Dieser Mann wird von den Fans «No Time» genannt. Zeit für Blick nimmt sich der Schweizer Kampfsportler Volkan Oezdemir (34) dennoch. Der Freiburger Käfigkämpfer ist der erste Schweizer, der in die UFC, die amerikanische Organisation für Mixed Martial Arts, aufgenommen wurde.
Jetzt sind sie verheiratet. Was bedeutet ihnen die Ehe?
Volkan Oezdemir: Es ist eine Möglichkeit, meine Beziehung zu Bruna, meiner Frau, zu besiegeln. Es ist ein Versprechen, dass unsere Liebe echt und wahrhaftig ist. Wir beide bleiben ein Leben lang zusammen. Es ist auch ein Ausdruck, sich nach mehr Stabilität zu sehnen, wenn ich in die Zukunft blicke.
Erzählen Sie uns, wie Sie sich kennengelernt haben?
Es war im Jahr 2020, mitten in der Coronazeit. Wir kommen beide aus Freiburg und haben gemeinsame Freunde. Aufgrund der Gesundheitsmassnahmen war es nicht einfach, einen Ort zu finden, an dem man etwas trinken gehen konnte. Also gingen wir am See spazieren. Dann trafen wir uns wieder, einmal, zweimal ... Eigentlich ging alles sehr schnell. Sechs Monate später lebten wir zusammen.
War das nötig, weil Sie so oft zum Training und zu Kämpfen reisen mussten?
Nein, einfach weil es zwischen uns sehr gut lief. Ich wohnte in Neuenburg und sie übernachtete oft bei mir. Nach einer Weile dachten wir, dass es gut wäre, nach der Zahnbürste auch Kleidung mitzubringen.
Und wo sind die Klamotten von Ihnen zwei jetzt?
In Schweden. Dort befindet sich mein Trainingscamp. Bruna ist mir gefolgt. Sie war Arztsekretärin in der Schweiz und hat sich selbständig gemacht, indem sie eine GmbH für medizinisches Schreibwesen gründete. Sie hat die Dinge sehr klug angepackt und alle Schritte unserer Auswanderung vorausgesehen.
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Und was war das Verrückteste, was Sie für sie getan haben?
Es ist nicht das Verrückteste, aber vielleicht das Wichtigste. Für immer in die Schweiz zurückzukehren. Wir werden das bald tun.
Haben Sie Heimweh, weil Sie wegen des Sports so viel in der Welt herumreisen?
Unsere Freunde und unsere Familie sind hier. Das ist der Ort, wo wir unsere eigene Familie gründen wollen.
Sie wollen Eltern werden?
Ja, das ist sozusagen der nächste Schritt in unserer Ehe. Man kann es nicht erzwingen, aber ich würde gerne nächstes Jahr unser erstes Kind begrüssen. Allerdings müssen wir erst einmal in der Schweiz ein Zuhause finden.
Steigen sie als Vater weiterhin in den Käfig?
Ich habe nicht vor, aufzuhören. Das wird Abwesenheiten von daheim mit sich bringen, da es in der Schweiz das Niveau und die Infrastruktur, die es braucht, nicht gibt. Mein Netzwerk befindet sich nun in Schweden.
Was für ein Vater wären Sie gerne?
Ich möchte vor allem präsent sein. Ich bin ein sehr analytischer Mensch. Ich lese, denke und lerne sehr gerne. Ich informiere mich bereits viel über Erziehung. Im Moment sehe ich die Erziehung eines Kindes wie die eines Hundes.
Ich sehe, dass Ihre Frau vor Schreck die Augen aufreisst ...
(Lacht.) Alle reagieren gleich, wenn ich das sage. Ich möchte klarstellen, dass ich Kinder nicht mit Hunden vergleiche. Ich spreche davon, wie man sich verhalten muss, um sie zu erziehen. Beides erfordert Geduld und Ruhe. Man sollte sich nie von seinen Emotionen überwältigen lassen. So zumindest die Theorie.
Was hat Sie an Ihrem Vater beeindruckt und was würden Sie gerne bei Ihren Kindern wiederholen?
Beginnen wir mit meinem Stiefvater, der in mein Leben trat, als ich sieben, acht Jahre alt war. Er wollte nie meinen Vater ersetzen, war aber immer präsent. Für mich war er wie ein Lexikon. Wenn ich eine Frage hatte, beantwortete er sie. Er hat mir viel Allgemeinbildung vermittelt.
Und Ihr leiblicher Vater?
Er hat mich Rechtschaffenheit gelehrt und mir Grenzen aufgezeigt. Auch wenn er nicht immer körperlich anwesend war, war er es, der die Grenze zu den Dingen markierte, die man nicht tun sollte.
Sie sprechen nicht über Zärtlichkeit, obwohl sie wichtig ist. Haben Ihnen Ihr Vater und Ihr Stiefvater keine gegeben?
Von dieser Seite habe ich keine bekommen. Zärtlichkeit gab es vor allem bei meiner Mutter.
Werden Sie im Gegensatz dazu ein zärtlicher Vater sein?
