«Wir haben von den Rassismus-Vorfällen nichts gemerkt»
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Blick-Reporter war mittendrin:«Wir haben von den Rassismus-Vorfällen nichts gemerkt»

Sein Video ging viral
Lüchinger blickt auf das verrückte Sion-Spiel zurück

Den 21. August 2021 wird St. Gallens Verteidiger Nicolas Lüchinger (26) so schnell nicht mehr vergessen. Er durchlebt ein Gefühls-Wirrwarr par excellence.
Publiziert: 28.08.2021 um 13:58 Uhr
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Aktualisiert: 28.08.2021 um 13:59 Uhr
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St. Gallens Nicolas Lüchinger (l.) weist Sion-Goalie Timothy Fayulu zurecht. Da wusste er allerdings noch nichts von den rassistischen Vorfällen.
Foto: keystone-sda.ch
Eynat Bollag (Text) Urs Bucher (Fotos)

Das Interview von St.Gallen-Verteidiger Nicolas Lüchinger nach dem Spiel gegen Sion letzten Samstagabend geht weit über die Landesgrenzen hinaus. Man liest davon in Deutschland, Österreich, Spanien, gar in der Elfenbeinküste.

Vor laufender Kamera konfrontiert Sion-Spieler Serey Die (36) den St. Galler mit den Hintergründen von Timothy Fayulus (22) Gesten gegenüber den St. Galler Fans (Blick berichtete). «Als er zu mir gekommen ist, fragte er mich, ob ich glücklich sei mit dem, was ich gemacht hatte», sagt Lüchinger zu Blick. «Ich dachte ja, ich hätte das richtige gemacht.»

Er habe gedacht, es sei richtig gewesen, Fayulu zurechtzuweisen, da er angenommen habe, dieser habe die Fans provoziert, so Lüchinger weiter. «Aber dann hat Serey Die mir gesagt, dass Fayulu rassistisch beleidigt worden sein soll, was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste. Sonst hätte ich natürlich anders reagiert.»

«Ich bin sehr schnell im Kopf»

Obwohl sich das Ganze während eines Live-Interviews abspielt, wirkt Lüchinger keine Sekunde verunsichert oder eingeschüchtert. «Ich bin sehr schnell im Kopf, konnte alles schnell einordnen», sagt der Mann aus Oberriet SG. Äusserst professionell und abgeklärt beendet er die Diskussion mit dem Ivorer und verurteilt im Anschluss den mutmasslichen Rassismusvorfall. Auch Tage später betont der 26-Jährige nochmals, dass er und der ganze Klub sich ganz klar von Diskriminierungen jeglicher Art distanzierten.

Lüchinger spielt an diesem Abend nicht nur nach dem Spiel eine Hauptrolle, auch während des Spiels. Der Aussenverteidiger, der im März, nach fast zwei Jahren Verletzungspause und 680 Tagen ohne Super-League-Spiel, erstmals wieder mit der 1. Mannschaft auflaufen durfte, schiesst im 77. Einsatz sein erstes Super-League-Tor.

Lüchinger schildert es folgendermassen: «Ich stand schon in der Aktion zuvor frei, bekam den Ball aber nicht. Dann eroberte ihn Sion zurück, verlor ihn aber gleich wieder. Daraufhin spielte Görtler in die Schnittstelle auf Schubert. Dieser lief alleine aufs Tor, da dachte ich, er trifft. Eigentlich hätte ich in dem Moment schon wieder auf meine Position zurückspringen müssen, aber dann ist der Ball irgendwie zu mir gekommen und da hiess es nur noch ab die Post.» Überwältigt vor Freude muss er das eine oder andere Tränchen verdrücken. Die Emotionen hätten allerdings weniger mit dem Tor an sich zu tun, «meine Emotionen sind so hoch gegangen, weil ich in diesem Moment meine Eltern auf der Tribüne gesehen habe», erklärt Lüchinger. Auch musste er an all die anderen Menschen denken, die während der langen Leidenszeit für ihn da waren.

Der resistente Keim

Den Überblick über die vielen Verletzungen hat der Verteidiger längst verloren. Knie rechts, Knie links, Meniskus, eine Infektion am Knie. «Es handelte sich um einen sehr resistenten Keim», so der Ostschweizer. Das Knie muss darauf viermal (!) aufgeschnitten, gespült und wieder zusammengenäht werden.

Es folgt ein Knorpelschaden rechts und im vergangenen Sommer dann auch noch links. «Es war eine harte Zeit, aber auch ein schöne». Wie bitte? Was ist denn daran schön? «Wissen Sie, das ganze Leben hast du praktisch immer einen Druck. Druck, gut spielen zu müssen, gewinnen zu müssen – und plötzlich war dieser Druck einfach zwei Jahre weg.»

Lüchinger, der Ernährungsberater

Lüchinger nutzt die Zeit und macht eine Reise nach Kolumbien, das Uefa-C-Diplom (trainiert heute drei mal pro Woche die U14 d. Red.) und beginnt mit der Ausbildung zum Fachmann für holistische Gesundheit – also zum Ernährungsberater. Daneben kämpft sich der ambitionierte Kicker zurück. «Jetzt bin ich mega stolz, dass ich es geschafft habe, und geniesse jede Sekunde, in der ich das machen kann, was ich liebe.» Der nächste Coup? Lüchinger mit einem Schmunzeln: «Der Schweizer Cup. Der muss unbedingt noch abgehakt werden.»

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