Fussball-Legende Raimondo Ponte
Angriff von Fans! «Ich hätte tot sein können»

Willkommen in den guten alten Zeiten. Raimondo Ponte über einen gefährlichen Steinwurf, Feuer im Wohnzimmer, eine Zugreise mit 400'000 D-Mark im Köfferchen und Ausfahrten mit Günter Netzers Ferrari.
Publiziert: 18.02.2025 um 17:23 Uhr
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Aktualisiert: 19.02.2025 um 09:27 Uhr
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Raimondo Ponte blickt auf ein spannendes Leben im Fussball zurück.
Foto: TOTO MARTI
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Daniel LeuStv. Sportchef

Herr Ponte, waren Sie schon mal in Mexiko?
Raimondo Ponte: Ja, mit GC. Ich weiss aber nur noch, dass wir ein Testspiel klar verloren hatten und wir anschliessend ans Meer gingen.

1985 erschien Ihre Biografie «Auf dem Weg nach Mexiko». Auf Seite 176 endet das Buch aber abrupt.
Dass wir uns dann doch nicht für die WM 1986 in Mexiko qualifiziert hatten, war eine riesige Enttäuschung. Doch etwas muss man berücksichtigen: Damals schafften es deutlich weniger Teams an eine WM. Kein Vergleich zu heute.

Die WM in Mexiko hätte Ihr Höhepunkt als Fussballer werden sollen. Träumten Sie schon als Kind davon?
Wenn wir als Kind Fernsehen schauten, sagte ich immer: «Ich will auch mal im TV kommen.» Ich habe deshalb schon sehr früh für den Sport gelebt und einen grossen Willen gehabt.

Raimondo Ponte

Der 69-Jährige wurde mit GC dreimal Meister, zweimal Cupsieger, einmal Ligacupsieger und schaffte es 1977/78 im Uefa-Cup bis in den Halbfinal. Dabei wurde er auch Torschützenkönig (10 Tore in 10 Spielen), vor Spielern wie Rummenigge, Sparwasser oder Cruyff. Mit Nottingham lief er 1980 im Weltpokal auf. Als Trainer hatte er zahlreiche Stationen: von Aarau bis Zürich, von Baden bis Chiasso. Er lebt mit seiner Frau Maria in Oberrohrdorf AG.

Der 69-Jährige wurde mit GC dreimal Meister, zweimal Cupsieger, einmal Ligacupsieger und schaffte es 1977/78 im Uefa-Cup bis in den Halbfinal. Dabei wurde er auch Torschützenkönig (10 Tore in 10 Spielen), vor Spielern wie Rummenigge, Sparwasser oder Cruyff. Mit Nottingham lief er 1980 im Weltpokal auf. Als Trainer hatte er zahlreiche Stationen: von Aarau bis Zürich, von Baden bis Chiasso. Er lebt mit seiner Frau Maria in Oberrohrdorf AG.

Ihre ersten acht Lebensjahre haben Sie noch in Italien verbracht.
Wir wuchsen in Licignano auf, einem Vorort von Neapel. Mein Vater besass ein Schuhmacher-Geschäft, doch irgendwann konnten immer mehr Kunden ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. Als ich zwei war, stieg er deshalb in den Zug und reiste Richtung Schweiz. Er hatte keine Ahnung, wohin er gehen sollte. Weil er auf der Fahrt jemanden aus Wohlen kennenlernte, landete er dort, ohne auch nur ein Wort Deutsch zu sprechen. Als er in Windisch Arbeit fand, fuhr er jeden Tag, egal bei welchem Wetter, mit dem Velo von Wohlen nach Windisch und abends wieder zurück. Zwei Jahre später zog auch meine Mutter in die Schweiz.

Und was passierte mit Ihnen?
Ich wuchs bei der Tante auf und meine beiden älteren Brüder bei den Grosseltern. Als ich acht war, kamen wir ebenfalls in die Schweiz, und wir waren endlich wieder vereint, auch mit meiner Schwester, die 1960 in der Schweiz zur Welt gekommen war.

Auch Sie konnten damals kein Wort Deutsch.
Ich kam zuerst direkt in die 3. Klasse, doch ich verstand dort nichts. Um besser Deutsch zu lernen, wechselte ich deshalb in die 1. Klasse.

1970 kam die Schwarzenbach-Initiative vors Volk, die den Ausländeranteil begrenzen wollte.
Mein Vater hatte die Koffer schon gepackt. Wäre die Initiative angenommen worden, wären wir zurück nach Italien gegangen. Doch zum Glück wurde sie abgelehnt.

