Er will es also tatsächlich noch einmal wissen. Andere mögen mit 70 die Vogelkunde für sich entdecken. Christian Gross wird fünf Jahre nach seiner Pensionierung Trainer bei Zamalek in der höchsten ägyptischen Liga.
Das kommt überraschend, weil der Zürcher für die letzten fast vier Jahre praktisch von der Bildfläche verschwunden ist. Seit seinem Abgang bei Schalke 04 im Februar 2021. Und doch ist das Comeback irgendwie trotzdem logisch. Gerade weil seine letzten Auftritte im Scheinwerferlicht so schmerzhaft waren.
Der Abgang bei Schalke war seine grösste Enttäuschung
In zehn Ligaspielen gelang den Schalkern unter ihm nur ein Sieg. Er wurde von den deutschen Medien vorgeführt, weil er bei einem öffentlichen Auftritt den Spieler Can Bozdogan in Kan Erdogan umbenannte. Am Ende wurde gar von einer Spielerrevolte geschrieben.
Das sei die grösste Enttäuschung seiner Karriere, sagte Gross damals unmittelbar nach seinem Aus dem Blick. Grösser als der Stich, der ihm die Entlassung bei Tottenham versetzt hat, wo er 1998 gehen musste, obwohl er den Klub vor dem Abstieg bewahrt hatte. Härter als der Ärger darüber, dass die Young Boys 2012 seiner Meinung nach zu früh die Reissleine zogen.
Auf den Hinweis, dass die Laufbahn des erfolgreichsten Schweizer Fussballtrainers nach 15 Titeln auf drei Kontinenten doch eigentlich nicht so zu Ende gehen dürfe, gab Gross 2021 zu: «Es wäre kein Happy End für meine Karriere.»
Ein letzter Abgang, bei dem ihm der Stuhl schnöde vor die Tür gestellt wird? Das hätte auch total seinem Wesen widersprochen.
Härter als der Rest – das war ihm wichtig
Als er 2008 nach zehn Jahren und acht Titeln den FC Basel verlassen musste, wünschte er sich als Abschiedssong «Tougher Than the Rest» von Bruce Springsteen. Und während alle im ausverkauften Basler Stadion auf eine tränenreiche Abschiedsrunde warteten, verschwand er nach Schlusspfiff direkt in den Katakomben.
Härter als die anderen. Nur keine Schwäche zeigen, das Schicksal immer in den eigenen Händen halten. So hat er sich in der Öffentlichkeit stets gegeben.
Jetzt bietet ihm Zamalek noch einmal die Gelegenheit, gewisse Dinge geradezurücken. Die Chance, nicht als der Mann abzutreten, der bei Schalke an einem Himmelfahrtskommando gescheitert ist.
Sondern als jener Trainer, als der er in der Schweiz über Jahrzehnte bekannt war: einer, den die Aura des Erfolgs umgibt. Einer, der mit GC und Basel sechs Meistertitel und fünf Cuptrophäen gewonnen hat. Einer, der beide Klubs in die Champions League geführt hat und dafür auf Händen getragen wurde.
Ja, Christian Gross hat da noch eine Rechnung offen mit dem Fussball.
«Ich habe einen hohen Preis bezahlt»
Und es kommt noch etwas anderes dazu: Gross erzählt über sich selbst zwar, es falle ihm leicht, mit Dingen abzuschliessen. «Ich bin kein Freund von Abschieden», hat er einmal gesagt. «Das Leben geht ja weiter. Ich bin der Typ, der zum Bahnhof geht, in den Zug steigt und weg ist.»
Das mag bei ihm für Städte, Klubs und auch Menschen gelten. Die Schnitte sind scharf und konsequent. Aber es gibt eine grosse Ausnahme: den Fussball. Von ihm kommt er nicht los.
Ihm hat er fast sein gesamtes Leben untergeordnet. Eigentlich seit er 1967 als 13-Jähriger vom SV Höngg zu den Grasshoppers gewechselt ist.
«Ich habe für den Erfolg als Trainer einen hohen Preis bezahlt», hat Christian Gross in einem Interview mit der «NZZ» zu seinem 65. Geburtstag gesagt. «Freundschaften und Zweierbeziehungen haben gelitten.»
Er hat seine Opfer gebracht. Jetzt will er wissen, ob ihm das Spiel, das er so liebt, noch einmal etwas zurückgeben mag. Und wenn es nur ein paar Momente sind, in denen er die alte Leidenschaft wieder durch seine Adern pochen spürt.