Das Trainingslager ist zu Ende. Oft ist es für die Spieler sehr physisch. Sie versuchen sich irgendwann bloss noch durchzumogeln. Waren Sie als Spieler auch so?
Raphael Wicky: Ich war gern im Trainingslager. Auch wenn ich Trainer hatte, unter denen man dreimal am Tag und sehr hart trainierte. Das Programm ist im Wesentlichen immer noch dasselbe: Aufstehen, Morgenessen, Trainieren, Essen, Schlafen, Trainieren, Essen, Schlafen. Das war doch paradiesisch. Ein schönes Mittagsschläfchen. Als Trainer ist das nicht mehr möglich …
Aber die Spieler sind nicht mehr dieselben wie vor zwanzig Jahren.
Die Generation ist eine andere. Die jungen Leute, egal ob Fussballer oder nicht. Der Umgangston ist anders. Man versucht den Spielern viel öfter zu erklären, warum man etwas macht, weil sie das erwarten. Aber sie wollen auch hart arbeiten.
Sie gelten als akribischer Arbeiter. Wäre die gutschweizerische Bezeichnung «Tüpflischiesser» eine Beleidigung für Sie?
Nein. Es ist ein Kompliment für einen Trainer, detailversessen zu sein.
Der respektvolle und anständige Mensch Raphael Wicky und YB, der Klub, dem solche Werte enorm wichtig sind – auf den ersten Blick passt das hervorragend zusammen.
Das denke ich auch. Beide Seiten haben in den Gesprächen schnell gemerkt, dass man ähnliche Vorstellungen von der Art und Weise hat, wie man arbeiten möchte. Sehr ambitioniert und bodenständig. Aber auch mit der nötigen Streitkultur. Als Trainer ist es mein Job, Entscheidungen zu treffen, weil ich mehr als elf Spieler habe. Da gehts nicht darum, es jedem recht zu machen. Ich muss auch hart und kann nicht immer fair sein.
Können Sie in der Garderobe auch mal «tun wie die Sau», richtig laut werden?
Selbstverständlich. Ich bin der Überzeugung, dass es im Fussball kein richtig oder falsch gibt. Es gibt Trainer, die sind immer emotional – und haben Erfolg. Und es gibt Trainer, die sind die Ruhe selbst – und haben auch Erfolg. Entscheidend sind für mich zwei Dinge: Sich selber und bestimmt zu sein. Wenn ich jeden Tag vor die Mannschaft stehen und herumschreien würde, würden die Spieler bald merken, dass ich ihnen etwas vormache.
Wann ist das der Fall, dass Wicky laut wird?
Wenn der Effort nicht da ist, die Leidenschaft, die Mentalität, die Bereitschaft – dann sind Emotionen seitens des Trainers unbedingt nötig.
Das bringt Sie auf die Palme.
Ja. Als Spieler hatte ich vor jedem Spiel ein Ziel: Mir nicht vorwerfen zu müssen, zu wenig gerannt zu sein oder gekämpft zu haben. Wenn ich spüre, dass ein Spieler das nicht macht, kanns laut werden.
Sie sind da der Chef. Wie schauts zu Hause aus, wer hat da die Hosen an: Ihre Frau Laura – oder Sie?
(Lacht.) Ich habe kein Problem zu sagen, dass sie in gewissen Bereichen das Sagen hat. Unsere Ehe funktioniert bislang sehr gut, indem wir vieles diskutieren. Gerade wenn es um die grossen Dinge geht, zum Beispiel in die Schweiz zu ziehen oder in die USA.
Kinder – ein Thema?
Ja, klar. Wir schauen, ob es passt, ob es klappt. Das hat man ja nicht immer nur in der eigenen Hand.
Sie sind 45. Da wirds langsam Zeit …
Wir sind offen für eine Familie.