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«Bei GC hiess es zuerst ‹Hau ab›»
Raimondo Ponto über seinem Wechsel zu den Grasshoppers
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Ihre Fussballkarriere nahm im gleichen Jahr mit dem Wechsel zum FC Aarau so richtig Fahrt auf.
Ich spielte zuvor beim FC Windisch. Dort hatte mich der Aarau-Spielertrainer Werner Olk entdeckt. Da meine Eltern gar nicht Auto fahren konnten, fuhr ich jeweils nach der Schule mit dem Zug von Windisch nach Aarau ins Training und kam erst spät abends wieder zu Hause an. Doch mir war das egal, Hauptsache Fussball spielen.

1975 wechselten Sie mit 19 zum grossen GC.
Das war eine andere Welt. Als es gleich zu Beginn eine Spieleraussprache gab und ich mich dazusetzen wollte, hiess es nur: «Was willst du denn hier? Das ist nichts für dich. Hau ab.» Und auch die Trainings waren brutal. Das war oft ein richtiges Gemetzel. Manchmal wurden die Spieler beim Trainingsplatz einfach in die Brennnesseln geworfen.

1976 kam der grosse Günter Netzer zu GC. Wie wars mit ihm?
Hervorragend. Er flog pro Woche meist zweimal zurück nach Deutschland. Ich fuhr ihn dann jeweils mit seinem Ferrari an den Flughafen, und während er in seiner Heimat war, durfte ich seinen Ferrari behalten. Wenn ich mit dem durch Windisch fuhr, kriegte das natürlich das ganze Dorf mit.

1980 zog es Sie auf die Insel zum damaligen Spitzenteam Nottingham Forest. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Wir hatten zuvor mit GC gegen Nottingham gespielt. Offenbar fiel ich dabei auf. Irgendwann kam das Telefon, und es hiess, Trainer Brian Clough werde mich beim nächsten Spiel besuchen und beobachten. Da ich kaum Englisch konnte, mein älterer Bruder aber schon, trafen wir uns nach dem Spiel zu dritt.

Es war schon wieder ein Neustart in Ihrem Leben.
Manchmal fiel in der Kabine mein Name, gefolgt von einem grossen Gelächter, doch ich verstand nichts davon. Deshalb ging ich dann freiwillig zu einer Lehrerin und lernte Englisch. Die Sprache war das Wichtigste, das lehrte ich später auch als Trainer meine Spieler.

Wie wars in England?
Es war eine andere Welt. Damals durften in England pro Partie nur zwölf Spieler eingesetzt werden. Deshalb hing am Freitag um 13 Uhr in der Kabine jeweils ein Zettel mit den zwölf Namen drauf. Fehlte dein Name, wusstest du, dass du dieses Wochenende auf der Tribüne Platz nehmen musstest. Als ich einmal nicht spielte, ging ich zu Clough ins Trainerbüro. Ich fragte ihn: «Why I didn’t play?» Seine Antwort war nur: «Fuck off.» Spätestens ab diesem Zeitpunkt war für mich klar: Es geht nur über Leistung, und ich ging auch nie mehr in sein Büro. Ein anderes Mal erklärte er uns, wir hätten morgen frei. Am nächsten Tag war er aber trotzdem da. Er wollte schauen, wer trotz freiem Tag zum Trainieren kommt. Wer es nicht tat, landete auf der Tribüne.

Warum wechselten Sie nach nur einem Jahr nach Bastia?
Das war rückblickend betrachtet mein grösster Fehler. Ich hätte in England bleiben sollen, da dort das Niveau unglaublich hoch war. Doch auch Bastia war unglaublich. Wir verloren zu Hause kein Spiel.

Warum nicht?
Nicht nur, weil wir so gut waren, sondern auch, weil die Schiedsrichter vor unseren heissblütigen Fans Angst hatten. Einmal lagen wir zu Hause gegen Auxerre zurück. Da fiel plötzlich das Flutlicht aus, die Strassenbeleuchtung ums Stadion herum funktionierte aber noch einwandfrei … Dadurch musste das Spiel abgebrochen werden.

