FCB-Xhaka im grossen Krisen-Interview
«Wir sind innerlich wie gelähmt»

Den Absturz ans Tabellenende hat Taulant Xhaka für unmöglich gehalten. Im Blick-Interview spricht das FCB-Urgestein über die Turbulenzen bei Rot-Blau. Und sagt, wie ihn Heiko Vogel enttäuscht hat.
Publiziert: 26.10.2023 um 17:01 Uhr
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Aktualisiert: 26.10.2023 um 21:45 Uhr
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FCB-Urgestein Taulant Xhaka hat an der Krise zu beissen.
Foto: TOTO MARTI
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Sebastian WendelReporter Fussball

Blick: Taulant Xhaka, ist der FC Basel ein Abstiegskandidat?
Taulant Xhaka: (überlegt) Momentan sind wir das, weil wir Letzter sind. Aber die Abstände sind eng. Ich bin überzeugt, dass wir da unten rauskommen. Am besten fangen wir am Sonntag mit einem Sieg in Lausanne an. 

Reicht ein einzelnes Erfolgserlebnis, um die Probleme zu lösen?
Das nicht, aber ein Sieg wäre unglaublich wertvoll fürs Selbstvertrauen, der letzte liegt ja schon lange zurück (am 30. Juli, 5:2 gegen Winterthur; die Red.). Wir sind in einer sehr wichtigen Woche. 

Kann der FCB Abstiegskampf?
Ich habe mit dem FCB schon viel, aber so etwas noch nie erlebt. Sicher ist: Mit dem Finger auf andere zeigen und die Verantwortung abzuschieben, bringt nichts.

Das ist Taulant Xhaka

Der ältere Bruder von Nati-Captain Granit Xhaka wurde am 28. März 1991 in Basel geboren. Nach eineinhalb Leihsaisons bei GC trägt Taulant seit 2013 ununterbrochen das FCB-Trikot und kommt auf insgesamt knapp 400 Spiele. Anders als sein Bruder entschied er sich für das Nationalteam seiner Eltern Albanien (30 Einsätze).

Der ältere Bruder von Nati-Captain Granit Xhaka wurde am 28. März 1991 in Basel geboren. Nach eineinhalb Leihsaisons bei GC trägt Taulant seit 2013 ununterbrochen das FCB-Trikot und kommt auf insgesamt knapp 400 Spiele. Anders als sein Bruder entschied er sich für das Nationalteam seiner Eltern Albanien (30 Einsätze).

Was macht die sportliche Krise mit Ihnen?
Ich kämpfe mit mir, mache mir viele Gedanken, was ich besser machen kann, was ich meinen jungen Mitspielern vermitteln soll – und ich rede viel mit meinem Bruder Granit. Er weiss, was Druck bedeutet und wie man damit umgeht.

Was rät er Ihnen?
Dass man die Kritiker am besten mit Leistung verstummen lässt. 

Apropos: Wird Granits Rückkehr wegen der sportlichen Krise unrealistisch?
Momentan sicher – aber nicht wegen unserer Krise. Er ist einfach viel zu gut drauf. Nichts gegen die Super League, aber Stand heute wäre sein Können in der Schweiz verschenkt.

Haben Sie den Absturz des FCB ans Tabellenende für möglich gehalten?
Überhaupt nicht. Darum war der Blick auf die Tabelle, als wir erstmals Letzter waren, ein Schock. Aber ich begreife die Realität und bin bereit.

Sind das Ihre Mitspieler, die mit komplett anderen Vorstellungen zum FCB gekommen sind, auch?
Nach den vielen Gesprächen diese Woche glaube ich, jeder hat begriffen, was es geschlagen hat.

Ist der Absturz auch die Folge mangelnder Qualität?
Dass wir Qualität haben, ist unbestritten. Aber Talent alleine genügt nicht. Es gibt Spieler ohne Talent, die es weit gebracht haben. Weil sie Biss haben. Und nicht nach zwei Übersteigern zufrieden sind. Unsere Spieler müssen sich schon auch bewusst sein: Solange wir Letzter sind, interessiert sich niemand für sie. Das allein sollte genug Motivation sein, sich den Arsch aufzureissen. 

