Nach Vertragsverlängerung bis 2028
Wird Görtler der grösste Spieler der St. Galler Geschichte?

Warum Lukas Görtler sich am Anfang in St. Gallen nicht wohlfühlte, weshalb er einem Putzmann ein Auto organisierte, ob er im Kybunpark irgendwann als Trainer an der Seitenlinie stehen wird und was es braucht, um Fussballgott Marc Zellweger vom Olymp zu stossen.
Publiziert: 15.08.2024 um 00:07 Uhr
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Aktualisiert: 15.08.2024 um 09:50 Uhr
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Lukas Görtler ist ganz offensichtlich zufrieden beim FCSG.
Foto: Pius Koller
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Stefan KreisReporter Fussball

Mit dem FC St. Gallen Meister zu werden, ist schwierig. Fast noch schwieriger ist es, Lukas Görtler (30) von einem Fotoshooting zu überzeugen.

Der Vorschlag, auf dem altehrwürdigen Espenmoos zu posieren, dem Sehnsuchtsort der St. Galler Fussballfans, wird gleich zu Beginn vom Tisch gewischt. Auch ein Ausflug in die Altstadt ist kein Thema. Und mit dem Velo vom Kybunpark zu seinem Wohnort Teufen AR fahren, wie er es täglich tut, will Görtler ebenfalls nicht. Zumindest nicht in Begleitung eines Fotografen. Er wolle kein Tamtam, lässt der FCSG-Captain ausrichten. 

Für Tamtam ist die PR-Abteilung des Vereins zuständig. Vor drei Jahren setzten die Espen ihren Fussballgott in einem vor Pathos triefenden Video aufs Stadiondach. Nun zelebriert der Klub die erneute Vertragsverlängerung von Görtler mit einem handgeschriebenen Brief des 30-Jährigen. Er sei erwachsen geworden, älter, habe zukunftsweisende Gedanken, spüre, wie verwurzelt er mit der Region und den Menschen sei, schreibt Görtler. Statt den Verlockungen seiner Jugendliebe, dem 1. FC Nürnberg, zu erliegen, unterschreibt der Franke in der Ostschweiz bis 2028. 

«Gastfreundlich seid ihr anfänglich nicht!»

Er habe den Brief selbst verfasst, antwortet der FCSG-Captain auf die Frage, ob die PR-Abteilung mitgeholfen habe. Und man kauft es dem Deutschen ab. Weil er einer ist, der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht. Dass er sich Anfang 2019, als er in die Schweiz kam, zu Beginn nicht immer wohlgefühlt habe, sei Fakt, so Görtler. «Gastfreundlich dem Deutschen gegenüber seid ihr Schweizer anfänglich ja nicht immer, aber man gewöhnt sich dran», sagt Görtler mit einem Schmunzeln. Umso schöner sei es für den Franken, dass ihn die Ostschweiz praktisch adoptiert habe. «Ich würde lügen, wenn mir das nichts bedeuten würde. Jeder Mensch wird gerne gemocht. Und das Schöne daran ist, dass ich mich nicht verstellen muss, dass ich so sein kann, wie ich bin.»

Auf dem Platz ein Leitwolf, der in den Zweikämpfen auch mal übersäuert. Neben dem Rasen ein Typ, der fürs grosse Ganze schaut. Er hilft seinen Mitspielern bei der Wohnungssuche, für Stephan Ambrosius (25), den neuen Verteidiger, organisiert er Tickets fürs Open Air Frauenfeld, für einen Putzmann, der seit Jahren für den FCSG alles sauber hält, macht er ein Auto klar. «Sein altes hat den Geist aufgegeben, da haben wir in der Mannschaft zusammengelegt und ihm einen Gebrauchtwagen organisiert», sagt Görtler. Das sei selbstverständlich. «Weil er jeden Tag mit einer aussergewöhnlich guten Laune zur Arbeit kommt und uns alles hinterherräumt.» 

