Blick: Sascha Ruefer, Ihre Jubelschreie nach dem EM-Penalty-Triumph gegen Frankreich im Sommer 2021 gingen um die Welt. Das ist noch nicht manchem Schweizer TV-Kommentator gelungen. Werden Sie in den grossen Momenten immer besser?
Ruefer: Das ist für mich schwierig zu beurteilen. Ich kann sagen, dass ich versuche, mich bestmöglich auf den Moment vorzubereiten. Renato Schatz (Ruefers rechte Hand, d. Red.), mit dem ich mich vor dem Spiel oder vor einem Turnier wie der WM vorbereite, und ich legen uns auch eine Taktik zurecht.
Wie sieht die Taktik für die WM in Katar aus?
Generell stellen wir fest: Weniger ist mehr. Wir versuchen, uns auf den Moment zu fokussieren. Dass Xherdan Shaqiri früher für Bayern München und Liverpool gespielt hat, hätte man früher erzählt, wenn Shaqiri gross im Bild war. Heute wissen die Zuschauenden mehr denn je zuvor. Heisst konkret: Wir müssen mehr darüber berichten, was passiert. Und vor allem: Warum etwas passiert.
Beni Thurnheer, einer Ihrer grossen Vorgänger als Stimme der Nationalmannschaft, hat das anders gesehen. Er sagte: Wer Nati-Spiele kommentiert, kommentiert auch für sein Grosi. Also für Menschen, die mit Fussball sonst nicht viel am Hut haben.
Das hat sich definitiv verändert. Früher war der letzte Stand, den die Zuschauenden hatten, der Redaktionsschluss der Zeitung am Vorabend. Mit dem Internet und den sozialen Medien ist das Publikum mittlerweile viel besser informiert. Wenn heute Ronaldo aus der Pause kommt und plötzlich ein Pflaster auf der Stirn hat, ist die Chance gross, dass im Internet schon irgendwo steht, was passiert ist. Da siehst du als Kommentator blöd aus, wenn du spekulierst. Und gleichzeitig kannst du im Spiel nicht noch parallel das komplette Internet im Blick haben.
Bemerkenswertes ist im Frankreich-Match auch abseits des Schweizer Sieges passiert. Sie haben sich während der laufenden Übertragung bei Ricardo Rodriguez entschuldigt, nachdem Sie ihn davor sehr hart kritisiert hatten.
Das ist ein Tolggen in meinem Reinheft. Rodriguez hatte den Penalty verschossen, der das 2:0 bedeutet hätte. Ich habe mich furchtbar aufgeregt, auch, weil es sein dritter vergebener Elfer in Folge war. So sehr, dass ich das immer und immer wieder gesagt habe. Und voll auf den Mann gespielt habe. Ich bin total darauf rumgeritten, völlig übertrieben.
Und irgendwann haben Sie gemerkt, dass Sie überborden?
Ich habe während der Übertragung ein SMS von einem der Brüder von Rodriguez bekommen, der mir geschrieben hat, dass ich zu weit gehe. Dass das unfair sei. Er hatte recht. Und so habe ich mich dann dafür entschieden, mich noch während dem Spiel zu entschuldigen.
Sehr unkonventionell.
Mag sein. Aber das schien mir in dem Moment angebracht.
Wie hat Ricardo Rodriguez reagiert?
Ich habe ihm direkt nach dem Match auch geschrieben und noch einmal direkt «Sorry» gesagt. Das Fiese ist ja, dass du als Kommentator nicht mehr rückgängig machen kannst, was du in der Livesituation sagst. Und auch wiedergutmachen kannst du es nicht. Du kannst ihn ja das nächste Mal nicht ein bisschen mehr loben, als angebracht wäre, das wäre auch nicht richtig. Gesagt ist gesagt, das ist das Los des Kommentators. Aber dafür hatte ich die Gelbe Karte verdient.
SRF überträgt alle 64 WM-Partien live im TV auf SRF 2 und SRF info (Parallelspiele) sowie als Stream online. Neben Nati-Mann Sascha Ruefer sind Mario Gehrer, Reto Held, Dani Kern, Manuel Köng und Dominic Ledergerber als Kommentatoren im Einsatz. Gastgeber im WM-Studio in Zürich sind Annette Fetscherin, Paddy Kälin und Lukas Studer. Wenn es um die Spiele der Nati geht, melden sich Moderator Rainer Maria Salzgeber und Experte Benjamin Huggel direkt aus den Stadien in Katar, Jeff Baltermia gibt den Field Reporter. Den Abschluss des WM-Tages macht die Sendung «Sykora Gisler Spezial», wo Tom Gisler und Mämä Sykora in lockerer Runde mit einem Gast über die WM sprechen. Auch die umstrittenen Begleitumstände sollen im TV zur Sprache kommen: Für SRF berichten die Nahost-Korrespondenten Anita Bünter und Jonas Bischoff aus Katar.
