Auf einen Blick
- Der Weltverband testet in Berlin eine Weitsprung-Revolution
- Annik Kälin, das Schweizer Aushängeschild, sagt das Meeting ab
- Die Revolution sorgt sogar beim Schweizer Verband für Skepsis
«Es tut mir sehr leid für meine Freunde und Familie, welche die Reise mit dem Zug nach Berlin mit Hotels bereits gebucht haben.» Das sagt Annik Kälin (24). Die Mehrkämpferin mit ausserordentlichen Weitsprung-Fähigkeiten zieht kurz vor dem Indoor-Meeting die Reissleine. Dabei hat sie am Sonntag in Paris mit neuem Schweizer Indoor-Rekord erst gerade gewonnen, wäre super in Form.
Was Kälin nervt: Der Weltverband pröbelt beim Weitsprung an der grossen Revolution. Mit einer 40 Zentimeter breiten Absprungzone statt des traditionellen Absprungbalkens. Innerhalb der Zone kann man neuerdings abheben, wo immer man will – mit modernster Technik wird die genaue Weite gemessen, statt wie bisher vom fixen Balken aus. Es soll mehr weite Sprünge und viel weniger Fehlversuche geben.
Diese Neuerung testet man nun auch in Berlin. «Sehr kurzfristig wurde das mitgeteilt», ärgert sich Kälin – und bläst das Meeting kurzerhand ab.
Genauso wie Italien-Star Larissa Iapichino. Am Wochenende wurde die Weitsprung-Revolution in Düsseldorf erstmals auf grosser Bühne getestet. Iapichino zog sich zurück, Kälin teilte die Nachricht der 22-Jährigen. Nun warnt die Bündnerin: «Es ist schade, dass es die Weitsprung-Familie teilt und sich die Athleten gegeneinander positionieren müssen.»
Sogar der Schweizer Verband ist skeptisch
Am heftigsten drückt es der zweifache Olympiasieger der Männer aus. Überflieger Miltiadis Tentoglou (26) warnte schon letztes Jahr: «Wenn das passiert, mache ich keinen Weitsprung mehr, sondern Dreisprung.» Der reflektierte Grieche erklärte: «Du musst rennen wie ein Sprinter und dann den Balken perfekt treffen – das ist der schwierige Teil. Der Sprung selber ist einfach. Wenn sie die ersten Elemente entfernen, wäre der Weitsprung der einfachste Event, den es gibt.» Ähnlich tönt die Kälin-Begründung.
Grosse Bedenken gibts in der Schweiz sogar von offizieller Seite. Philipp Bandi (47), Chef Leistungssport beim Verband, meint auf Blick-Anfrage: «Wir erachten es als wichtig und richtig, dass sich die Leichtathletik weiterentwickelt und in unserer Sportart neue Formate getestet werden. In diesem konkreten Fall sind wir jedoch skeptisch, ob die Wettkämpfe dadurch spannender und fairer werden. Aus unserer Sicht ist es unerlässlich, dass bei so einschneidenden Neuerungen die Meinungen der Athletinnen und Athleten berücksichtigt werden.»
Olympiasiegerin will es zumindest probieren
Wer ist denn überhaupt für die Revolution? Leicht optimistisch steht ihr Deutschlands Olympiasiegerin Malaika Mihambo (31) gegenüber. «Optimale Sprünge werden mit der Take-off-Zone auf jeden Fall wahrscheinlicher, weil wir uns nicht nur am Brett orientieren müssen, sondern alle Aspekte für einen optimalen Absprungpunkt nutzen können. Ich bin gerne bereit, das auszuprobieren», meinte sie.
Der Weltverband verfolgt die Idee, weil zuletzt bei Grossanlässen etwa ein Drittel der Sprünge ungültig war. Die Reform soll die Disziplin attraktiver machen. Die vehementen Reaktionen zeigen: Viele Stars sehen es um 180 Grad umgekehrt.