«Die Fifa war ein Scherbenhaufen»
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Infantino im BLICK-Interview:«Die Fifa war ein Scherbenhaufen»

«Ich wurde Chef einer durch Korruption vergifteten Firma»
Infantino bricht sein Schweigen!

«Ich wurde Chef einer durch Korruption vergifteten Firma», sagt Gianni Infantino (50). Er ist wütend wegen des Strafverfahrens gegen ihn und bricht sein monatelanges Schweigen zu den Treffen mit Bundesanwalt Michael Lauber.
Publiziert: 22.10.2020 um 01:01 Uhr
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Aktualisiert: 08.03.2021 um 16:06 Uhr
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Fifa-Präsident Gianni Infantino (50, r.) empfängt den Chefredaktor der Blick-Gruppe, Christian Dorer (l.), und BLICK-Fussball-Chef Andreas Böni im Fifa-Hauptsitz in Zürich.
Foto: TOTO MARTI
Christian Dorer, Andreas Böni (Interview) und Toto Marti (Fotos)

Montagabend in Zürich. Gianni Infantino (50) empfängt BLICK im Fifa-Hauptsitz, vor sich ein Espresso. Er spricht erstmals öffentlich über das Strafverfahren gegen ihn wegen der Treffen mit Bundesanwalt Michael Lauber (54). Der Vorwurf: Anstiftung zum Amtsmissbrauch.

Der Fifa-Präsident ist stinksauer. «Bis heute habe ich keine Ahnung, was mir vorgeworfen wird.»

Herr Infantino, erstmal können wir Sie beruhigen. Wir werden im Gegensatz zum Bundesanwalt alles protokollieren, was Sie sagen.
Gianni Infantino: Das hilft! (Lacht.)

Warum haben Sie monatelang geschwiegen?
Ich habe mit dem Kongress, den Verbänden und deren Präsidenten geredet. Aber es ist schwierig, etwas dazu zu sagen, weil ich drei Monate nach der Verfahrenseröffnung immer noch nicht weiss, was man mir vorwirft. Man warf mich der Weltöffentlichkeit zum Frass vor, ohne zu sagen, was ich falsch gemacht haben soll.

Fangen wir vorne an. 2016 wurden Sie zum Fifa-Präsidenten gewählt. Kurz darauf suchten Sie den Kontakt zur Bundesanwaltschaft. Warum?
Es liefen rund 20 Verfahren gegen Fifa-Funktionäre in der Schweiz, und nochmals so viele in den USA. Es war eine Sekunde vor zwölf. Dann hätten die amerikanischen Behörden die Fifa als kriminelle Organisation eingestuft und den Laden dichtgemacht. In dieser Situation wurde ich Fifa-Präsident, Chef einer durch Korruption vergifteten Firma. Es war meine Pflicht, den Kontakt zum Bundesanwalt zu suchen, um zwei Dinge zu signalisieren. Erstens: Wir räumen auf, ziehen Reformen durch und machen Geldflüsse transparent, damit sich die Dinge von früher nicht wiederholen.

Und zweitens?
Ich wollte Michael Lauber mitteilen: «Herr Bundesanwalt, bei der neuen Fifa sind nicht nur die Türen offen, sondern auch die Fenster.» Ich wollte ihm sagen, dass auch ich als neu gewählter Präsident mit der Bundesanwaltschaft voll kooperieren werde, denn die Fifa ist die geschädigte Partei in allen Verfahren.

Sie schrieben vor einem der Treffen in einer der geleakten Mails: «Ich werde versuchen, es der Bundesanwaltschaft zu erklären, da es ja auch in meinem Interesse ist, dass alles so schnell wie möglich geklärt wird, dass klar gesagt wird, dass ich damit nichts zu tun habe.»
Dazu stehe ich auch. Der von Ihnen zitierte Satz hört übrigens so auf: «. . . und dass diejenigen, die etwas Illegales getan haben, auch bestraft werden.»

