Über Doppeladler und Serbien
Ex-Nati-Captain Lichtsteiner spricht Klartext

Bereits vor vier Jahren kams an der WM zum Gruppenduell Schweiz gegen Serbien. Damals mittendrin: Stephan Lichtsteiner. Vor der Neuauflage blickt der Ex-Nati-Captain, der heute die U15 des FC Basel trainiert, nochmals zurück.
Publiziert: 30.11.2022 um 23:02 Uhr
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Aktualisiert: 02.12.2022 um 13:43 Uhr
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Stephan Lichtsteiner ist seit 2020 Fussball-Rentner.
Foto: TOTO MARTI
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Sebastian WendelReporter Fussball

Blick: Qualifiziert sich die Nati am Freitag für den Achtelfinal?
Stephan Lichtsteiner: Ja!

Was macht Sie so sicher?
Die Schweiz hat die besseren Spieler und den besseren Trainer als Serbien. Die Jungs sind gut drauf und die meisten wissen von 2018, was gegen Serbien auf sie zukommt. Die Partie wird vor allem Kopfsache, da sehe ich uns im Vorteil.

Soll die Nati auf Sieg spielen oder auf Unentschieden in der Hoffnung, dass Kamerun nicht gegen Brasilien gewinnt?
Auf Unentschieden gehen ist immer riskant. Aber den Serben ins offene Messer laufen wäre auch falsch. Sie haben 90 Minuten Zeit und wissen jederzeit, was im Parallelspiel läuft. Mit Murat Yakin haben wir einen cleveren Trainer, der weiss, wie er in welcher Situation reagieren muss.

Das ist Stephan Lichtsteiner

Der Innerschweizer schaffte Anfang der Nullerjahre bei GC den Durchbruch als Profi, via Lille und Lazio Rom landete er 2011 bei Juventus Turin und wurde mit der «alten Dame» sieben Mal in Folge italienischer Meister. Für die Nati bestritt der Rechtsverteidiger 108 Einsätze, ab 2016 als Captain. Nach Abstechern zu Arsenal London und zum FC Augsburg beendete er 2020 im Alter von 36 Jahren seine Karriere. Seit Sommer trainiert Lichtsteiner die U15 des FC Basel, zudem ist er Verwaltungsrat beim HC Lugano.

Der Innerschweizer schaffte Anfang der Nullerjahre bei GC den Durchbruch als Profi, via Lille und Lazio Rom landete er 2011 bei Juventus Turin und wurde mit der «alten Dame» sieben Mal in Folge italienischer Meister. Für die Nati bestritt der Rechtsverteidiger 108 Einsätze, ab 2016 als Captain. Nach Abstechern zu Arsenal London und zum FC Augsburg beendete er 2020 im Alter von 36 Jahren seine Karriere. Seit Sommer trainiert Lichtsteiner die U15 des FC Basel, zudem ist er Verwaltungsrat beim HC Lugano.

Granit Xhaka hat versprochen, auf politische Gesten zu verzichten. Der Verband hat ein Doppeladler-Verbot ausgesprochen. Das tönt, als wäre 2018 alles schief gelaufen ...
Granit und Xherdan mussten vor vier Jahren im Vorfeld und während des Spiels viele Anfeindungen unter der Gürtellinie aushalten. Es war aus menschlicher Sicht verständlich, dass sie sich zum Doppeladler haben hinreissen lassen und so für ihre zweite Heimat neben der Schweiz gejubelt haben. Was danach auf sie einprasselte, will niemand ein zweites Mal erleben.

Aber es tönt, als würden Xhaka und Co. ihr Handeln bereuen. Gilt das für Sie auch? Sie haben 2018 ebenfalls die Hände zum Doppeladler geformt.
Ich war immer solidarisch zu meinen Mitspielern und kein Schönwetter-Captain, der sich nicht die Finger verbrennen will. Das gehört zum Sport und zur Freundschaft innerhalb eines Teams. Wir lagen damals zur Pause dank Yann Sommer nur 0:1 hinten, in der Kabine waren alle unzufrieden und es herrschte viel Unruhe. Als uns dann die Wende gelang, war das schon aus sportlicher Sicht unglaublich emotional. Die hitzige Atmosphäre auf den Rängen hat dann für den Rest gesorgt. Rückblickend war es vielleicht ein Zacken zu viel, aber als Fehler würde ich es bis heute nicht bezeichnen.

Wie schwierig ist es für die Spieler, die politische Brisanz der Partie auszublenden?
Die beste Antwort auf alles kann die Nati mit einem Sieg auf dem Platz geben. Darauf lag schon 2018 unser Fokus. Die Jungs sind erfahren und intelligent und haben aus der Vergangenheit gelernt. Aber klar, die Nebenschauplätze komplett ausblenden funktioniert nicht. Das gehört dazu und das muss ein Fussballer auch aushalten können, ohne dass es seine Leistung beeinträchtigt.