Heiko Vogel war nach dem 0:1 gegen Servette nicht enttäuscht von der Leistung. Ihr Teamkollege Adrian Barisic sagt, man müsse beim FCB akzeptieren, dass man schlecht spielt. Wem geben Sie recht?
Wir spielen nicht per se schlecht. Von Abwehr bis Mittelfeld klappts recht gut, aber auf den letzten 20 Metern sind wir zu ungenau. Und dann wird mit jedem Negativerlebnis die Verunsicherung noch grösser. 

Warum läuft es unter Heiko Vogel noch schlechter als unter Timo Schultz?
Gemessen an den Resultaten kann ich da nicht widersprechen. Aber die Stimmung in der Kabine ist gut, die Trainings sind top und die Jungs nehmen die Inputs vom Trainer an. Heiko Vogel ist nicht das Problem, wir Spieler müssen endlich umsetzen, was er uns mitgibt. 

Und warum gelingt das nicht?
Keiner von uns war schon mal in dieser Situation, der Druck wird immer grösser. Es ist wie eine Blockade: Eigentlich will man den Sprint nach hinten machen, aber irgendetwas hindert dich daran. Wir sind innerlich wie gelähmt. 

Severins Kopfballtor verschärft die Krise des FCB
3:14
Basel – Servette 0:1:Severins Kopfballtor verschärft die Krise des FCB

Vertraut die Mannschaft Heiko Vogel?
Hundertprozentig! Ich würde es Ihnen sagen, wenn es nicht so wäre.

War die Entlassung von Timo Schultz richtig?
Richtig oder falsch – es gibt immer zwei Seiten. Ein Trainer wird an Resultaten gemessen, die waren nicht gut. Andererseits kann man sich fragen, ob wir auf dem Platz alles so umgesetzt haben, wie Timo sich das gewünscht hat. Ich werde als Spieler aber nie eine Trainerentlassung kommentieren.

Die schlechten Resultate unter Heiko Vogel führen zwangsläufig zur Frage, ob es wieder einen Trainerwechsel braucht.
Wir Spieler glauben an seine Philosophie. Im Training sieht das sehr gut aus, im Spiel noch nicht. Wie gesagt: reine Kopfsache. Wir brauchen als Mannschaft, zusammen mit Heiko, Zeit und dürfen nicht aufgeben.

Sie und die anderen Führungsspieler haben sich nach der letzten Saison gewünscht, dass Heiko Vogel Trainer bleibt. Waren Sie enttäuscht, als er ablehnte?
Ehrlich gesagt ja. Nach dem Rückspiel im Viertelfinal gegen Nizza habe ich ihn gebeten, Trainer zu bleiben. Aber ich verstand, dass er nach den intensiven Monaten wieder mehr Ruhe wollte. Sind wir mal ehrlich: Amdouni, Diouf, Calafiori, Burger, Ndoye – alle haben unter Heiko nochmals grosse Fortschritte gemacht und wechselten dann ins Ausland. Wenn unsere jetzigen Spieler bereit sind, auf Heiko zu hören, können sie das auch schaffen.

Sie sind Spieler, aber als Urgestein auch grosser Fan des FC Basel. Können Sie die Rollen trennen?
Ich muss! Auch wenn ich mich gut in die Fan-Seele hineinversetzen kann, in Basel sind wir nun mal Erfolg gewohnt. Aber als Spieler darf ich mich nicht zu fest von meinen Emotionen leiten lassen. 

Müssen Sie Ihre Emotionen zügeln?
Definitiv. Nicht bei jedem Spieler kommen harte Worte gut an. Ich muss positiv bleiben. Nach meiner Karriere werde ich dann in die Muttenzerkurve stehen und nur noch Fan sein. 

Wie ist es in der aktuellen Situation, durch die Stadt zu laufen?
Ich spüre viel Unterstützung. Diese Woche hat mich ein Fan beim Einkaufen angesprochen und gesagt, er stehe voll hinter uns. Das gibt mir ein gutes Gefühl, weil es nicht selbstverständlich ist. Bei Ajax etwa gehen die Fans wegen der Krise voll auf die Barrikaden. 