Die Behauptung der «Football-Leaks-Medien» ist, dass Sie sich reinwaschen wollten wegen eines zweifelhaften TV-Vertrags, den Sie als Uefa-Generalsekretär unterschrieben.
Das ist fertiger Blödsinn! Ich weiss nicht, wer mich mit dieser Unterstellung anschwärzen wollte, aber daran stimmt hinten und vorne nichts. Dieser Uefa-Vertrag – einer von vielen hunderten welche ich im Laufe der Jahre mitunterschrieben hatte – wurde von der Bundesanwaltschaft gründlich untersucht und für mich als absolut problemlos erachtet. Ich bin da nie beschuldigt worden, es gab nie Untersuchungen oder gar ein Verfahren gegen mich. Ich habe den Vertrag auch nicht als Uefa-Generalsekretär unterschrieben, sondern in meiner vormaligen Funktion als General Counsel der Uefa. Alle Verträge benötigten zudem die Genehmigung von mehreren internen Stellen bevor diese unterzeichnet werden konnten.

Haben Sie mit Herrn Lauber über diesen Vertrag gesprochen?
Nie! Dieser Vertrag wie übrigens auch alle andern, die ich mitunterschrieben hatte, war in jeder Beziehung korrekt.

Ein Fehler war, dass Sie Ihren Kumpel, den Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold, zu den Treffen mit dem Bundesanwalt mitgenommen haben.
Warum soll das ein Fehler sein? Wenn Sie in der Schweiz auf die Welt kommen, dann sagt jeder, man könne den Behörden vertrauen. Das ist tief in meinem Kopf drin. Darum war es für mich naheliegend, dass ich einem Freund, der zusätzlich noch Oberstaatsanwalt ist, vertrauen kann. Weil er überdurchschnittliche ethische Grundsätze vertritt. So fragte ich ihn um Rat, um den Bundesanwalt zu treffen. Das ist sicher nichts Illegales.

Nein, aber es wirkt nach Kungelei, wenn der Oberstaatsanwalt dabei ist. Der gleiche, der von Ihnen WM- und Champions-League-Tickets bekam. Verstehen Sie nicht, dass dies eigenartig wirkt?
Zu solchen Gesprächen kann ich mich begleiten lassen von wem ich will, sofern der Bundesanwalt diese Person akzeptiert. Und wer, wenn nicht ein erfahrener Strafrechtler, dem ich vertraue, wäre denn als Begleitung besser geeignet gewesen? Ich befand mich ja noch nie in einer solchen Situation. Herr Lauber hätte sicherlich umgehend interveniert, wenn er darin irgend ein Problem gesehen hätte.

Warum wurden die Gespräche nicht protokolliert?
Das müssen Sie nicht mich fragen.

Haben Sie sich darauf verlassen, dass es gemacht wird?
Ehrlich gesagt, stellte ich mir diese Fragen gar nicht, warum auch? ich ging immerhin zum obersten Staatsanwalt der Schweiz. Das war für mich eine Garantie, dass alles korrekt abläuft. Das ist etwa gleich, wie wenn Ihnen das Portemonnaie geklaut wird und Sie auf den Polizeiposten gehen. Da erwarten Sie auch nicht, dass Sie von der Polizei noch zusammengeschlagen werde. Etwa so kommt es mir vor. Ich hatte in den Gesprächen das Gefühl, alles richtig zu machen. Ich glaubte, dass es von der Öffentlichkeit positiv bewertet wird, wenn man in einer solchen Situation mit dem Bundesanwalt aktiv den Kontakt sucht.

Warum trafen Sie sich im Hotel Schweizerhof?
Die Bundesanwaltschaft hat dies so vorgeschlagen. Für mich spielte es keine Rolle, ich wäre auch gerne in die Büros der Bundesanwaltschaft gegangen.

Niemand konnte sich ans dritte Treffen erinnern. Entschuldigung, aber das glaubt kein Mensch.
Die Treffen mit dem Bundesanwalt fanden vor vier Jahren statt. Wenn Sie mich heute fragen, was ich vor einem Monat zu Mittag ass und mit wem, dann kann ich Ihnen das nicht spontan sagen. Können Sie sich an eine Begegnung im Detail erinnern, die vor vier Jahren stattfand? Eben. Aber ganz sicher weiss ich, dass ich heute vor einem Monat niemanden bestohlen oder sonst etwas Illegales gemacht habe.