Einer Ihrer Mitspieler auf Korsika war Roger Milla.
Er war ein genialer Fussballer, aber ein Heisssporn. Wenn er im Training attackiert wurde und der Trainer kein Foul pfiff, drehte der so richtig durch, und man musste das Training abbrechen, weil sonst noch mehr passiert wäre. Zudem hatte er Flugangst. Wir flogen immer mit kleinen Flugzeugen zu den Auswärtsspielen, da gab es oft heftige Turbulenzen. Er hingegen nahm immer einen Linienflug nach Paris und reiste dann von dort zu den Spielen weiter. Als mich nach einem Jahr Bastia GC-Trainer Hennes Weisweiler anrief und fragte, ob ich zurückkäme, sagte ich sofort zu.

Unsere «Wir waren Helden»-Rubrik gibts jetzt auch als Buch

Das 332-seitige Hardcover-Buch «Wir waren Helden» ist ab sofort im Fachhandel erhältlich. Darin enthalten sind 30 Interviews mit Schweizer Sport-Legenden – von Jörg Abderhalden bis Beat Breu, von Denise Biellmann bis Ariella Kaeslin. Das Buch kostet 39 Franken, ISBN-Nummer 978-3-03875-567-8. Zu bestellen unter beobachter.ch/shop.

Das 332-seitige Hardcover-Buch «Wir waren Helden» ist ab sofort im Fachhandel erhältlich. Darin enthalten sind 30 Interviews mit Schweizer Sport-Legenden – von Jörg Abderhalden bis Beat Breu, von Denise Biellmann bis Ariella Kaeslin. Das Buch kostet 39 Franken, ISBN-Nummer 978-3-03875-567-8. Zu bestellen unter beobachter.ch/shop.

Wenn wir schon bei grossen Namen sind: Als Sie sich 1984 bei GC verletzten, machten Sie die Reha in Neapel.
Dort lernte ich dann Maradona kennen. Was er mit dem Ball machte, war unglaublich. Oft standen wir nur mit offenen Mündern auf dem Trainingsplatz. Er hatte immer die Schnürsenkel offen, und oft flogen ihm deshalb bei Schüssen die Schuhe ab. Ich war auch ab und zu in seiner Villa, mit traumhaftem Blick aufs Meer. Doch gleich nebenan herrschte Armut. Weil auch er aus armen Verhältnissen stammte, gab er den Menschen beim Vorbeifahren oft etwas zu essen oder Geld. Und auch auf seine Mitspieler schaute er. Er brachte fast jeden Tag Kuchen oder Guetzli mit, die er in der Kabine auflegte. Er war ein herzensguter Mensch, doch leider gab es Personen in seinem Umfeld, denen es nur um die Kohle ging und die ihn ausnutzten und manipulierten.

Wir machen jetzt einen Sprung von Ihrer Spieler- zu Ihrer Trainerkarriere. In der haben Sie viele Fussballer entdeckt, allen voran Shabani Nonda.
Ich war damals in Südafrika und wollte mir eigentlich einen anderen Spieler anschauen. Beim Spiel, das vor rund 50’000 Zuschauern stattfand, war ich der einzige Weisse im Stadion. Als ich Nonda sah, wusste ich: Den müssen wir verpflichten. Deshalb rief ich meinen Präsidenten Sven Hotz an. Der sagte nur: «Dann nehmen Sie ihn mit.»

Wie hoch war damals die Ablöse?
Soll ich Ihnen etwas verraten? Der Transfer kostete uns bloss die alten FCZ-Trainings- und Spielutensilien.

Stimmt die Legende, dass Sie Nonda zuerst noch im Wallis verstecken mussten?
Ja, an die Details kann ich mich nicht mehr ganz genau erinnern. Er hatte aber hier noch keinen Vertrag unterschrieben. Und als der FCZ nach Italien ins Trainingslager ging, konnte er nicht mit, weil er kein Visum hatte. Deshalb versteckte ich ihn im Wallis im Chalet eines Kollegen, weil wir Angst hatten, dass er plötzlich bei einem anderen Klub unterschreiben könnte.

Nonda zog dann bei Ihnen zu Hause in Oberrohrdorf ein.
Zuerst einmal musste ich meine Frau davon überzeugen, dass wir hier ein Zimmer für ihn frei machen. Auch andere afrikanische Spieler, wie später Ike Shorunmu oder Shaun Bartlett, wohnten dann in meiner Nachbarschaft in Oberrohrdorf. Das war super, da ich hier auch eine Deutschlehrerin kannte, die ihnen die Sprache näherbrachte.

