«Papi, wann kommst du nach Hause?»
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Als Lügner beschimpft:René Weiler erklärt, warum er aus Ägypten abgehauen ist

René Weiler erklärt seinen überstürzten Abgang aus Ägypten
«Papi, wann kommst du nach Hause?»

Millionen von Fans haben ihn in Kairo auf Händen getragen. Aber er war auch einsam und isoliert. Fussballtrainer René Weiler blickt zurück auf die 14 verrücktesten Monate seiner Karriere beim afrikanischen Spitzenklub Al Ahly.
Publiziert: 09.10.2020 um 07:55 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2020 um 08:33 Uhr
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René Weiler ist nicht mehr Trainer bei Al-Ahly Kairo.
Foto: keystone-sda.ch
Felix Bingesser

René Weiler, freuen Sie sich auf den Winter?
René Weiler: Ich freue mich auf alle Jahreszeiten. Klar, wenn man in der ägyptischen Stadt Assuan bei 44 Grad ein Fussballspiel erlebt hat, dann freut man sich hier auch wieder über eine frische Herbstbrise.

Sie haben mit Al Ahly historische Erfolge gefeiert. Warum dieser überstürzte Abgang?
Es ist eine Entscheidung für die Familie. Seit dem Ausbruch von Corona konnte mich meine Familie nicht mehr besuchen. Ich war über Monate isoliert im Hotel. Da hat man sehr viel Zeit, um nachzudenken und zu reflektieren. Dann hat man den 6-jährigen Sohn am Telefon, der fragt: «Papi, wann kommst du endlich nach Hause?» Dann ist das schon nicht immer ganz einfach.

Sie waren nie mehr in der Schweiz?
Doch, im Juni mit einem Privatjet. Da hat mir der Unternehmer Samih Sawiris geholfen. Und weil im Sommer die Situation so ungewiss war, wollte ich für meinen bis 2021 laufenden Vertrag eine Ausstiegsklausel per Oktober haben. Die habe ich jetzt gezogen.

Der Klub hat Ihnen am Ende auch Vorwürfe gemacht. Warum?
Das kommentiere ich nicht.

Warum nicht?
Weil es nicht zielführend ist. Nur so viel: Die Begeisterung für diesen grossartigen Klub ist enorm. Man wird auf Händen getragen. Das kann aber auch sehr schnell kippen. Die Ägypter sind stolze Menschen. Und bei Al Ahly, dem grössten und populärsten Verein in Afrika, ist es ungewohnt, dass ein Trainer aussteigt. Je näher der 1. Oktober gerückt ist, desto nervöser wurde die Atmosphäre.

Man wollte Sie finanziell vergolden.
Geld spielte eine untergeordnete Rolle. Ich war über ein Jahr lang fast rund um die Uhr mit Fussball beschäftigt. Es war eine unglaubliche Erfahrung. Aber ein Leben neben dem Fussball hatte ich nicht. Am Anfang kam ja regelmässig meine Familie zu Besuch. Da waren wir schon mal auf dem Nil oder haben die Pyramiden besichtigt.

Und dann kam Corona?
Ja. Die Familie kam nicht mehr, dafür Corona und die Popularität. Ich konnte kaum mehr auf die Strasse, es war ein Spiessrutenlauf.

Sie waren im goldenen Käfig?
Ich war bei einem qualifizierten Verein unter schwierigen Lebensumständen. Beschreiben kann man das nicht, das muss man erlebt haben. Und Kairo ist eine pulsierende Stadt, die niemals schläft. Es war um mich herum unruhig und laut und in mir leise und einsam.

Nun verpassen Sie die Chance, neben dem Meistertitel auch die afrikanische Champions League zu gewinnen.
Das ist bedauerlich, zumal der Klub enorme Möglichkeiten hat. Infrastruktur und Organisation sind perfekt. Aber ich musste eine Entscheidung treffen, auch wenn das nicht alle verstehen wollen. Es gab auch Erfahrungen, die ich niemandem wünsche.