Trotzdem: Diese Erinnerungslücke ist unglaubwürdig.
Ich habe jede Woche, jeden Monat und jedes Jahr x Sitzungen mit x Personen. Da bin ich mir tatsächlich nicht sicher, ob ich Herrn Lauber zwei oder drei Mal getroffen habe. Ich habe deshalb auch nie ausgeschlossen, dass wir uns drei Mal trafen. Was ich aber weiss: Ich hätte mich auch 300 Mal mit ihm getroffen, wenn er es gewünscht hätte. Dass daraus etwas Illegales konstruiert wird, ist nicht nachvollziehbar. Es ist mein Recht und war meine Pflicht als Fifa-Präsident, den Bundesanwalt zu treffen, weil dies im Interesse der Fifa war. Die Unterstellungen einzelner Medien weise ich zu 100% zurück. Es ist nie irgendetwas zwischen mir und Herrn Lauber abgesprochen worden, weder vor noch während oder nach den Besprechungen.

Sie sind der Kopf der Fifa, welche gerne als kapitalistische Firma angesehen wird. Chef der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft ist Hanspeter Uster, ein Grüner und vormals Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei. Der ausserordentliche Staatsanwalt, der gegen Sie ermittelt, ist SP-Mitglied. Linke Politiker fordern, dass Sie in den Ausstand müssen. Vermuten Sie eine linke Verschwörung?
Nein, aber es gibt schon ein paar Fragen, die sich in diesem Verfahrenskomplex stellen. Zum Beispiel: Wie kann ein Sonderstaatsanwalt, der noch nicht gewählt worden ist, ein Verfahren eröffnen?

Hat es vielleicht auch mit dem fehlenden Vertrauen in die Fifa zu tun?
Es hat bestimmt damit zu tun. Wenn man die Fifa erwähnt, dann steht sofort Korruption im Raum, weil die Fifa über Jahre ein Selbstbedienungsladen für hunderte von Millionen war. Ich habe es verpasst, vor allem im deutschsprachigen Raum, die Fakten richtig zu kommunizieren. Das muss ich auf mich nehmen. Heutzutage ist die Fifa in der Welt wieder salonfähig. Ich war in den letzten Wochen beim Premierminister in Italien, beim Präsidenten in Frankreich, beim US-Präsidenten und beim US-Bundesanwalt. Wenn es im Ausland Zweifel an meiner Integrität oder an der Integrität der neuen Fifa gäbe, dann wäre das gar nicht möglich.

Glauben Sie, dass die Geschichte gefährlich werden kann für Sie?
Nein. Aber ich muss schon ehrlich sein, dass es mich sehr trifft, auch meine Familie, jeden Fifa-Angestellten, jeden Präsidenten eines Fifa-Verbandes. Der Imageschaden ist enorm. Darum muss man das jetzt so schnell als möglich aufklären. Ich werde deshalb die Fragen des ausserordentlichen Staatsanwalts jederzeit gerne beantworten.

Viele Ihrer Daten wurden öffentlich. Wie viel hat «Football Leaks» mit dem Verfahren zu tun?
Ich glaube nichts. Wenn man alle meine Mail durchforstet und das einzige, was man mir ankreiden kann, ist, dass ich den Bundesanwalt getroffen habe, dann ist das wenig, oder? Wenn die Schweizer Medien und die Politik zehn Prozent der Energie, die sie auf diesen Fall verwendet haben, in die Kriminalitätsbekämpfung investiert hätten, dann gäbe es heute in der Schweiz weniger Kriminalität. Aber es ist wahrscheinlich der Preis, den man bezahlen muss, wenn man heute Fifa-Präsident ist. Da wird man oft angeschossen.

Von wem?
Von Leuten, welche die Reformen nicht möchten. Von Menschen, die wieder zurück in die Vergangenheit wollen oder etwas zu verstecken haben. Als ich 2016 übernahm, war die Fifa ein Scherbenhaufen.

Wann ist das Tuch zwischen Ihnen und Ihrem Vorgänger Sepp Blatter zerrissen?
Da gab es nie ein Tuch, das hätte zerrissen werden können.