SRF überträgt alle 64 WM-Partien live im TV auf SRF 2 und SRF info (Parallelspiele) sowie als Stream online. Neben Nati-Mann Sascha Ruefer sind Mario Gehrer, Reto Held, Dani Kern, Manuel Köng und Dominic Ledergerber als Kommentatoren im Einsatz. Gastgeber im WM-Studio in Zürich sind Annette Fetscherin, Paddy Kälin und Lukas Studer. Wenn es um die Spiele der Nati geht, melden sich Moderator Rainer Maria Salzgeber und Experte Benjamin Huggel direkt aus den Stadien in Katar, Jeff Baltermia gibt den Field Reporter. Den Abschluss des WM-Tages macht die Sendung «Sykora Gisler Spezial», wo Tom Gisler und Mämä Sykora in lockerer Runde mit einem Gast über die WM sprechen. Auch die umstrittenen Begleitumstände sollen im TV zur Sprache kommen: Für SRF berichten die Nahost-Korrespondenten Anita Bünter und Jonas Bischoff aus Katar.
Ein anderer bleibender Moment: Die Doppeladler-Affäre 2018 im WM-Spiel gegen Serbien. Da haben Sie die Schweizer Spieler Xhaka, Shaqiri und Lichtsteiner, die den Doppeladler-Jubel gezeigt hatten, als «dumm» bezeichnet.
Ich bleibe dabei, dass die Aktion nicht gut war. Aber ich hätte nicht so starke Wörter benutzen sollen. Mir war in diesem Moment, während das alles live passierte, nicht bewusst, welche enorme Dimension meine Worte in dieser aufgeladenen Situation hatten. Das wurde mir dann auch erst im Nachgang so richtig klar. Ich meine, es gab Nationalräte, die meine Absetzung forderten. Gleichzeitig habe ich Zuspruch aus politischen Lagern erhalten, den ich nie wollte, nicht gesucht habe und der mich überrascht hat. Ich habe gelernt: Die Art und Weise, wie man etwas sagt, kommt bei den Leuten an und löst etwas aus. In den Tagen danach wurden Grenzen überschritten.
Was bedeutet das?
Es gab massive Drohungen gegen mich und meine Familie. Das gab es in dieser Form zuvor noch nie. Ich hatte nie Angst um Leib und Leben, weil ich auch glaube, dass solche Drohungen in den sozialen Medien oft übersteigert sind und wir eine Art Blitzableiter werden. Aber es gibt Grenzen.
Wo sind diese?
Man darf mir in sehr breit gestecktem Rahmen Feedback geben. Aber wenn es kippt, wenn man meine Familie bedroht, hört jedes Verständnis auf. Ich schrecke auch nicht davor zurück, Leute anzuzeigen. Das ist doch absurd. Am Schluss geht es um Fussball.
In Katar geht es auch um Fussball. Aber nicht nur. Die Menschenrechte, die Nachhaltigkeit, die Korruption, das alles wird immer mitschwingen. Was bedeutet das für Sie?
Ganz ehrlich: Die Diskussionen gehen mittlerweile etwas gar weit. Der grosse Skandal ist nicht jetzt passiert, sondern vor 12 Jahren. Da hätte es noch Möglichkeiten gegeben, etwas zu verändern. Jetzt zielen die Proteste am Ziel vorbei. Ich habe zwar Verständnis, wenn Fans die WM angesichts der allgegenwärtigen Kritik ablehnen. Allerdings frage ich mich, was ein Boykott wirklich bringt. Die Bedingungen für die Arbeiter werden dadurch nicht besser.
Ein Boykott greift zu kurz?
Das ist doch eine oberflächliche Diskussion, jetzt, in diesem Moment. Für mich ist das ein Abbild unserer Zeit: Wir konsumieren nur noch Bildchen und Schlagzeilen, darum haben jetzt plötzlich alle eine Meinung. Wenn die Landesverbände vor 12 Jahren den Mut gehabt hätten, zu sagen, wir nehmen an dieser WM-Quali nicht teil, das wäre ein Statement gewesen. Das hätte etwas bewirkt.
Das hat niemand getan.
Nein. Die Qualifikation hat man gespielt, die Prämien dafür hat man eingestrichen. Das ist mir zu scheinheilig. Natürlich muss man ein grosses Fragezeichen hinter die moralische Integrität von Katar als Ausrichterland setzen. Und gleichzeitig sollten wir bedenken, dass wir im Westen auch unsere Probleme haben.
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Das heisst, Sie reden nur über Fussball in den nächsten Wochen?
Natürlich entspricht die Menschenrechtslage in Katar nicht meinen Wertvorstellungen. Aber ich bin Fussballkommentator. Es ist mein Job, zu erklären, warum in den 90 Minuten auf dem Rasen passiert, was passiert. Die politischen Zustände einzuordnen, ist nicht meine Aufgabe. Umgekehrt spricht auch ein Politik-Journalist nicht über die Nati-Aufstellung. Ausserdem werde ich von den Umständen, die im Vorfeld kritisiert wurden, aller Wahrscheinlichkeit nach wenig bis nichts mitbekommen. Weil ich praktisch nur im Stadion oder im Hotel sein werde.