-Pandemie und einer hartnäckigen Blessur am Oberschenkel ein Jahr zum Vergessen. «Ich habe nun eine extrem lange Phase ohne Wettkämpfe hinter mir. Vor allem der vergangene Sommer war sehr schwierig für mich. Ich hatte keinen einzigen guten Lauf. Und ich habe mich nie richtig gut gefühlt.»
Erst im Herbst klingt die Verletzung ab. Die WM-Bronzegewinnerin von 2019 startet mit frischem Mut in die Basisarbeit für den Aufbau und den Aufbruch ins verschobene Olympiajahr – mit dem Ziel, an den Sommerspielen in Tokio über die 100 und 200 Meter in Bestform aufzulaufen. «Ich freute mich unheimlich, endlich ohne Schmerzen zu laufen.»
Ende November folgt dann aber der Patzer mit der Pylone. Es vergehen über zwei Monate auf dem Pannenstreifen, ehe sie wieder zurück auf die Bahn findet – für die Überholspur muss sie sich noch gedulden, sagt der Berner Sportmediziner Jörg Dünkel. «Der Verlust ist leider hoch, wenn man so lange Pause macht.» Eine Prognose ist schwierig. «Es wird schon ein paar Wochen dauern, bis Mujinga das aufgeholt hat, was sie verloren hat», sagt Dünkel und rechnet mit mindestens vier Wochen, «bis sie wieder auf Vollspeed ist.»
Langsam und vorsichtig
Immer vorausgesetzt, dass keine Komplikationen mehr auftreten; aber Dünkel ist optimistisch. «Der Fuss hat sich bisher gut regeneriert, es gibt allerdings noch ein paar kleine funktionelle Probleme.»
Ein Blick auf das Röntgenbild verrät, dass sich an einer Stelle am Knöchel ein Rest von Flüssigkeit befindet. Die kleine Irritation hindert Kambundji daran, an die Grenze zu gehen. «Ich mache alles sehr langsam und vorsichtig», sagt Kambundji, «je nachdem wie stark der Schmerz ist, steuere ich die Belastung.»
Dank eines speziellen Schwebelaufbands, wo durch Überdruck das Körpergewicht um die Hälfte reduziert wird, kann sie den Puls unbeschwert in die Höhe schnellen lassen. «Das Gerät ist eine Entwicklung aus der Raumfahrt und fühlt sich so an, als ob man auf dem Mond laufen würde», erklärt Mediziner Dünkel. Ein Gefühl, das Kambundji für einen kurzen Moment wieder nach den Sternen greifen lässt.