Direkt nach Ihrer Wahl trafen Sie sich, tranken zusammen Rotwein und assen Trockenfleisch. Sagten Sie ihm damals schon, er hätte Ihnen einen Scherbenhaufen hinterlassen?
Nein, ich konnte den Schaden damals noch nicht überblicken. Genau kann ich ihn heute noch nicht beziffern. Fakt ist aber, dass wir finanziell heute gut dastehen. Wir verfügen über 2,7 Milliarden Franken Reserven, bei meinem Amtsantritt war es eine Milliarde. Und wir können, wie ich es vor der Wahl versprochen hatte, jedem Verband jährlich 1,5 Millionen an Entwicklungsgeldern bezahlen. Aber ich kann nicht ausschliessen, dass es immer noch Verbände gibt, die lieber wie früher 300'000 Dollar Unterstützung statt der 1,5 Millionen hätten.

Warum das?
Früher versickerten die 300'000 irgendwo, heute kontrollieren wir jeden Franken. Und schauen Sie sich mal die Finanzberichte bis 2015 an: Da standen unter «Andere Kosten» da mal 150 Millionen und dort mal 165 Millionen. Niemand wusste, wo das Geld hin floss. Heute weiss man bei jedem Franken in der Fifa, wo er reinkommt und wo er rausgeht. Das ist eine fundamentale kulturelle Änderung in diesem Haus, die wir erreicht haben und auf die ich stolz bin.

Auch personell veränderten Sie vieles: Sie ersetzten die Ethikkommission mit Richter Hans-Joachim Eckert und Ermittler Cornel Borbély. Weil die beiden Ihnen gefährlich werden konnten?
Nicht ich habe die Nachfolgerin beziehungsweise den Nachfolger der beiden gewählt, deren Amtszeit statutengemäss abgelaufen war, sondern der Kongress hat das gemacht, da habe ich nicht mal eine Stimme. Ich erkläre es Ihnen: Bei der Fifa gibt es fünf unabhängige Kommissionen. Vor meiner Zeit war der Präsident Schweizer. Der Präsident der Disziplinarkommission? Schweizer. Der Vorsitzende der der ermittelnden Ethikkommission? Schweizer. Der Chefaufseher? Schweizer. Der Richter der Ethikkommission? Ein Deutscher, der 200 Kilometer von hier wohnt. Der einzige, der nicht Schweizer war, war der Präsident der Berufungskommission. Das war der Chef des Fussballverbands Bermuda. Ein super Typ, der Blatter seine Stimme gab. Ich glaube nicht – und das sage ich als Schweizer –, dass das für eine weltumspannende Organisation repräsentativ ist. Darum reagierten wir 2017, als die Mandate der betreffenden Personen statutengemäss ausliefen und die Präsidenten der Kommissionen zum ersten Mal seit Jahrzehnten in einem offenen, demokratischen Verfahren gewählt wurden.

Früher besprach der Reformchef Mark Pieth die Kandidaten für die Gremien mit Sepp Blatter.
Genau das darf eben nicht sein! Genau das wurde geändert. Es ist nicht mehr der Fifa-Präsident, der irgendeinen Kollegen von einem Kollegen portieren kann. Diese Günstlingskultur war gang und gäbe und weit verbreitet innerhalb der Fifa. Heute werden die Vorschläge nicht mit dem Präsidenten allein besprochen, sondern im Fifa-Rat. Und da bin ich einer von 37.

Borbélys Nachfolgerin Claudia Maria Rojas wurde Ihnen als «Superamiga» von einem kolumbianischen Funktionär empfohlen, hiess es in den «Football Leaks»-Papieren.
Sie ist die ehemalige Präsidentin des Staatsrates von Kolumbien und hoch qualifiziert. Und es ist Aufgabe der Verbände, Ideen einzubringen. Sie ist eine Top-Frau – wie auch Vassilios Skouris, der Vorsitzende der Ethikkommission, ein Top-Mann ist. Er ist ehemaliger Präsident des Europäischen Gerichtshofs. Wir sind rein fachlich heute viel hochkarätiger aufgestellt als vor meiner Zeit als Präsident.

