Steigende Gewalt gegen Schiris
US-Sport als Vorbild für die Zustände im Fussball

Die Attacke auf Schiedsrichter Halil Umut Meler in der Türkei ist ein negativer Höhepunkt, wie mit den Unparteiischen umgegangen wird. Ein Blick über den grossen Teich würde dem Fussball guttun, schreibt Oliver Görz im Newsletter Steinpass.
Publiziert: 14.12.2023 um 18:04 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2023 um 08:25 Uhr
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Schiedsrichter müssen sich im Fussball fast alles gefallen lassen. Hier wird der Schweizer Sandro Schärer nach einer Entscheidung in der Champions League von zahlreichen Inter-Spielern belagert.
Foto: AFP
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Oliver GörzBlattmacher Sport

Auch gestern in der Champions League gab es sie wieder: abfällige Gesten, verbale Attacken, Rudelbildungen. Übergriffe, die alle ein Ziel hatten: den Schiedsrichter. Wundern darf das niemanden, schliesslich sind die Unparteiischen im Fussball Freiwild. Sie müssen sich fast alles gefallen lassen. Von Respektlosigkeiten auf dem Platz über Beschimpfungen seitens der Zuschauer bis zu Verunglimpfungen im Netz. Und manchmal sogar körperliche Gewalt, wie das schockierende Beispiel in der türkischen Süper Lig am vergangenen Montag gezeigt hat.

Dass der brutale Angriff auf Schiedsrichter Halil Umut Meler dabei nicht ohne Konsequenzen für den Übeltäter, Ankaragücü-Präsident Faruk Koca, bleibt (und hoffentlich auch noch ein strafrechtliches Nachspiel haben wird), ist nur ein schwacher Trost. Denn es ändert nichts daran, dass auch weiterhin kaum ein Fussballspiel vergehen wird, in dem der Schiri nicht Opfer von Anfeindungen ist. Meist in verbaler, doch immer häufiger auch in physischer Form. Der frühere Weltklasse-Referee Pierluigi Collina spricht gar von einem «Krebsgeschwür», das den Fussball befallen hat.

Und seien wir ehrlich: Wer von uns Hobbykickern hat nicht schon mal den Schiri angegiftet oder zumindest zur Rede gestellt, wenn er sich ungerecht behandelt gefühlt hat? Oder als Fan im Stadion seinem Unmut Luft gemacht, wenn das eigene Team vermeintlich benachteiligt wurde? Die meisten von uns würden sagen, das gehöre doch dazu und sei ja gar nicht so böse gemeint, wie es sich manchmal anhört. Und doch ist es der Nährboden für eine Kultur, in der das Fairplay regelmässig mit Füssen getreten wird.

Im US-Sport ist der Ref unantastbar

Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick auf den US-Sport. Football, Basketball, Baseball – hier ist der Ref im wahrsten Sinne des Wortes unantastbar. Die Regel, dass Entscheidungen des Schiedsrichters ausnahmslos zu respektieren sind (ja, die gibt es auch im Fussball), wird von Sportlern und Fans gleichermassen gelebt. Was nicht heisst, dass es keine Kontroversen zwischen Spielern und Schiedsrichtern gäbe. 

Just am vergangenen Wochenende sah man NFL-Superstar Patrick Mahomes ausser Rand und Band, nachdem die Referees den vermeintlich siegbringenden Touchdown seiner Kansas City Chiefs gegen die Buffalo Bills nach einem Pass des Quarterbacks wegen einer Abseitsstellung annulliert hatten. Mahomes stapfte schimpfend und gestikulierend auf die Refs zu und warf vor lauter Wut seinen Helm auf den Boden. Der Unterschied zum Fussball? Anschliessend wurde tagelang über Mahomes’ ungebührliches Verhalten diskutiert und kaum über die zumindest grenzwertige Entscheidung der Unparteiischen.

Mahomes entschuldigt sich

Mangelnder Respekt gegenüber den Spielleitern kann in der US-Sportkultur schnell zu gesellschaftlicher Ächtung führen – weshalb sich Mahomes inzwischen auch reumütig gibt: «Das geht natürlich nicht. So kann ich weder mit den Schiedsrichtern noch mit sonst jemandem im Leben umgehen.» Wohlgemerkt nach einer Szene, wie sie an jedem Fussball-Wochenende dutzendfach vorkommt.

Eine solche Einsicht würde man sich auch mal von dem einen oder anderen Starkicker wünschen, wenn in der Hitze des Gefechts wieder einmal der Schiri zum Sündenbock für die eigene Niederlage gemacht wurde. Ein kleinlautes «ich bin ja selber Schuld» statt des üblichen Nachtretens gegen den Schiri – kann ja eigentlich nicht so schwer sein. Und wenn dann noch der Unhold aus Ankara auf Lebenszeit aus dem Sport verbannt wird, wäre der erste kleine Schritt in eine respektvollere Fussballzukunft getan.

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