Mit dem Spiel gegen den krassen Aussenseiter Philippinen startet die Schweiz am Freitag (7 Uhr) in Dunedin in die WM. Blick sagt, was es braucht, damit die Nati im fernen Neuseeland ein Wintermärchen schreibt.
Hinten dicht
Sie ist der Methusalem im Schweizer Tor und die älteste Spielerin im Kader von Inka Grings: Gaëlle Thalmann (37). Kurz vor Beginn der WM gab die Freiburgerin bekannt, dass sie nach dem Turnier ihre Karriere beenden wird. An guten Tagen gehört sie zur erweiterten Weltklasse, an schlechten – wie im Test gegen Marokko – zur Kreisklasse. Noch an jeder Endrunde leistete sich Thalmann ihrem Übernamen «Gaga» entsprechend einen groben Bock. Dies mag es in Neuseeland nicht leiden. Für einen Schweizer Höhenflug muss Thalmann makellos bleiben.
Starke Leader
Zusammen haben sie fast 400 Länderspiele absolviert, sie sind alle über 30 und spielen bei den Top-Klubs Arsenal, PSG und Barcelona. Lia Wälti, Ramona Bachmann und Ana-Maria Crnogorcevic sind seit Jahren die Gesichter des Schweizer Frauenfussballs. «Die Abhängigkeit von ihnen ist gefährlich», sagte Grings im Frühjahr. Das Abschneiden der Nati hängt stark von ihnen ab, dessen sind sich die drei bewusst. Die Voraussetzungen für ein starkes Turnier sind gut: Wälti hat nach ihrer Verletzung vor zwei Monaten den Wettlauf gegen die Zeit gewonnen, Crnogorcevic kommt aus einer erfolgreichen Saison und ist körperlich viel stärker als vor der EM im letzten Jahr. Und Bachmann, die im Lauf ihrer Karriere ihren Egoismus abgelegt und sich zur Teamplayerin entwickelt hat, schwebt nach ihrer Hochzeit vor wenigen Wochen auf Wolke sieben.
Exploit aus der zweiten Reihe
Acht Spielerinnen aus der – wenn überhaupt – halbprofessionellen Super League stehen im WM-Kader. Nadine Riesen nahm unbezahlten Urlaub, Julia Stierli schliesst nach der WM ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin ab, Laura Felber verschob ihre Uni-Prüfungen aufgrund des Turniers, und Fabienne Humm hat auch in Neuseeland freiwillig ihren Laptop zum Arbeiten dabei. Nun treffen die vier spätestens ab den Achtelfinals auf Länder, in denen die Professionalisierung deutlich weiter fortgeschritten ist als in der Schweiz. Um den zu Unterschied zu kaschieren, müssen die Super-League-Spielerinnen über sich hinauswachsen.
Shooting-Star
Die WM als grösste Bühne schreibt ihre eigenen Geschichten. Wem gelingt der grosse Durchbruch? Kandidaten gibt es auch in der Nati einige. Alisha Lehmann, die beweisen kann, dass sie global nicht nur mit ihren Social-Media-Posts für Aufsehen sorgen kann. Oder Seraina Piubel, die Überfliegerin der letzten Super-League-Saison, die vor einem Wechsel ins Ausland steht. Oder Amira Arfaoui. Die Bernerin stand mit 19 vor dem Karriereende und rutschte nur dank der Verletzung von Iman Beney ins Kader nach. Die Stürmerin von Bayer Leverkusen wäre prädestiniert, in Down Under eine Cinderella-Story zu schreiben.
Rückkehr der Winnermentalität
Die Bilanz ist miserabel. Nur drei der letzten 17 Spiele gewann die Nati, es sind Siege im letzten Herbst gegen Kroatien, Moldawien und Wales. Trotzdem herrscht eine gute Stimmung. Von Knatsch oder Unmut innerhalb des Teams? Keine Spur. Fast immer findet man Erklärungen für die mageren Resultate. Mal ist es die Müdigkeit, mal fehlende Kaltschnäuzigkeit im Abschluss, mal sind es individuelle Fehler, mal viele Sponsoren- und Medientermine. Nun gibt es keine Ausreden mehr. Ab jetzt zählt nur noch das Resultat. Die Nati muss beweisen, dass sie die Winnermentalität der Playoff-Siege 2021 gegen Tschechien und 2022 gegen Wales nicht verloren hat.
Einen klaren Plan, Cleverness und das Quäntchen Glück
6 Spiele, 0 Siege, 5 Tore: So lautete die ernüchternde Bilanz in der Ära von Inka Grings als Nati-Trainerin. Mal agierte die Deutsche mit Raute, mal mit drei Stürmerinnen. Die gelernte Innenverteidigerin Viola Calligaris spielte auf der Aussenbahn, die Rekord-Torschützin Ana-Maria Crnogorcevic erstmals in ihrer Karriere halblinks im Mittelfeld. Die Zeit des Experimentierens ist jetzt vorbei, gegen die Philippinen müssen die Zahnräder ineinandergreifen. Um einen Coup zu schaffen, braucht es aber nicht nur einen klaren Matchplan, sondern auch Cleverness und das Quäntchen Glück. Denn qualitativ ist die Schweiz nicht so gut aufgestellt wie die grossen Nationen.