Diese Leute bekommen für den Posten 250'000 bis 300'000 Franken. Wie sollen sie da unabhängig gegenüber der Fifa sein?
Dazu drei Bemerkungen: die Bezüge der Kommissionsmitglieder der Fifa werden heute von einem unabhängigen Entschädigungskomittee festgelegt und nicht von der Fifa-Administration, wie es vorher der Fall war. Zweitens: Heute arbeiten die Mitglieder der Ethikkommission intensiv. Vor den Verhaftungen im Baur au Lac entschied die Kommission im Schnitt über zwei Fälle pro Jahr, seither sind es rund zwanzig! Drittens: Heute werden die Entschädigungen publiziert, während sie früher oft ein Vielfaches von den heutigen Bezügen ausmachten und zudem geheim waren. Und ich nenne noch ein Beispiel aus der Vergangenheit: Im März 2015 wollte die Schweiz das Korruptionsgesetz verschärfen, insbesondere sollte Privatkorruption unter Strafe gestellt werden. Ich wurde damals noch als Uefa-Generalsekretär von der vorberatenden parlamentarischen Kommission nach Bern eingeladen, die Fifa war auch vertreten. Ich war für eine harte Gangart in Bezug auf die Strafbarkeit von Privatkorruption, die Fifa für eine weiche nach dem Motto: Wir haben eine Ethikkommission, alles funktioniert super. Zwei Monate später erfolgten die 20 Verhaftungen im Baur au Lac!

Könnte ein Land wie Katar in der neuen Fifa eine WM bekommen?
Ja, heute kann jedes Land eine WM zugesprochen erhalten, wenn es in einem offenen, transparenten und kontrollierten Wahlverfahren genügend Stimmen für sich mobilisieren kann. Ich bin stolz, dass wir auf dieser Grundlage die WM 2026 ohne irgendwelche Nebengeräusche oder gar Skandale vergeben konnten.

Was wollen Sie noch erreichen?
Ich will den Fussball noch globaler machen. Ich hoffe, dass Länder wie China und die USA noch relevanter werden. Damit der neue Messi oder Ronaldo in zehn Jahren sich auch vorstellen kann, nicht nur bei Barcelona oder Real Madrid zu spielen, sondern auch in Los Angeles oder Peking. Und natürlich will ich den Frauen-Fussball weiter fördern. Die WM 2019 in Frankreich war ein Riesenerfolg: Mehr als 1,1 Millionen Fans in den Stadien, mehr als eine Milliarde TV-Zuschauer! Allein den Final schauten 263 Millionen, also mehr als den Super Bowl in den USA, der 150 bis 200 Millionen generiert. Zahlen lügen nicht, das Potenzial ist riesig. Vielleicht kann man mit einer Frauen-WM, die alle zwei Jahre stattfindet, den Frauen-Fussball noch mehr pushen.

Arsenals Trainer-Legende Arsène Wenger, inzwischen auch Fifa-Mitarbeiter, schlägt das auch bei den Männern vor.
Es geht darum, wie man den Fussball mit weniger Spielen attraktiver vermarkten kann. Weniger, dafür relevanter. Wie in der NFL, wo man drei Monate plus Playoffs spielt und am meisten Geld umsetzt. Darum wollen wir eine Klub-WM machen, wo man weniger Spiele hätte als mit dem Confederations Cup, der gestrichen wurde.

Reden wir über Corona: Machen Ihnen die explodierenden Fallzahlen Angst?
Angst ist der falsche Ausdruck. Man muss als Person und als Institution wachsam bleiben. Gesundheit ist das wichtigste Gut. Uns ist bewusst geworden, wie klein und verletzlich wir sind. Ein Mikro-Virus legt die ganze Welt lahm. Ich habe Verwandte, die in Norditalien in Spitälern arbeiten, sie haben harte Monate hinter sich. Das ist die menschliche Seite, aber auch um den Fussball muss man sehr besorgt sein.