Kann die Stimmung auch in Basel kippen?
Nach dem Spiel gegen Ouchy (0:3; die Red.) hat man gesehen, dass auch unsere Fans berechtigterweise wütend sein können. Darum: Es ist Zeit, unseren Fans etwas zurückzugeben.

Nach dem Servette-Spiel sagten Sie: «Ich weiss nicht, ob die Hälfte begreift, worum es geht und was es heisst, das FCB-Trikot zu tragen».
Wir standen nach dem Schlusspfiff vor der singenden Muttenzerkurve. Wahrscheinlich hat in dem Moment die Hälfte nicht verstanden, was die Fans singen. Danach habe ich es den Jungs erklärt. Wichtig ist, dass sie die Message verstehen.

Spielern, die den FCB nur als Sprungbrett betrachten, dürfte das Wohl von Klub und Fans egal sein …
Das sollte eigentlich nicht so sein. Aber ja, der Fussball hat sich sicher verändert. Früher war das Ziel, möglichst lange beim FCB zu spielen. Heute ticken die Jungen anders, nicht nur bei uns. Eine gute Saison – und schon bekommen sie lukrative Angebote und ziehen weiter. Das ist schade. Wenn wir mal zwei, drei Jahre die Mannschaft zusammenhalten können, bin ich überzeugt, dass der Erfolg zurückkommen wird. Und ich denke schon, dass wir jetzt auch Spieler haben, die länger bleiben möchten.

Ist Ihren Teamkollegen das eigene Schicksal wichtiger als jenes des FCB?
Nein, das denke ich nicht. Und man kann sicher nicht alle in den gleichen Topf werfen. Wie gesagt wäre es schön, wenn der eine oder andere hier längerfristig etwas erreichen will. 

Nehmen Sie persönlich die schlechte Laune mit nach Hause?
Nach einer Niederlage brauche ich daheim einige Stunden Ruhe, in denen ich das Spiel verarbeiten kann. Das weiss meine Frau und kann damit umgehen. 

Was tun Sie und die anderen Führungsspieler, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen?
Diese Woche waren wir alle zusammen in einem Box-Keller. Dampf ablassen, einfach mal etwas anderes als Taktik und Systeme. Und mit den Spielern, die nicht gut drauf sind, in anderer Atmosphäre zu reden. Aber wir älteren Spieler schaffen das nicht alleine, es braucht alle. 

Es gab früher FCB-Teams, die haben sich in Krisen zum Frustsaufen getroffen. Um danach neu anzufangen.
Dazu sage ich nicht per se Nein. In der Natipause haben wir uns schon mal alle zum Abendessen getroffen und eine gute Zeit gehabt. Wir müssen jetzt als Team mehr denn je zusammenstehen.

Wenn Sie sagen, alles sei Kopfsache: Muss der FCB zum Psycho-Doc?
Ich persönlich brauche das nicht, dafür habe ich Granit, meine Frau und meine Freunde. Aber wenn ein Spieler mal mit einem Profi reden will, bekommt er sicher die Unterstützung. Und wie ich gehört habe, ist von den Verantwortlichen schon etwas geplant in die Richtung.

Ist Rang 6 nach 33 Runden und der Sprung in die Championship Group noch realistisch?
Abgerechnet wird, wenns soweit ist. Wir brauchen jetzt nicht über die Tabelle reden. Das einzige Ziel ist, wieder Spiele zu gewinnen.

Einverstanden, dass Lausanne-Sport am Sonntag Favorit ist gegen den FCB?
Würde ich nicht so sagen. Bei allem Respekt: Wir spielen nicht gegen Manchester City oder Real Madrid. Sie haben uns in Basel geschlagen, aber es wird jetzt ein ganz anderes Spiel. Auch sie haben Druck: Wenn wir gewinnen, sind wir nur noch einen Punkt hinter Lausanne. 

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