Sie haben über Nonda mal gesagt: «Er kam direkt aus dem Dschungel in die Schweiz.» Wie schwierig war es, solche Spieler zu integrieren?
Für diese afrikanischen Spieler war das eine neue Welt. Einmal wurde ich in eine Wohnung eines Spielers gerufen. Weil ihm kalt war, machte der am Boden im Wohnzimmer einfach ein Feuer. Für mich war immer klar: Wenn du Afrikaner verpflichtest, musst du dich auch um sie kümmern. Ich wollte ja schliesslich auch was von denen. Deshalb habe ich sie wie meine eigenen Kinder behandelt. Es kam auch viel zurück. Shabani ruft noch heute Jahr für Jahr meine Frau an ihrem Geburtstag an.

Damals hiess es gelegentlich, Sie hätten bei den Transfers mitverdient. Stimmt das?
Nein, ich habe nie einen Rappen bekommen. Bevor ich beim FCZ Trainer war, arbeitete ich ja dort schon als Sportchef. Als ich Herbert Waas von Bologna verpflichten wollte, erfuhr ich, dass er 400’000 D-Mark kosten würde. Also reiste ich mit dem Geld per Zug nach Bologna. Der damalige Sportchef sagte mir dann, wir könnten das auch anders machen: 200’000 Franken für ihn, 200’000 Franken für mich und nichts für den Verein. Also fuhr ich mit den 200’000 Franken wieder heim und gab sie artig Hotz zurück. Das Verrückte daran: Später rief ein anderer Bologna-Funktionär Hotz an und fragte ihn, ob er wisse, dass Waas eigentlich nichts gekostet hätte. Was ich damit sagen will: Hätte ich die 200’000 Franken in den eigenen Sack gesteckt, wäre es spätestens da rausgekommen, und ich wäre meinen Job los gewesen.

2000 waren Sie Ihren Trainerjob beim FCZ trotzdem los. Alles fing an mit der Forfait-Niederlage 1999 gegen Xamax.
Das war nachträglich der Knackpunkt meiner Trainerkarriere. Damals durften nur sieben Ausländer auf dem Matchblatt stehen. Doch viele Klubs hielten sich nicht daran, auch wir nicht. Gestört hat das nie jemanden, bis wir bei Xamax 1:1 spielten und damit für die Finalrunde qualifiziert waren. Da schwärzte uns jemand beim Verband an und erzählte denen, wir hätten einen achten Ausländer auf dem Matchblatt gehabt, was ja auch stimmte. Dadurch verloren wir das Spiel nachträglich 0:3 forfait und landeten in der Auf-/Abstiegsrunde. Das war der Anfang vom Ende.

Legendär war dann das tatsächliche Ende, als Sie nach Ihrer Entlassung beim FCZ durchs Fenster Ihres Trainerbüros kletterten. Das Foto davon soll Sie bis heute ärgern.
Ja, das stimmt. Es wurde damals suggeriert, dass ich geflüchtet sei, aber das stimmte nicht. Ich habe immer mal wieder das Büro durch das Fenster verlassen, weil es der kürzeste Weg war.

Wir können leider nicht über alle Trainerjobs danach von Ihnen reden, weil das Interview sonst viel zu lang werden würde. Über zwei Stationen würde ich aber gerne noch kurz mit Ihnen sprechen. Die erste: US Carrarese 2002/03.
Ich dachte, das sei ein Sprungbrett für mich, um zu einem italienischen Grossklub wechseln zu können. Das hat aber nicht funktioniert. Als wir bei einem Spiel zu Hause zurücklagen, flog ein grosser Stein knapp an meinem Kopf vorbei. Ich hätte tot sein können. Da packte ich die Frau und Kinder ein und kehrte Hals über Kopf in die Schweiz zurück.

Die zweite Station: FC Aarau Frauen 2023.
Die Bedingungen waren eine Katastrophe. Ich musste bereits umgezogen zum Training erscheinen, und Licht gab es dort auch keines. Nach drei Monaten zog ich deshalb die Reissleine, weil es so einfach keinen Sinn machte.

Wird es den Trainer Ponte noch einmal geben?
Nein, dieses Kapitel ist zu Ende.

Sie feiern am 4. April Ihren 70. Geburtstag. Wie sieht Ihr Leben heute aus?
Langweilig wird es mir nicht werden. Ich habe drei Enkelkinder, schaue mir viele Fussballspiele an und spiele gerne Tennis. Und ich profitiere davon, dass ich immer seriös gelebt habe. Deshalb habe ich zum Glück kaum gesundheitliche Probleme.

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