Die Klubs haben Angst ums Überleben.
Der globale Umsatz im Fussball beträgt 42 Milliarden Dollar, 30 Prozent sind bisher verloren gegangen. Wir als Fifa müssen helfen, wo wir können. Wir haben 1,5 Milliarden Dollar für die Verbände zur Verfügung gestellt. Bei 211 Verbänden bleibt da natürlich nicht sehr viel übrig. Aber für die kleinen Länder, die eh schon wenig haben, ist es trotzdem sehr wichtig für ihr Überleben. Mehr als 100 der 211 Landesverbände leben nur von den 1,5 Millionen, die sie jährlich als Fifa-Subventionen bekommen. So konnte sich zum Beispiel in Ghana die Frauen-Mannschaft FC Fabulous einen Bus kaufen, um an die Spiele zu fahren.

Finden Sie es richtig, dass man in der Schweiz noch mit Zuschauern spielt?
Meines Wissens kam es bisher bei den Spielen mit Zuschauern zu keinen Ansteckungen. Das zeigt, dass die Schutzkonzepte funktionieren und die Zuschauer in der Schweiz diszipliniert sind. Solange ein Schutzkonzept gelebt wird, sollte man das so weiterführen. Es ist wichtig, dass man den Leuten Hoffnung gibt.

Glauben Sie, dass Ablösesummen und Gehälter durch die Krise sinken könnten?
Ich hoffe, dass die neue Normalität besser ist als die alte, ja.

Wie halten Sie von 222 Millionen Euro Ablöse für einen Spieler wie Neymar?
Wenn man es stemmen kann, ist es kein Problem. Es geht um Angebot und Nachfrage. Gleichzeitig sind gewisse Beträge tatsächlich jenseits von Gut und Böse und schaden dem Fussball. Ich hoffe, dass sich gewisse Klub-Manager in der Corona-Zeit Fragen stellen, wie man einen Verein führt. Zum Beispiel, wenn es um Reserven geht.

Ist dies mit ein Grund, warum die Fifa die Spieler-Berater an die Leine nehmen will?
Wir wollen die Reputation des Fussballs verbessern. Alles, was mit Transfers zu tun hat, ist ein Bereich, den man transparent machen muss. Von Ablösesummen, Gehältern bis Spielervermittler-Provisionen. Es kann nicht sein, dass Millionen-Beträge ungeregelt versickern.

Beim Wechsel von Paul Pogba von Juventus zu Manchester United soll Berater Mino Raiola 49 Millionen Euro kassiert haben.
Zu diesem Fall kann ich mich nicht äussern. Falls es jedoch um solche Grössenordnung bei Transfers geht, dann ist es schlecht. Die EU sagt uns seit Jahren, dass wir im Transferwesen aufräumen sollen. Darum müssen wir die Spieleragenten anschauen. Als Spieler musst du den Überblick haben: Wer ist dein Agent? Wer ist der des Klubs? Was wird für wen bezahlt? Es muss transparent sein. Sonst hat man immer das Gefühl, dass etwas Lusches läuft.

8 bis 10 Prozent bekommen die Berater am Jahres-Lohn Ihrer Klienten. Die Fifa will dies bei 3 Prozent deckeln und alles über eine eigene Bank laufen lassen.
Drei Prozent sind immer noch stattlich. Und vergleichbar mit einem Broker, der Versicherungen vermittelt. Und auch da gibt es gewisse Regeln, anders als im Fussball. Das ist für mich nicht normal. Ein Beispiel.

Bitte.
Es gibt bei Transfers einen Solidaritätsbeitrag von fünf Prozent an die Klubs, die den Spieler ausgebildet haben. In einer Sommer-Transferphase werden normalerweise 6 Milliarden Dollar ausgegeben. Fünf Prozent sind 300 Millionen, die an Ausbildungsklubs fliessen sollten. In Wahrheit sind es aber nur 50 Millionen. 250 Millionen versickern irgendwo, weil die kleineren Klubs gar nicht wissen, dass sie Anrecht darauf hätten. Das kann doch nicht sein und ist ein Grund, warum wir es als Fifa die Zahlung dieser Solidaritätsbeiträge zentral an die Hand nehmen und automatisch auszahlen möchten.

Sie treffen regelmässig Donald Trump im Oval Office. Sind Sie vor solchen Treffen nervös?
Mittlerweile weniger. Aber es ist schon speziell im Weissen Haus. Da spürt man den Druck der Geschichte.