Ein anderer Nebenschauplatz war vor dem ersten Spiel die «One Love»-Captainbinde. Hätten Sie sich von den Verbänden und Captains mehr Rückgrat gewünscht, statt vor der Fifa einzuknicken?
In Katar gelten Ansichten und Gesetze, die wir nicht teilen, aber respektieren sollten. Was nicht heisst, dass man sie gutheissen muss. Sonst müsste man von Anfang an konsequent sein und gar nicht an der WM teilnehmen. In einem fremden Land für die eigenen Ansichten einstehen, ist schwierig und kann zu Spaltung führen. Und davon haben wir mit Corona und dem Ukraine-Krieg auf der Welt momentan leider schon genug. Eine WM soll sportlich für Schlagzeilen sorgen und nicht für gesellschaftliche und politische Konflikte genutzt werden.

Also reden wir über Sportliches: Mit den meisten Spielern der Nati haben Sie noch zusammengespielt. Juckt es Sie noch in den Füssen, wenn Sie die Mannschaft spielen sehen?
Bei der EM vor einem Jahr war es schwierig, weil dieses Turnier eigentlich 2020 stattfinden und zum krönenden Abschluss meiner Karriere werden sollte. Dann kam Corona und vermasselte die Pläne. Mittlerweile schalte ich ein, wenn der Zeitplan es zulässt. Vom Kamerun-Spiel habe ich die erste Halbzeit verpasst, weil gleichzeitig Besuchstag in der Schule meines Sohnes war, was natürlich vorging. Das Spiel gegen Serbien schauen wir als Familie, ausser vielleicht meine Tochter, sie interessiert sich weniger für Fussball.

0:1 verloren, kein Schuss aufs Tor. Hätten Sie sich gegen Brasilien eine mutigere Nati gewünscht?
Abgesehen von der Statistik hatten wir schon zwei, drei gefährliche Offensivaktionen, die zu einem Tor hätten führen können. Auch Brasilien hatte nicht viele Chancen. Ich denke vor dem TV immer noch wie ein Spieler und so gesehen hat die Schweiz ein starkes Spiel gegen den Topfavoriten abgeliefert. Am Ende hat eine Szene entschieden, die überragend von Brasilien gespielt war, das Gegentor kann man nicht verteidigen. Aus dem Spiel kann die Nati viel Selbstvertrauen mitnehmen für den Final gegen Serbien.

Sehen wir aktuell die beste Nati aller Zeiten?
Solche Vergleiche sind ein Medien-Ding und letztlich müssig. Wir sind seit vielen Jahren konstant auf hohem Niveau, leider haben die Details lange gegen uns entschieden. 2006 waren die Viertelfinals im Penaltyschiessen gegen die Ukraine schon zum Greifen nah. 2014 verloren wir in der Verlängerung gegen Argentinien, 2016 im Penaltyschiessen gegen Polen. Gegen Schweden 2018 wären wir gut genug für einen Sieg gewesen, haben es dann einfach nicht auf den Platz gebracht. Dass vor einem Jahr gegen Frankreich das Glück mal auf die Schweizer Seite fällt, war überfällig.

Murat Yakin hat die Nati variabler als unter Vorgänger Vladimir Petkovic gemacht. Hat er sie auch besser gemacht?
Muri hatte keine einfache Aufgabe, das Team nach der Viertelfinal-Quali an der EM 2021 zu übernehmen und auf dieser Flughöhe mit den gestiegenen Ansprüchen weiterzuführen. Er macht einen hervorragenden Job. Vlado war bei den Journalisten nicht so beliebt, hat aber grosse Erfolge gefeiert. Und den Grundstein der heutigen Nati hat Ottmar Hitzfeld gelegt, der sich getraut hat, junge Spieler wie Granit und Xherdan einzubauen. Diese drei Trainer haben alle riesige Verdienste für den Schweizer Fussball.

Und wann sehen wir Stephan Lichtsteiner als Trainer bei den Profis?
Momentan bin ich bei den Junioren am richtigen Ort. Für sie ist das Wissen von ehemaligen Spielern, die jahrelang auf Weltklasse-Niveau Erfahrungen gesammelt haben, enorm wertvoll. In der Schweiz ist es leider ein steiniger und langer Weg bis zur Uefa-Pro-Lizenz. In meinen Augen regelt der Markt, wer es schafft und wer nicht. Und damit Spieler nach einer internationalen Karriere etwas lernen können, muss die Ausbildung niveaugerecht sein. Es bringt einem Studenten nichts, bei einem Primarlehrer in den Unterricht zu gehen. So ist es auch im Fussball.

Konkreter bitte?
Punkto Planung und Strukturen kann auch ich gewisse Dinge lernen. Aber im Endeffekt entscheidet sich nur in der Praxis auf dem Platz, ob man ein guter Trainer ist. Wichtig ist, wie ich auf dem Platz in bestimmten Situation reagiere, wie ich ein Spiel lese und wie ich mit ihnen rede. Diese Fähigkeiten hat ein Ex-Profi in der Regel in seinem Rucksack.

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