Auch in der Stunde des allergrössten Erfolges verlor Frank Schmidt nicht seine Bodenständigkeit. Als er nach dem an Dramatik nicht zu überbietenden 3:2 beim SSV Jahn Regensburg in der letzten Runde im gerade von der DNA des 1. FC Heidenheim und der unglaublichen Mentalität seiner Mannschaft sprach, stürmten seine Spieler in den Raum der Pressekonferenz. Sie verpassten ihrem Trainer gleich mehrere Bierduschen.
Das nasse Spektakel ging ihm dann doch etwas zu lang, also sagte Schmidt ziemlich angesäuert: «Dann trainieren wir halt eine Woche länger – mir doch egal.» Und zwar nicht, weil er eine Spassbremse ist, sondern aus Respekt vor dem Gegner, der im Gegensatz zum FCH den falschen Knopf im Aufzug erwischt hatte: «Ich bitte um Entschuldigung, ich weiss, dass Jahn Regensburg heute abgestiegen ist. Und wer uns kennt, weiss, dass der Mensch im Vordergrund steht.»
Hamburg hat Elversberg, Heidenheim bekommt die Bayern
Dieser Frank Schmidt und sein 1. FC Heidenheim spielen in der kommenden Saison in der Bundesliga. Während Traditionsklubs wie Schalke 04, Hertha Berlin und der Hamburger SV künftig in der 2. Liga gegen Klubs wie die SV Elversberg und den SC Paderborn antreten, dürfen die Heidenheimer gegen die Bayern und Borussia Dortmund ran. Es ist das grösste Wunder, das Fussball-Deutschland erlebt hat.
In Anlehnung an das Heidenheimer Autokennzeichen HDH bezeichneten Spötter den Ort als «Hinter den Hügeln». Während das 50 Kilometer entfernte Ulm sein Münster hat und der Nachbarort Giengen den Steiff-Teddy, hat die 50'000-Einwohner-Stadt am Fluss Brenz jetzt einen Bundesligaverein und ihren König von Heidenheim: Frank Schmidt.
Vom Versicherungs-Job zum Trainerposten
Nach seiner Profilaufbahn (u.a. Alemannia Aachen, Wiener Sport-Club, SV Waldhof Mannheim) kehrte Schmidt 2003 in seine Heimat auf die Ostalb zurück. Er liess seine Karriere in Heidenheim ausklingen, kickte in der Oberliga und arbeitete in der Versicherungsagentur eines Freundes, ehe er im Oktober 2007 als Interimstrainer eigentlich nur für zwei Wochen einspringen sollte.
Jetzt sind schon über 15 Jahre daraus geworden. Zum Vergleich: Klubs wie der VfB, Schalke 04 oder der HSV haben seitdem jeweils über 20 Trainer verschlissen. «Es ist schon unglaublich, wie lange ich schon da bin. Jetzt habe ich schon fast ein Drittel meines Lebens als Trainer bei diesem Verein verbracht – Wahnsinn», sagte der verheiratete Vater von zwei erwachsenen Töchtern im Interview mit der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten. Im Sommer überholt er Volker Finke (früher SC Freiburg) als Trainer mit der längsten Amtszeit bei einem deutschen Profiklub. «Dieser Rekord», versicherte der 49-Jährige vor kurzem, «der interessiert mich nicht die Bohne.»
«Das ist einmalig, unfassbar»
Was den ehrgeizigen Coach antreibt, ist, diesen Verein weiterzuentwickeln, gemeinsam mit seinem kongenialen Partner, dem Vorstandsvorsitzenden Holger Sanwald. Der stürmte früher für den FCH-Vorgängerklub Heidenheimer SB und stieg 1994 als Abteilungsleiter Fussball ein. Vier Jahre später gelang aus der Landesliga (siebte Liga) der erste Aufstieg. Fünf weitere folgten.
«Das ist einmalig, unfassbar, sagenhaft, das übertrifft sogar die Erfolgsstory des SC Freiburg», sagt einer, der sich auf der Ostalb auskennt, wie wenig andere: der ehemalige Profi des VfB Stuttgart und frühere Heidenheimer Trainer Helmut Dietterle. Kontinuität heisst nicht nur für ihn das Zauberwort für diese märchenhafte Entwicklung. Fachkompetenz, Seriosität und Charakter zeichnen das FCH-Führungsduo aus. «Sie haben immer konsequent und gradlinig an ihrer Linie festgehalten, sich nie durch Kritik von aussen verunsichern lassen», weiss Dietterle.