Gehen diese Treffen über Smalltalk hinaus?
Damit beginnts natürlich. Aber es ist mit einem wirtschaftlich denkenden Präsidenten auch spannend, über das Potenzial des Fussballs in den USA zu sprechen und über die WM in Kanada, Mexiko und den USA. Und es hilft, dass sein Sohn Fussball spielt. Im Garten des Weissen Hauses steht sogar ein Tor.

Welcher Staatsmann, welche Staatsfrau beeindruckt Sie?
Lassen Sie mich so antworten: Wenn der Fifa-Präsident von der G20 eingeladen wird und mit den 20 mächtigsten Staatsfrauen und Staatsmännern über die gesellschaftliche Bedeutung des Fussballs auf der Welt diskutiert, so ist das schon sehr eindrücklich und zeigt die Anerkennung, welche die Fifa weltweit geniesst.

Was kann Fussball politisch bewirken?
Extrem viel, gerade im gesellschaftlichen Bereich. Zum Beispiel im Iran. Seit der Revolution 1979 durften Frauen nicht mehr ins Stadion. Ich besprach das mit Präsident Hassan Rohani, mit allem Respekt. Ein paar Monate später stand eine iranische Mannschaft im asiatischen Champions-League-Final und man lud mich ein. Ich sagte zu, unter der Bedingung, dass auch Frauen ins Stadion dürfen. 1500 Frauen waren da! Nach dem Spiel traf ich Männer mit Tränen in den Augen. Da dachte ich: Doch, mein Job ist doch richtig schön.

Infantino persönlich

Gianni Infantino kommt 1970 in Brig VS auf die Welt. Als Kind kämpft er sogleich ums Überleben, benötigt eine seltene Blutgruppe und wird dank Spenden aus Serbien und England gerettet.

Seine Mutter führt den Kiosk am Bahnhof, wo sein Vater als Bahnarbeiter eine Stelle hat. «Ich wuchs bescheiden auf, aber mir fehlte nie etwas. Dass mir Werte wie Arbeit und Disziplin mitgegeben wurden, war wichtig.» Ihn prägt seine Herkunft und was er sieht: «In Brig kamen alle Immigranten aus Italien in den 70iger Jahren an, ich erlebte den problematischen Umgang mit ihnen, aber ich erlebte auch die grosse integrative Kraft der Schweiz. Darum setze ich mich auch so vehement gegen Rassismus ein.»

Nach seinem Jus-Studium arbeitet Infantino als Generalsekretär des Internationalen Zentrums für Sportstudien (CIES), danach geht er 2000 zur Uefa, wo er sich bis zum Generalsekretär hocharbeitet. 2016 wird er als Nachfolger von Sepp Blatter zum Fifa-Präsidenten gewählt.

Infantino ist mit einer Libanesin verheiratet und vierfacher Vater.

Gianni Infantino kommt 1970 in Brig VS auf die Welt. Als Kind kämpft er sogleich ums Überleben, benötigt eine seltene Blutgruppe und wird dank Spenden aus Serbien und England gerettet.

Seine Mutter führt den Kiosk am Bahnhof, wo sein Vater als Bahnarbeiter eine Stelle hat. «Ich wuchs bescheiden auf, aber mir fehlte nie etwas. Dass mir Werte wie Arbeit und Disziplin mitgegeben wurden, war wichtig.» Ihn prägt seine Herkunft und was er sieht: «In Brig kamen alle Immigranten aus Italien in den 70iger Jahren an, ich erlebte den problematischen Umgang mit ihnen, aber ich erlebte auch die grosse integrative Kraft der Schweiz. Darum setze ich mich auch so vehement gegen Rassismus ein.»

Nach seinem Jus-Studium arbeitet Infantino als Generalsekretär des Internationalen Zentrums für Sportstudien (CIES), danach geht er 2000 zur Uefa, wo er sich bis zum Generalsekretär hocharbeitet. 2016 wird er als Nachfolger von Sepp Blatter zum Fifa-Präsidenten gewählt.

Infantino ist mit einer Libanesin verheiratet und vierfacher Vater.

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