Zeidler hat gratuliert

Auch Görtler ist aussergewöhnlich gut gelaunt. Weil der Saisonstart gelungen ist. Und Enrico Maassen (40), der neue Mann an der Seitenlinie, eingeschlagen hat. Bedenken, dass der FCSG nach sechs Jahren unter Peter Zeidler (62) einbrechen werde, haben sich bislang nicht erhärtet. Ganz im Gegenteil. Der neue Chef scheint die Mannschaft zu erreichen. Und er hat Leitwolf Lukas Görtler gleich zu Beginn mit ins Rudel geholt. «Wir hatten in den Ferien einen Videocall. Er hat mich mit seinen Ideen überzeugt und mir klargemacht, wie wichtig ich in seinen Überlegungen bin. Es reizt mich, neue Wege zu gehen. Das ist unerlässlich, wenn man sich weiterentwickeln will.»

Auf die Frage, ob sich die Art von Peter Zeidler irgendwann abgenutzt habe, antwortet Görtler: «Das ist schwierig zu beurteilen. Wir hatten fünf ausserordentlich gute Jahre. Standen in zwei Cupfinals, wurden Vizemeister, haben den Zuschauerschnitt von 12'000 auf 17'000 erhöht. Es wurde viel bewegt und Peter Zeidler hat einen sehr grossen Anteil daran. Aber natürlich liegts auch in der Natur der Sache, dass es nicht mehr frisch ist, wenn du so lange zusammen warst.» 

Deshalb sei es vielleicht gar nicht so schlecht, dass Zeidler nun seinen Bundesligatraum beim VfL Bochum leben könne. Und beim FCSG eine Aufbruchstimmung herrscht. Dass Görtler und Zeidler das Porzellan zuletzt nicht mehr immer im gleichen Schrank hatten, ist kein Geheimnis. Zerbrochen aber ist ganz offensichtlich nichts: «Wir haben in den letzten Wochen ein längeres Telefonat gehabt und uns einige Nachrichten geschickt. Er hat uns zum geglückten Saisonstart beglückwünscht», sagt Görtler. 

Görtler hält Ansprachen auf Französisch

Sportlich gesehen scheint der Zeidler-Abgang keinen Einfluss zu haben, sprachtechnisch hingegen gibts eine Lücke. Weil Französischlehrer Zeidler perfekt mit der frankophonen Fraktion kommunizieren konnte. Auch Görtler hält mittlerweile Ansprachen vor der Mannschaft auf Französisch. Eine «Challenge» sei das für ihn. Und «fehlerbehaftet».

Aber er sei stolz drauf, dass er sich mit allen austauschen könne. Dass durch den Abgang von Zeidler ein Sprachproblem entstanden sei, sieht er auch deshalb nicht. «Vielleicht hatten ein paar französischsprachige Spieler Respekt davor, wenn ein deutsches Trainerteam kommt, das keinen Bezug zu Frankreich hat. Aber wenn man sieht, dass Toma aufblüht, dass Akolo und Geubbels stark spielen, dass Schmidt und Diaby überragend performen, dann sehe ich da überhaupt kein Problem.» 

Sechs Siege aus den ersten sieben Spielen haben die Ostschweizer wettbewerbsübergreifend eingefahren. Ist der FCSG, der über ein breites, individuell gut besetztes Kader verfügt, gar ein Meisterkandidat? «Es ist schwierig, weil man über eine ganze Saison lang kontinuierlich gut spielen muss. Und wir im Vergleich zu anderen Klubs nicht die gleichen finanziellen Mittel haben. Es braucht eine aussergewöhnliche Leistung, um einen Titel zu holen. Bei anderen Klubs reicht eine gute Leistung», sagt Görtler.

Würde er mit dem FCSG einen Titel holen, dann wäre er – mindestens – auf derselben Stufe wie der andere grün-weisse Fussballgott: Marc Zellweger (50). Auch der stammt – wie Görtler – nicht aus der Ostschweiz. Sondern aus Winterthur. Auch er wurde von den St. Gallern adoptiert.

Görtler schreibt in seinem Brief: «Wenn du lange genug in einem Ort bist, wirst du irgendwann zum Ort.» Zellweger ist der Region erhalten geblieben, leitet in Rorschach ein Fitnesscenter. Gut möglich, dass auch Görtler den Menschen in der Ostschweiz erhalten bleiben wird. Derzeit macht er sein C-Diplom als Trainer. Ob er irgendwann im Kybunpark an der Linie stehen wird? 

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