«Ich hab mir wegen meinen Schlägen die Hand gebrochen»
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Aus «Besti» wird eine Bestie!«Ich hab mir wegen meinen Schlägen die Hand gebrochen»

Schweizer MMA-Kämpferin Kicaj
Im Käfig wird aus «Besti» eine Bestie!

MMA ist brutal, umstritten – und eine Männerdomäne. Wäre da nicht Bestare «Besti» Kicaj. Die Zürcherin über Vorurteile, ihren Job bei der Spitex und warum ihr das Kämpfen das Leben gerettet hat.
Publiziert: 04.04.2021 um 11:51 Uhr
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Aktualisiert: 07.04.2021 um 17:52 Uhr
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Bestare Kicaj arbeitet zu 80 Prozent bei der Spitex.
Foto: Sven Thomann
Daniel Leu (Text) und Sven Thomann (Fotos)

Frau Kicaj, wie sind Sie privat?
Bestare Kicaj: Ich bin freundlich, empathisch, hilfsbereit und will niemandem schaden.

Und wie sind Sie im Käfig?
Sehr dominant und aggressiv. Ich will meine Gegnerin beherrschen und zerstören!

Im Privatleben «Besti», im Sport eine «Bestie»: Das ist Bestare «Besti» Kicaj. Die 33-jährige Zürcherin mit kosovarischen Wurzeln ist eine von nur zwei Frauen, die in der Schweiz professionell MMA ausüben.

MMA ist die Abkürzung für Mixed Martial Arts. Einer umstrittenen Vollkontakt-Kampfsportart, die Anfang der 90er-Jahre in den USA aufkam und längst auch nach Mitteleuropa übergeschwappt ist. Die Fights erinnern teilweise an Gladiatorenkämpfe im alten Rom. Gekämpft wird in einem Gitterkäfig. Vieles ist erlaubt. Auch wer am Boden liegt, darf noch getreten werden.

«Fussball ist gefährlicher»

Für viele ist das zu brutal. So auch für den verstorbenen legendären Box-Kommentator Werner Schneyder, der sagte, man nehme bei dieser Sportart «Krüppelhaftigkeit und Todesfolge in Kauf». Und Roland Zolliker, Präsident des Schweizerischen Karateverbands, erklärte einst: «Einen Gegner zu schlagen, der praktisch wehrlos ist, das gibt es nirgendwo. Das überschreitet eine Grenze.»

Frau Kicaj, ist MMA zu brutal?
Auf den ersten Blick sieht unsere Sportart schon sehr brutal aus. Aber es steckt so viel mehr dahinter. MMA ist ein Mix aus vielen Kampfsportarten. Die Technik, das Mentale, die Taktik – all das entscheidet über Sieg oder Niederlage. MMA sieht so einfach aus, ist es aber nicht.

Macht es Spass, jemanden zu schlagen, der bereits am Boden liegt?
Ich habe Spass daran, meine erlernten Skills auszuprobieren, auch wenn das bedeutet, eine am Boden liegende Gegnerin schlagen zu müssen. Das ist übrigens gar nicht so einfach, denn wer am Boden liegt, kann ja immer noch gewinnen. Deshalb muss man stets aufpassen.

Wie gefährlich ist MMA aus Ihrer Sicht?
Meiner Meinung nach sind Fussball und Skirennen gefährlicher, und es gibt in diesen Sportarten auch mehr Verletzte als bei uns. Klar sieht es unappetitlich aus, wenn jemand wegen eines Cuts stark blutet, schlimm ist das aber nicht. Ich zum Beispiel habe mir bis jetzt erst einmal die Hand gebrochen, wegen den eigenen Schlägen ...

Kicaj weiss, dass die Vorurteile gegenüber MMA-Kämpfern gross sind. Dass sie aus dem Kosovo stammt, verstärke diese noch zusätzlich. «Ich bekomme oft zu hören: ‹Typisch Balkan!› Das ist leider bei vielen der erste Reflex.» Bestare kam nur per Zufall im damaligen Jugoslawien zur Welt. Ihre Eltern lebten schon seit den 70er-Jahren in der Schweiz, doch als Bestare das Licht der Welt erblickte, waren sie grad im Heimaturlaub.

