Herz-Drama um Schweizer Fussball-Profi Alessandro Martinelli (27)
«Würde ich weiterspielen, riskierte ich mein Leben»

Alessandro Martinelli ist 27 und Captain von Palermo, der Fussball sein Leben. Bis beim Tessiner im August ein Aneurysma in der Aorta festgestellt wird. Martinelli fällt in ein Loch. Rund drei Monate später trifft BLICK den Ex-Profi in seinem Elternhaus in Mendrisio.
Publiziert: 18.12.2020 um 10:52 Uhr
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Nachdenklich: Alessandro Martinelli ist nach elf Jahren in Italien zurück im Tessin.
Foto: TOTO MARTI
Michael Wegmann (Text), Toto Marti (Fotos)

Am 17. August bricht auf Sizilien die Welt des Tessiners Alessandro Martinelli zusammen. Bei einer ärztlichen Routineuntersuchung entdecken Ärzte einen Knollen in seiner Aorta. Dieser ist so gross, dass er lebensgefährlich ist, sollte Martinelli weiterhin Leistungssport betreiben. In einer Sekunde wird aus Martinelli, dem 27-jährigen Captain von US Palermo, ein Ex-Fussballer mit Herzproblemen.

«Man hat mir meinen Traum gestohlen»

«Die Ärzte haben gemeint, sollte ich weiterspielen, würde ich mein Leben riskieren», sagt Martinelli. Daraufhin konsultiert er Herzspezialisten in Palermo, Genua, Mailand und Lugano. Überall dieselbe niederschmetternde Diagnose. «Der Fussball war mein Leben. In einer Sekunde hat man mir meinen Lebensinhalt genommen, meinen Traum gestohlen.» Der ehemalige Schweizer Nachwuchs-Internationale fällt in ein Loch.

Auch sein Umfeld ist geschockt. Seine Mitspieler hätten sich ebenfalls schlecht gefühlt, erzählt Martinelli, «sie wussten gar nicht, was sie zu mir sagen sollen». Und er weiss nicht, was er in diesem Moment hören will. Mitleid? Zuspruch? Aufmunterung? Trost? Am liebsten nichts. «Ich habe mich verschlossen und isoliert und viel geweint», erzählt er.

Es geht ihm jeden Tag besser

Seit der Diagnose sind vier Monate vergangen. Martinelli weiss, dass es viel schlimmer hätte kommen können. «Mich schaudert es, wenn ich denke, was hätte passieren können.» Er sitzt an diesem Mittwoch­mittag am Esstisch in seinem Elternhaus in Mendrisio. Es gehe ihm besser. Noch nicht gut, aber jeden Tag besser, sagt er, «das habe ich vor allem meiner Verlobten Alice und meiner Familie zu verdanken. Sie haben sich um mich gekümmert und es geschafft, mich aus dem Loch zu ziehen.»

Mit seinem abrupten Karriereende hat er sich abgefunden. Damit hat er das Gröbste überstanden, aber nicht alles. Noch macht ihm seine Zukunft Angst. Da ist einerseits seine Gesundheit. «Ich weiss noch nicht, ob es schlimmer wird. Ob ich operieren muss.» Andererseits muss er sich im Leben neu orientieren. Eine neue Aufgabe finden, einen Job, Hobbys. Alles Dinge, die er eigentlich erst in einigen Jahren in Angriff nehmen wollte, peu à peu, während er seine Karriere ausklingen lässt.

«Es wird jetzt nicht einfacher»

Nun stellt sich die Frage, was er nach dem Fussball einmal sein will, ganz plötzlich. Das kann einen überfordern. Martinelli: «Noch weiss ich nicht, was ich machen werde. Es ist ja alles noch frisch. Aber es wird nicht einfacher. Ich habe keinen Schulabschluss, keine abgeschlossene Lehre. Ich habe als Teenager meine ganze Energie in meinen grossen Traum gesteckt. Zudem ist da noch das Virus.»

Ein gemeinsames Projekt mit Alice wird er nun auch ein paar Jahre früher als geplant in Angriff nehmen. Sie wollen das verfallene Gebäude neben seinem Elternhaus in ein gemeinsames Heim umbauen. «Aber erst will ich einen Job finden, das hat Priorität.»

U21-Nati mit Freuler, Widmer, Benito

Martinelli redet offen und ehrlich. Auf Italienisch, ein paar Worte Deutsch. Er hat einst im GC-Nachwuchs gespielt, ehe er im Sommer 2009 mit 16 zum FC Genua gewechselt ist. Elf Jahre hat er als Fussballer in Italien verbracht, bei Sampdoria, Brescia oder Venezia, meist in der Serie B, zuletzt als Captain bei Zwangsabsteiger Palermo in der Serie C. In der Schweiz kennt ihn deshalb kaum einer. Bis auf ein paar Einsätze in den Schweizer Nachwuchs-Nationalmannschaften hat er nie hier gespielt. Vor rund sieben Jahren zum letzten Mal. Da lief er zusammen mit den heutigen Nati-Spielern Remo Freuler, Silvan Widmer und Loris Benito für die U21-Nati gegen Kroatien in Lugano auf.

«Alessandro war ein intelligenter, sensibler Mensch mit einem starken linken Fuss», sagt sein damaliger Trainer, der heutige Nati-Direktor Pierluigi Tami. Und: «Ich wünsche Alessandro, dass er auch ohne Fussball glücklich sein kann.»

Auf die Frage, ob er in seinem Leben etwas anders machen würde, wenn er könnte, meint Martinelli: «Könnte ich nochmals zurück, würde ich die Schule erst fertig machen, bevor ich alles in meinen Traum investiere …»

Vielleicht muss er ja nicht ganz auf seine grosse Leidenschaft verzichten. Beim nächsten Arztbesuch im Februar kommt heraus, ob er künftig hobbymässig in der 2. oder 3. Liga kicken darf. «Das wäre eine wunderschöne Nachricht», sagt Martinelli.

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