Ich glaube schon. Ich bin ein zärtlicher Mensch (er wendet sich an seine Frau und lächelt).
Mit Verlaub: Diese Vorstellung fällt schwer, da bei ihnen das Image eines brutalen, fast blutrünstigen Kämpfers mitschwingt. Muss man zutiefst gewalttätig sein, um ein Weltklassekämpfer zu sein, wie Sie es sind?
Ich denke, man braucht eine gewisse dunkle Seite in sich, ja. Das bedeutet aber nicht, dass du zu Hause oder im Alltag gewalttätig sein musst, um das höchste Niveau zu erreichen. Aber es ist eine Geisteshaltung. Du musst im Kampf den Wunsch haben, diejenigen, die sich dir in den Weg stellen, zu zerquetschen. Das bedeutet konkret, dass du bereit sein musst, immer mehr zu leisten als die anderen und zwischen den Kämpfen von vorne anzufangen. Es ist die mentale Einstellung und deine Fähigkeit zur Selbstaufopferung, die darüber entscheiden, ob du die Oberhand gewinnst oder nicht.
Ihre Aufopferung war enorm. Bevor Sie die Liebe und den Erfolg fanden, hatten Sie Schulden und mussten sich durchschlagen. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Ende 2014 hätte ich fast alles aufgegeben. Ich hatte das MMA-Thema auf Eis gelegt. Ich war sogar kurzzeitig als Landschaftsgärtner tätig, da ich Rechnungen bezahlen musste. Aber ich habe nie aufgegeben. Es ist meine grosse Stärke, Opfer zu bringen.
Wie ist der Landschaftsgärtner zurück in den Käfig gekommen?
Ein Freund, mit dem ich immer trainiert habe, hat mich dazu gebracht, mit ihm in die USA zu fliegen. Dort kannst du dich als Sparringspartner für die Stars anwerben lassen. Wenn du das schaffst, wird dir alles bezahlt: deine Unterkunft, dein Essen und sogar dein Auto. So bin ich reingekommen. Der Rest ist bekannt: Ich gewann und gewann immer mehr und immer grössere Kämpfe. Bis mich die UFC 2017 verpflichtete.
Wie fühlen Sie sich in den Momenten vor Ihren Kämpfen?
Nichts. Da ist nur Leere.
Nicht einmal ein bisschen Angst?
Niemals.
Selbst der berühmte Boxer Mike Tyson sagte, dass er Angst hatte, bis er in den Ring stieg.
Das stimmt, er war sehr nervös und weinte.
Haben Sie schon einmal vor einem Kampf geweint?
Das war in einer ganz besonderen Situation. Ich war 18 Jahre alt und ein Typ hatte mir angeboten, ein paar Monate mit ihm in Thailand zu boxen. Ich habe die Tickets gekauft und bin losgefahren. Der Typ kam aber nie, ich war dort ganz allein. Ich trainierte drei Monate lang. Irgendwann landete ich an einem Festival im Norden des Landes. Dort wurde ich gefragt, ob ich kämpfen wolle. Ich sagte zu, ohne viel nachzudenken.
War es keine gute Idee?
Ich war fett, in einer wirklich schlechten körperlichen Verfassung. Aber ich war jung. Die Organisatoren stellten mir meinen Gegner vor und liessen mich noch am selben Abend kämpfen. Man muss wissen, dass es beim Thai-Boxen kein richtiges Aufwärmen gibt. Dein Körper wird mit einer wärmenden Mischung bedeckt, einer Paste, die wie Tigerbalsam aussieht. Das Gefühl war schrecklich! Mein ganzer Körper brannte und ich hatte schreckliche Schmerzen.
Deshalb haben Sie geweint?
Ja. Während ich zum Kampf geführt wurde, wollte ich einfach nur zusammenbrechen und aufgeben. Es war heiss, ich verstand kein Wort von dem, was die Leute zu mir sagten. Es war der Horror. Und dann war es wie bei Mike Tyson: Ich stieg in den Ring, und plötzlich war alles andere komplett ausgeblendet. Im Ring war ich wieder voll bei mir. Das war eine unglaubliche Erfahrung.
Wovon träumen Sie heute?
Vom Gürtel des UFC-Champions im Schwergewicht.
Gibt es privat neben dem Kinderwunsch weitere Träume?
Neben dem Gürtel hätte ich gerne ein eigenes Studio in Freiburg oder in der Nähe, um meinen Sport in der Schweiz weiterzuentwickeln. Ich würde mich sehr freuen, wenn meine Frau mit mir arbeiten könnte, wenn unsere Kinder vorbeikommen würden, um Hallo zu sagen, auf den Tatamis zu spielen und vielleicht auch zu trainieren. Ich sehe, wie sie sich amüsieren und Purzelbäume schlagen ... Ich möchte auch, dass wir uns in unserem Haus wohlfühlen, und zwar auf allen Ebenen. Ich denke langfristig.
Sie haben schon alles geplant!
Wenn man nicht weiss, wohin man will, trifft man nicht die richtigen Entscheidungen.