Später musste Bestare am eigenen Leib erfahren, was es heisst, «Ausländerin zu sein». «Ich war die Einzige in der ganzen Klasse», erinnert sie sich, «ich wurde oft ausgelacht, weil ich nicht so gut Deutsch konnte. Ich habe damals viel hinterfragt und stand irgendwie hilflos zwischen den beiden Kulturen.»

Vor 15'000 Zuschauern gekämpft

Bestare wuchs mit ihren beiden Brüdern und ihrer Schwester in Winterthur auf. «Ich war schon immer bubenhaft, schaute mir Kampffilme an und kämpfte mit meinen beiden Brüdern.» Mit acht Jahren fängt sie mit dem Karate-Sport an. Feiert erste Erfolge. Doch dann schlittert sie 2012 in eine grosse Krise.

Frau Kicaj, unter Ihrer Brust steht auf einem Tattoo auf Englisch geschrieben: «Wenn das Leben dich k. o. schlägt, stehe auf und kämpfe härter.» Wie kam es dazu?
2012 hatte ich eine Lebenskrise. Die Beziehung ging in die Brüche und ich rutschte in die Magersucht ab. Rückblickend kann man von einer Depression sprechen.

Wie kamen Sie da wieder raus?
Dank dem Kampfsport. Ich entdeckte damals MMA, das Training hat mir das Leben gerettet. Ich konnte auf einmal auf den Matten alles rauslassen, was sich angestaut hatte. Die schlechten Gedanken waren plötzlich weg und ich war wieder glücklich. Danach liess ich mir das Tattoo stechen.

Mittlerweile hat Kicaj sechs Profi-Kämpfe absolviert und vier davon gewonnen. Sie hat in Japan vor 15’000 Zuschauern gekämpft. In den USA und in Deutschland. Nur in der Schweiz noch nicht.

Doch auch hier boomt MMA. Mittlerweile bieten viele Gyms MMA an. Insgesamt soll es etwa 300 Kämpfer in der Schweiz geben. Der Bekannteste ist sicherlich Volkan Oezdemir, der 2018 sogar einen WM-Kampf bestreiten konnte (Niederlage gegen Daniel Cormier).

Für Kicaj ist MMA aber mehr als nur ein Sport. Das Training soll auch das Selbstvertrauen der Frauen stärken. Deshalb bot sie in Vor-Corona-Zeiten Kurse an.

Frau Kicaj, warum sollen Frauen MMA ausüben?
Das Bild ist immer noch in den Köpfen vieler, vor allem vieler Frauen: Wir können das nicht, wir sind zu schwach. Doch das ist Quatsch: Wir sind genauso stark!

Was tun Sie dagegen?
Viele Frauen trauen sich nicht. Ich versuche das zu ändern. Ich habe schon Frauen erlebt, die waren richtig down und konnten dann dank des Trainings viel Stärke und Selbstbewusstsein entwickeln.

Stärke – das braucht Kicaj auch in ihrem Alltag. Sie arbeitet zu 80 Prozent als Spitex-Angestellte, denn leben von MMA kann sie in der Schweiz nicht. Besucht sie mit einem blauen Auge ihre Patienten, muss sie sich oft erklären. «Nicht dass die denken, ich sei das Opfer häuslicher Gewalt.»

Viele ihrer Patienten können sich nicht vorstellen, was ihre Pflegerin im Käfig so alles treibt. «Die glauben nicht, dass ich zuschlagen kann, weil ich halt so fein wirke und freundlich bin.»

«Papa dachte, das sei krank»

Auch ihre Eltern hatten lange Zeit Mühe mit ihrer Leidenschaft. «Vor allem für den Papa war es am Anfang nicht einfach. Er dachte zuerst auch, das sei krank. Doch heute sind meine Eltern an den Kämpfen mit dabei. Doch sie haben immer noch Mühe damit. Es ist für sie schwierig, mich am Boden zu sehen und nicht helfen zu können.»

Frau Kicaj, hat Sie MMA zu einer stärkeren Persönlichkeit gemacht?
Ja, dank MMA konnte ich meine Probleme verarbeiten. Heute gehe ich Schwierigkeiten analytischer an. Ich frage mich, wie ich sie lösen kann, und lasse mich nicht mehr runterziehen deswegen.

Welchen Rat geben Sie Ihren Mitmenschen?
Egal, wie tief unten du bist, du musst dich da wieder rauskämpfen. Im Leben und im Käfig.

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