Hat der Schweizer Fussball ein Gewalt-Problem?
Grundsätzlich ja. Immer wieder kommt es im Rahmen von Fussball-Spielen zu gewalttätigen Ausschreitungen. Ende September knallte es vor dem Super-League-Spiel zwischen GC und YB am Bahnhof Altstetten zwischen Berner Fans und der Zürcher Polizei. An gleicher Stelle gerieten Ende Januar auch FCZ-Anhänger und die Polizei aneinander.
Aber: Innerhalb und unmittelbar um die Stadien ist es in den vergangenen Jahren ruhiger geworden. Das lässt sich auch statistisch belegen. «In der letzten Saison gab so wenige Fälle mit schweren gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Super League, wie noch nie seit dem Start der Erhebung dieser Zahlen 2018», sagt Fan-Forscher Alain Brechbühl (36) im Interview mit Blick. Wüste Szenen wie nach dem Cup-Halbfinal zwischen Basel und YB im Mai 2023, als FCB-Fans direkt vor dem St. Jakob-Park mehrere Sicherheitsleute angriffen, sind seltener geworden. Allerdings hat es seit Sommer sechs gravierende Gewalteskalationen mit Angriffen auf die Polizei gegeben.
Welche Lösungsansätze gibt es?
Die Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) hat unter Einbezug der Swiss Football League (SFL) das sogenannte Kaskadenmodell entwickelt. Das Modell umfasst fünf Eskalationsstufen, die je nach Vorfall automatisch entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen. Diese reichen von einem verpflichtenden Dialog zwischen Klubs und Fans mit den Behörden (Stufe 1) bis zum Entzug der Bewilligung für ein Spiel, was zu einer Forfait-Niederlage führen würde (Stufe 5). In Kraft ist das Modell noch nicht. Die Vernehmlassung endete Ende 2023. Im März sind die finalen Gespräche der Bewilligungsbehörden mit der SFL und deren Klubs vorgesehen. Zum Start der Saison 2024/2025 soll das Kaskadenmodell definitiv eingeführt werden.
Warum ist das Kaskadenmodell umstritten?
Vor allem die Stufe drei, die Sektorenschliessungen, die das Kaskadenmodell vorsieht, sind umstritten. Derweil die Behörden diese als Präventivmassnahme verstehen, mit welcher die Täter für das betreffende Spiel ausgesperrt werden sollen, sehen viele Klubs und auch Fan-Forscher Brechbühl diese Massnahme als Kollektivstrafe. Sie befürchten, dass solche Massnahmen gar zu einer Solidarisierung der betroffenen Fans mit den verantwortlichen Einzeltätern führen könnten. Zudem wird die rechtliche Grundlage von Kollektivstrafen infrage gestellt. Inwiefern Klubs für das Verhalten ihrer Fans ausserhalb des Stadionumkreises verantwortlich gemacht und entsprechend bestraft werden können, ist umstritten.
Was tun die Klubs dagegen?
Das sieht auch FCZ-Präsident Ancillo Canepa (70) so. Deshalb haben der FC Zürich und mehrere FCZ-Fans bei der Stadt Zürich Rekurs gegen eine verhängte Sperrung der Südkurve eingelegt. Um einen Präzedenzfall zu schaffen, will Canpea – wenn nötig – sogar bis vors Bundesgericht ziehen. Dabei stützt sich der FCZ-Präsident auf einen Bundesgerichtsentscheid, dass Massnahmen wie Kurvensperrungen keine Strafaktion für das Verhalten von Fans ausserhalb des Stadions darstellen dürfe.
Auch YB und der FC Basel haben Stellung bezogen und das Verhängen von Kollektivstrafen als nicht verhältnismässig und zielführend bezeichnet.
Welche andere Lösung haben die Klubs parat?
Anstelle von Kollektivstrafen erachten viele Super-League-Klubs die konsequente Verfolgung von Einzeltätern als zielführender. In den vergangenen Jahren hat man verstärkt auf einen gemeinsamen Dialog mit Fans und Behörden gesetzt. Dies hat sich nach Aussage vieler Klubs bewährt. Aus Sicht der Bewilligungsbehörden reicht das in Anbetrecht der massiven Gewalt nicht aus. Zudem setzen sie sich auf den pragmatischen Standpunkt, dass die Täter oft nicht gefasst werden können, weil sie von ihren Sinnesgenossen geschützt würden.
Was machen die Fans?
Unter dem Motto «Verschobene Wahrnehmung, verschobene Kurven» demonstrierten am vergangenen Wochenende Fan-Kurven zahlreicher Klubs in einer gemeinsamen Aktion gegen Kollektivstrafen. Dabei zügelten die Fangruppierungen aus ihren Kurven und Gästesektoren in andere Stadionteile um.
Wie stehen wir im Vergleich zum Ausland da?
In Deutschland zum Beispiel eskalierte die Lage während des Bundesligaspiels zwischen Eintracht Frankfurt und dem VfB Stuttgart Ende November. Eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen den Eintracht-Fans und der Polizei forderte innerhalb des Deutsche-Bank-Parks rund 200 Verletzte.
In Frankreich wurde Ende Oktober die Ligue-1-Partie zwischen Montpellier und Clermont in der Nachspielzeit vorzeitig abgebrochen, nachdem unmittelbar neben Gäste-Goalie Mory Diaw (30) ein Böller explodiert war.
Anders sieht es in der englischen Premier League aus. Dank strenger Überwachungsmassnahmen und hoher Ticketpreise ist es innerhalb der Stadien sehr ruhig. Dafür hat sich die Gewalt in die unteren Ligen verschoben. Das Londoner Innenministerium vermeldete 2022 insgesamt über 2000 Festnahmen im Zusammenhang mit Fussballspielen – so viele wie seit 2014 nicht mehr.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | FC Zürich | 14 | 7 | 26 | |
2 | FC Basel | 14 | 20 | 25 | |
3 | FC Lugano | 14 | 6 | 25 | |
4 | Servette FC | 14 | 2 | 25 | |
5 | FC Luzern | 14 | 4 | 22 | |
6 | FC St. Gallen | 14 | 6 | 20 | |
7 | FC Lausanne-Sport | 14 | 2 | 20 | |
8 | FC Sion | 14 | 0 | 17 | |
9 | BSC Young Boys | 14 | -5 | 16 | |
10 | Yverdon Sport FC | 14 | -10 | 15 | |
11 | FC Winterthur | 14 | -21 | 11 | |
12 | Grasshopper Club Zürich | 14 | -11 | 9 |