Sogar von Kindern beleidigt
Sittenzerfall! Dieser Amateur-Schiri denkt ans Aufhören

Die Schiri-Schmelze erreicht auch die Schweiz – seit 2019 sinkt die Anzahl aktiver Referees. Auch Pascal Hügli, seit 23 Jahren leidenschaftlicher Schiedsrichter, denkt ans Aufhören. Grund: der Sittenzerfall auf den Fussballplätzen.
Publiziert: 26.06.2022 um 12:04 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2022 um 15:27 Uhr
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Seit 23 Jahren ist der Aargauer Pascal Hügli (Mitte) Amateur-Schiedsrichter – nun denkt er ans Aufhören. Mit auf dem Bild sind seine Assistenten Bekir Albayrak (links) und Dominique Uehli (rechts).
Foto: zVg
Sebastian Wendel

Die Schiri-Schmelze erreicht die Schweiz! Seit drei Jahren sinkt die Anzahl aktiver Unparteiischen kontinuierlich. Beim Verband ist man besorgt, auch in Zukunft alle Partien im Amateurfussball mit ausgebildeten Schiedsrichtern zu besetzen. Einer, der ans Aufhören denkt, ist Pascal Hügli (41). Seit 23 Jahren leitet der Aargauer Spiele. Einst war er Assistent von Super-League-Ref Fedayi San, heute pfeift Hügli in der Aargauer 2. Liga und in der 2. Liga inter.

Warum sind Sie Schiedsrichter geworden?
Pascal Hügli: Ich war 19, selber Fussballer und Trainer. Auf dem Platz war ich mit vielen Entscheidungen der Schiedsrichter nicht einverstanden. Irgendwann dachte ich mir: Das versuche ich besser zu machen.

Spieler können Tore schiessen, einen Penalty parieren und drei Punkte holen. Was kann ein Schiedsrichter gewinnen?
Wenig! Nach einer fehlerlosen Leistung sagen die wenigsten Danke, andersrum bin ich der Schuldige für die Niederlage. Ich fühle mich als Sieger, wenn nach dem Abpfiff auch die Spieler des Verliererteams mir die Hand schütteln und sagen: «An dir lags nicht!»

Würden Sie rückblickend noch einmal Schiedsrichter werden?
Unbedingt! Schiedsrichter zu sein, ist eine Lebensschule: Pünktlichkeit, Verantwortung tragen, unter Druck Entscheidungen fällen – das hilft im Privatleben und im Beruf.

So prekär ist die Schiri-Situation in der Schweiz

Was hat sich in den vergangenen Jahren verändert?
Ich werde schneller verbal attackiert, tätlich angegriffen zum Glück noch nie. Wenn ein Spieler einen Penalty verschiesst, bauen ihn die Teamkollegen auf. Der Schiri hingegen muss nach einem Fehler einstecken. Oft fehlt das Verständnis, dass wir im gleichen Boot sitzen und dass Schiedsrichter auch Menschen sind, die Fehler machen.

Ein Beispiel?
In diesem Frühjahr wurde in einem emotionsgeladenen Spiel permanent gegen mich und meine Assistenten reklamiert. Sogar Kinder am Spielfeldrand haben uns beleidigt. Nach einigen Wochen traf ich den Trainer wieder: Doch statt mir die Hand zu schütteln, hat er erneut mit Beleidigungen angefangen. Das hat nichts mehr mit Emotionen im Sport zu tun, sondern ist einfach nur respektlos.

Denken Sie wegen solchen Vorfällen ans Aufhören?
Ich war immer leidenschaftlich gerne Schiedsrichter. In den letzten Monaten wurde ich zunehmend von Spielern und Zuschauern beleidigt und bedroht, seither frage ich mich: Warum tue ich mir das an? Ich spürte zuletzt vor Spielen auch keine Vorfreude mehr. Das sind Alarmzeichen, die ich früher nicht für möglich gehalten habe.

Wie geht es weiter?
Zum Glück ist Sommerpause. Im August werde ich nochmals einen Anlauf nehmen und schauen, ob die Freude noch da ist.

Spüren Sie den Schiedsrichter-Mangel?
Ich musste in der letzten Saison einige Male zwei Spiele am Wochenende pfeifen. Pro Match laufe ich 9 bis 10 Kilometer, mental ist die Belastung auch gross. Als Amateur ist es fast nicht möglich, am nächsten Tag körperlich und mental wieder fit zu sein. So passieren dann Fehler.

Wird der Mangel bald zum Problem?
Logisch, wenn sich nichts ändert. Ich bin kein Einzelfall, andere langjährige Schiedsrichter haben ebenfalls Rücktrittsgedanken. Und ohne Schiedsrichter kein Spiel!

Was bedeutet der Rückgang für das Niveau der Schiedsrichter?
Fehlt der Konkurrenzkampf, werden unerfahrene Schiris schneller befördert. Zu schnell. Für den Druck und die Beleidigungen braucht es ein dickes Fell, sonst macht man automatisch Fehler.

Wie kann der Schiedsrichter-Rückgang aufgehalten werden?
Es gab in einer Region mal ein Pilotprojekt, bei dem die Captains und Trainer beim Debriefing mit dem Schiri-Inspizienten dabei waren. Das fände ich einen guten Ansatz, weil es das gegenseitige Verständnis fördert. Ich bin immer offen für Gespräche, aber bitte mit einem Mindestlevel an Anstand.

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