Die Entscheidungsträger verstehen sich blind. Sie arbeiten füreinander mit grösstmöglicher Transparenz und Ehrlichkeit. Die Strukturen sind schlank, die Hierarchien eindeutig. «Sich irgendwo auszuheulen, das funktioniert in diesem Verein nicht», sagt Dietterle, der seinen früheren Spieler Schmidt schon damals als «unglaublich fleissigen und zuverlässigen Strategen» empfand.
Der Verein bekam nichts geschenkt, alles hat er sich hart erarbeitet. Mit einem feinen Näschen im Scouting und einer sehr guten Transferpolitik gelang es dem FCH, sich mit vergleichsweise bescheidenen finanziellen Mitteln immer weiterzuentwickeln. Spieler, die in Schmidts Profil passen, müssen zwingend die Tugenden Einsatz, Laufstärke, Intensität, Mentalität mitbringen.
Schnörkelloser Ergebnisfussball
Ob das für die Bundesliga reichen wird? Alle, die diesen Verein auf seinem Erfolgsweg begleitet haben, sind sich zumindest in einem sicher: Keiner wird die Bodenhaftung verlieren, keiner wird plötzlich vom eingeschlagenen Weg abrücken. Der Absturz von Nachbar SSV Ulm 1846 – 1999 unter Trainer Martin Andermatt in der Bundesliga – ist Warnung genug. «Der FCH wird geerdet bleiben, keine verrückten Transfers mit irgendwelchen Altstars machen», ist sich auch Dietterle sicher.
Klar ist: Der Etat steigt von knapp 40 Millionen Euro auf 55 Millionen Euro. Genauso sicher: Die Heidenheimer Spezialität, gut, gierig, aggressiv, stabil und strukturiert zu verteidigen, wird auch eine Etage höher zum Tragen kommen. Der abgeschlagene Vorjahres-Aufsteiger Greuther Fürth kam über die spielerische Schiene, wollte auch eine Etage höher mitspielen.
In Heidenheim wirds für die Bundesligisten ungemütlich
Heidenheim setzt auf schnörkellosen Ergebnisfussball. Daran dürften sich auch manche Bundesligisten die Zähne ausbeissen – ganz besonders in der engen Voith-Arena, die mit euphorischen Fans immer ausverkauft sein wird, aber nicht erstligatauglich ist. Eine Machbarkeitsstudie für den Ausbau des Fassungsvermögens von 15'000 auf 23'000 Zuschauer liegt vor. Baubeginn könnte 2024 sein, aber zunächst geht es nur mit einer Sondergenehmigung weiter, die aber Formsache ist.
Wie sagte ein Kenner der Szene vor kurzem: «Wenn der Mannschaftsbus von Bayer Leverkusen mit vier Brasilianern an Bord Anfang Februar bei minus vier Grad Celsius und Schneeregen zum Heidenheimer Stadion hochfährt, dann werden sie sich wundern und sich auf ganz viel Ostalb-Widerstand einrichten müssen» Dieser Ostalb-Widerstand wird angeleitet von Frank Schmidt, dem König von Heidenheim, der in seiner Geburtsstadt noch bis 2027 unter Vertrag steht.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Bayern München | 11 | 29 | 29 | |
2 | RB Leipzig | 10 | 10 | 21 | |
3 | Eintracht Frankfurt | 10 | 10 | 20 | |
4 | Bayer Leverkusen | 10 | 5 | 17 | |
5 | SC Freiburg | 10 | 2 | 17 | |
6 | Union Berlin | 10 | 1 | 16 | |
7 | Borussia Dortmund | 10 | 0 | 16 | |
8 | Werder Bremen | 10 | -4 | 15 | |
9 | Borussia Mönchengladbach | 10 | 1 | 14 | |
10 | FSV Mainz | 10 | 1 | 13 | |
11 | VfB Stuttgart | 10 | 0 | 13 | |
12 | VfL Wolfsburg | 10 | 1 | 12 | |
13 | FC Augsburg | 11 | -10 | 12 | |
14 | 1. FC Heidenheim 1846 | 10 | -2 | 10 | |
15 | TSG Hoffenheim | 10 | -6 | 9 | |
16 | FC St. Pauli | 10 | -5 | 8 | |
17 | Holstein Kiel | 10 | -13 | 5 | |
18 | VfL Bochum | 10 | -20 | 2 |