Raphael Wicky kommt am 26. April 1977 in Leuggern AG auf die Welt, wächst aber im Oberwalliser Dorf Steg auf. Schon mit 16 beruft ihn Umberto Barberis von der U18 in die erste Mannschaft des FC Sion. Ein Jahr später ist er Nationalspieler und bringt es auf 75 Länderspiele mit einem Tor: gegen die Färöer. Mit 20 wechselt er in die Bundesliga zu Werder Bremen. Nach vier Saisons gehts für ein Jahr zu Atletico Madrid und dann zum HSV. Insgesamt kommt Wicky auf 218 Bundesliga-Einsätze. Nach einer Rückkehr zum FC Sion und einem Abstecher zu CD Chivas in die MLS beginnt die Trainerkarriere als Coach der U18 und dann der U21 des FCB. Es folgt die erste Mannschaft, wo er nach acht Meisterschaften in Folge den Titel verpasst, aber für die erfolgreichste Champions-League-Saison des FCB aller Zeiten mit dem Erreichen der Achtelfinals sorgt. Nach nur zwei Pflichtspielen in der neuen Saison muss er aber gehen. Er wird U17-Nati-Coach in den USA und dann Trainer bei Chicago Fire, bevor er im Sommer 2022 bei YB anheuert und in seiner ersten Saison gleich Meister wird. Wicky spricht viereinhalb Sprachen.
Raphael Wicky kommt am 26. April 1977 in Leuggern AG auf die Welt, wächst aber im Oberwalliser Dorf Steg auf. Schon mit 16 beruft ihn Umberto Barberis von der U18 in die erste Mannschaft des FC Sion. Ein Jahr später ist er Nationalspieler und bringt es auf 75 Länderspiele mit einem Tor: gegen die Färöer. Mit 20 wechselt er in die Bundesliga zu Werder Bremen. Nach vier Saisons gehts für ein Jahr zu Atletico Madrid und dann zum HSV. Insgesamt kommt Wicky auf 218 Bundesliga-Einsätze. Nach einer Rückkehr zum FC Sion und einem Abstecher zu CD Chivas in die MLS beginnt die Trainerkarriere als Coach der U18 und dann der U21 des FCB. Es folgt die erste Mannschaft, wo er nach acht Meisterschaften in Folge den Titel verpasst, aber für die erfolgreichste Champions-League-Saison des FCB aller Zeiten mit dem Erreichen der Achtelfinals sorgt. Nach nur zwei Pflichtspielen in der neuen Saison muss er aber gehen. Er wird U17-Nati-Coach in den USA und dann Trainer bei Chicago Fire, bevor er im Sommer 2022 bei YB anheuert und in seiner ersten Saison gleich Meister wird. Wicky spricht viereinhalb Sprachen.
Sie haben nach Ihrem Rauswurf bei Chicago Fire bewusst eine Auszeit genommen. War der Anfangspunkt des Neustarts im Juni 2022 von Beginn weg so vorgesehen?
Ja. Ende November habe ich das entschieden. Ich hatte Ende Jahr einige Kontakte, sagte mir aber, Winter und auch Frühling seien keine Zeitpunkte für eine Rückkehr. Es sei denn … Sie wissen schon.
Da gehört der Klub aus Ihrer Walliser Heimat, der FC Sion, sicher nicht dazu.
Nein.
Was haben Sie in den acht Monaten gemacht?
Die ersten fünf Monate war ich fast täglich auf der Intensivstation. Mein Vater war von Juli bis Ende Januar im Spital. Da war ich vor allem für die Familie da. Ab Mitte Februar ging ich für drei Monate zu Laura, die in Los Angeles arbeitete. Da hatte ich Zeit, mir Gedanken zu machen, mich mit anderen Trainern auszutauschen und gewisse Dinge anzuschauen.
Was hat Ihr Vater gehabt?
Er musste sich einer extrem schwierigen Herzoperation unterziehen, bei der es im Nachgang viele Komplikationen gab. Es ging ihm sehr schlecht. Erst seit Januar wissen wir, dass es in die richtige Richtung geht. Deshalb konnte ich auch während drei Monaten in die Staaten gehen.