Zum Beispiel?
Beim Champions-League-Spiel im Sudan gegen Khartum wurde nach einer umstrittenen Schiedsrichterentscheidung der Platz gestürmt. Wir haben uns unter erheblichem Polizeischutz neben der Betreuerbank zusammengekauert und um unsere Gesundheit gefürchtet. Uns fuhr der Schreck in die Glieder.

Wie gut waren denn Ihre Spieler?
In Ägypten gibt es herausragende Talente. Es gibt mehrere Spieler mit dem Potenzial eines Mohamed Salah. Doch die Spieler sind auch sehr eigenwillig und stehen sich auch immer mal wieder selber im Weg.

Warum kommen nicht mehr dieser Talente in europäische Top-Ligen?
Wahrscheinlich, weil Sie in der Heimat schon sehr viel Geld verdienen und ungeheur populär sind. Da können sie auch ihre Kultur leben. Der Weg nach Europa schreckt einige ab.

Was nehmen Sie mit aus diesem Abenteuer?
Viele Erfahrungen fürs Leben. Und ich bin auch wieder etwas gelassener geworden. Ich rege mich jetzt am Gubrist jedenfalls weniger auf, wenn ich eine halbe Stunde im Stau stehe. In Kairo stehen sie auf sechs Spuren mehrere Stunden im Stau.

Sind Sie selber Auto gefahren?
Niemals, unmöglich. Das würde ich mir in diesem Gewusel nicht zutrauen. Mir stand immer ein Chauffeur zur Verfügung.

Sind Sie nun ein besserer Trainer?
Es ist ein Schritt in der Entwicklung. Ich war sehr jung Sportchef in St. Gallen. Da habe ich gemerkt, dass Trainerkurse und Sportstudium nicht genügen. Man muss das Theoretische mit Erfahrungen kombinieren. Da war jetzt Kairo ein Meilenstein. Ich durfte schon unbezahlbare Erfahrungen in Deutschland und in Belgien sammeln. Eben: Man wird gelassener, was sehr hilft. Beim zweiten Kind ist man bei der Erziehung auch nicht mehr so aufgeregt wie beim ersten.

Was kommt als nächste Herausforderung?
Ich lasse alles auf mich zukommen. Die Lust auf ein eher exotisches Abenteuer hält sich aber in Grenzen. Sorgen, dass es keine Angebote gibt, mache ich mir nicht. Schliesslich arbeitete ich bisher fast ausnahmslos erfolgreich.

Das gesunde Selbstvertrauen von René Weiler?
Selbstvertrauen heisst ja nur, sich selber zu vertrauen. Wie soll ich eine Gruppe erfolgreich führen, wenn ich mir selber nicht vertraue? Ich hoffe sehr, dass auch meine Kinder ein gesundes Selbstvertrauen haben. Jeder Mensch soll das haben.

Aber der Grat zur Arroganz ist schmal. Gerade in der Schweiz.
Muss ich mich kleiner machen, als ich bin, nur um Leuten zu gefallen? Ich weiss, Bescheidenheit ist eine Zierde. Und wer nicht stets demütig ist, hat Widerstände. Auch ich habe meine Defizite, doch im Fussball habe ich schon einen Leistungsausweis. Als Trainer fällt man pro Tag gegen 100 Entscheidungen. Die Mehrheit davon sollte richtig sein. Das gelingt mir meistens.

Aber nicht jedes Engagement endet in Harmonie.
Harmonie bedeutet im Leistungssport eher Stillstand. Nur der Erste ist der Beste, konstruktive Konflikte gehören dazu. Ich bin von starken Persönlichkeiten geprägt worden und ich möchte bei meinen Stationen auch Menschen prägen. Primäres Ziel ist, gemeinsam den maximalen Erfolg zu erreichen. Dafür kann ich sehr konsequent sein.

Ist der FC Zürich ein Thema für Sie?
Da gibts keinerlei Kontakte. Grundsätzlich schliesse ich nichts aus.

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