Solch ein Timeout von einigen Monaten – ist das nicht fast alle paar Jahre Pflicht beim Stresslevel, den der Trainerjob mit sich bringt?
Man hat viel Druck. Man macht sich selber enorm viel Druck. Solche Pausen tun gut. Mir jedenfalls. Und man sieht es den Gesichtern der Trainer an, dass sie nach einigen Monaten Pause viel besser aussehen.
Und jetzt steht die nächste Drucksituation bei YB an: die Mission Rückeroberung des Meistertitels!
Es ist nicht der Zeitpunkt, grossartig Ziele bekannt zu geben. Wir haben das Kader ja erst seit dem Trainingscamp beisammen. Und es kann während der Transferzeit noch viel passieren. Aber dass es nicht die Ambition von YB sein kann, die Saison als Dritte zu beenden, ist ja klar. Wir wollen maximalen Erfolg.
Wie gross ist der Druck, den Titel zurückzuholen?
Der Erfolgsdruck ist in diesem Job immer da. Ich versuche, das so zu handhaben, dass ich mir sage: Ein Resultat kann ich nicht kontrollieren. Viele andere Dinge auch nicht. Also konzentriere ich mich auf die Dinge, die ich kontrollieren kann. So gelingt es mir, mich nicht vom Druck auffressen zu lassen und diesen in positive Energie umzuwandeln.
Das Business ist aber so verrückt, dass die Trainer sowohl bei Basel wie auch bei YB kurz nach der besten Champions-League-Kampagne der Klubgeschichte gefeuert wurden. Bei YB war das David Wagner. Bei Basel … Sie …
Ich will nicht auf Basel zurückschauen. Nur so viel: Präsident Bernhard Burgener und andere haben gesagt, dass es ein Fehler gewesen sei, mich zu entlassen. Ich finde, wir haben in Basel einen guten Job gemacht, auch wenn wir das Ziel Meister verpasst haben. Aber wir haben viele andere Ziele erreicht, die Verjüngung angestossen und für rund sechzig Millionen Franken Spieler verkauft.
Nach dem FCB folgte Ihre US-Zeit. Was haben Sie da mitgenommen?
Viel Erfahrung! Ich habe mich als Mensch und Trainer weiterentwickelt. Im Trainergeschäft lebt man von Erfahrungen und wird mit diesen besser. Deshalb sind viele Trainer im Alter besser, als sie es vor zwanzig Jahren waren. Und ich bin ganz sicher weiter als vor fünf Jahren.
Was hat Sie ausser dem Sport in diesem verrückten Land geprägt?
Ich habe die ganze Covid-Zeit dort verbracht, was diese zwei Jahre sehr schwierig gemacht hat. Mit Laura – sie ist Kalifornierin – diskutiere ich viele andere Dinge, die in Amerika abgehen. Wir waren in Chicago, als die Präsidentschaftswahlen waren. Das war sehr spannend.
Und dann gibt es auch Dinge wie den vorherigen Präsidenten, der wiedergewählt werden könnte, oder den Entscheid des Supreme Courts gegen die Abtreibung …
Es gibt neben den tollen Sachen in diesem Land in der Tat Dinge, die man nicht versteht.
Am Dienstag spielt YB gegen Dynamo Kiew. Welche Bedeutung hat dieses Spiel im Lichte des Laufs der Dinge auf der Welt?
Mir geht es wohl wie den meisten Menschen: Man macht sich viele Gedanken über diesen fürchterlichen Krieg. Auf unser Testspiel bezogen, denke ich mir: Was macht Dynamo? Sind die Spieler seit Monaten weg von zu Hause und touren nun? Man fühlt mit ihnen mit, das ist klar. Und wir freuen uns auf sie. Aber fern der politischen Komponente: Für uns ist es ein Freundschaftsspiel, mit dem wir uns auf die Saison vorbereiten.