Ski-Legende Heini Hemmi
«Plötzlich tauchte das Militär auf, die Maschinenpistolen griffbereit»

Hier verrät Olympiasieger Heini Hemmi (76), weshalb er wegen Bernhard Russi auf dem Militärposten landete. Warum sein Bart auf einmal ein Nachteil war. Und wieso es einst ein Glück war, dass eine Frau plötzlich einschlief.
Publiziert: 21.01.2025 um 12:02 Uhr
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Aktualisiert: 21.01.2025 um 14:09 Uhr
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Im Interview spricht Heini Hemmi über die guten alten Zeiten.
Foto: STEFAN BOHRER
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Daniel LeuStv. Sportchef

Herr Hemmi, Ski-Legende Bernhard Russi erzählte kürzlich im Blick-Podcast Après-Ski eine spannende Geschichte: 1977 sollen Sie in Spanien im Knast gelandet sein.
Heini Hemmi: Ach, der Bernhard, da hat er etwas durcheinandergebracht.

Was war damals wirklich los?
Bernhard sprach bei euch von einer ausschweifenden Party, die Realität war aber nüchterner. Wir waren beim Weltcup-Finale in der Sierra Nevada kurz im Ausgang und danach auf einer öffentlichen Toilette, in der jemand eine Schüssel zerstört hatte. Deshalb tauchte dort dann tatsächlich die Polizei auf und befragte uns. Mehr war da aber definitiv nicht.

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Sie haben nun die Gelegenheit, sich bei Russi zu revanchieren. Was können Sie uns «Kriminelles» über ihn erzählen?
Spontan fällt mir nichts ein. Vielleicht kommt mir aber später noch etwas in den Sinn.

Dann lassen Sie uns zuerst einmal bei Ihnen bleiben. Wie wurde aus Ihnen ein erfolgreicher Skirennfahrer?
Mein Vater besass ein Baugeschäft. Im Winter arbeitete er jeweils als Skilehrer und nahm mich gelegentlich mit auf die Piste.

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Damals waren die beiden Läufe nebeneinander ausgesteckt, doch das Ziel war das gleiche. In der Mitte der Ziellinie stand einfach ein Laubbaum.
Olympiasieger Heini Hemmi
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Waren Sie von Beginn an schnell?
Einmal pro Jahr gab es in unserem Skiclub Parpan ein Rennen. Dort war ich regelmässig vorne dabei. Da mein Vater aber jeweils Zeitnehmer war, hiess es oft, er hätte bei mir absichtlich ein bisschen zu früh die Stoppuhr gedrückt. Danach ging es Schritt für Schritt nach oben.

1970 ging Ihr Stern im Wengen-Slalom dann so richtig auf.
Damals waren die beiden Läufe nebeneinander ausgesteckt, doch das Ziel war das gleiche. In der Mitte der Ziellinie stand einfach ein Laubbaum. Da ich die hohe Startnummer 85 hatte, war der zweite Lauf schon gestartet, als ich noch meinen ersten absolvieren musste. Ich wurde damals sensationell Fünfter.

Zwei Jahre später schafften Sie es aber trotzdem nicht an die Olympischen Spiele von Sapporo.
Vor dem Adelboden-Riesenslalom, der damals wegen zu wenig Schnee nicht auf dem Chuenisbärgli, sondern auf der Tschentenalp stattfand, kämpften noch drei Schweizer um einen Startplatz: Werner Mattle, Hans Zingre und ich. Es war neblig, und ich hatte eine frühe Startnummer. Als später Werner dran war, schien die Sonne. Er gewann schliesslich das Rennen und durfte nach Sapporo.

Das ist Heini Hemmi

Olympiasieger und Weltmeister 1976, Sieger in der Riesenslalom-
Gesamtwertung 1977, Schweizer Sportler des Jahres 1976: Der Bündner hat eine beachtliche Karriere hingelegt. Später gründete er die Firma Heval, die sich um die Sicherheit im Skisport kümmert. Diese verkaufte er 2007 an Michi Bont. Die Firma Hemmi Wildlachs, die edlen Alaska-Lachs verkauft, gehört seit 2020 seinem jüngeren Sohn Gianin, doch Heini hilft noch gelegentlich mit. Im Winter ist er noch immer auf den Ski unterwegs, aber nicht mehr mit 2,13 Meter langen Latten wie früher, sondern auf 1,67 Meter kurzen Carving-Ski.

Olympiasieger und Weltmeister 1976, Sieger in der Riesenslalom-
Gesamtwertung 1977, Schweizer Sportler des Jahres 1976: Der Bündner hat eine beachtliche Karriere hingelegt. Später gründete er die Firma Heval, die sich um die Sicherheit im Skisport kümmert. Diese verkaufte er 2007 an Michi Bont. Die Firma Hemmi Wildlachs, die edlen Alaska-Lachs verkauft, gehört seit 2020 seinem jüngeren Sohn Gianin, doch Heini hilft noch gelegentlich mit. Im Winter ist er noch immer auf den Ski unterwegs, aber nicht mehr mit 2,13 Meter langen Latten wie früher, sondern auf 1,67 Meter kurzen Carving-Ski.

Der Legende nach sollen Sie bei jenem Rennen entschieden haben: Jetzt lasse ich mir einen Bart, Ihr späteres Markenzeichen, wachsen.
Das stimmt. Seitdem trage ich einen Bart, aber warum ich das damals so entschieden hatte, weiss ich heute nicht mehr.

In den Jahren danach bekamen Sie den Spitznamen Heini Sturzenegger verpasst.
Ich war im Training und in den ersten Läufen oft gut, doch in den zweiten Durchgängen habe ich regelmässig einen Bock geschossen. Das hatte sich immer mehr tief in mein Hirn eingebrannt und wurde zur Last.

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Walti Tresch wachte auf, machte Licht und entdeckte mich auf den Knien unter dem Tisch. Als er mich fragte, was ich hier mache, antwortete ich ihm: «Ich suche die FIS-Punkte, finde sie aber nirgends.»
Olympiasieger Heini Hemmi
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Wie gingen Sie damit um?
Irgendwann sagte mir der Präsident vom Skiclub Parpan, ich solle doch zu einer Psychiaterin gehen. Das war damals noch sehr unüblich. Trotzdem ging ich hin. Ich musste dort im Sandkasten diverse Situationen darstellen. An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an eine Episode in Schweden, die zeigt, wie sehr mich das alles damals beschäftigt hatte.

Erzählen Sie.
Entscheidend für die Startreihenfolge waren die FIS-Punkte. Als wir in Are waren, hatten wir eine Wohnung mit einer grossen Stube, in der es auch Betten hatte. Einmal gab es offenbar in der Nacht einen Riesenlärm. Walti Tresch wachte auf, machte Licht und entdeckte mich auf den Knien unter dem Tisch. Als er mich fragte, was ich hier mache, antwortete ich ihm: «Ich suche die FIS-Punkte, finde sie aber nirgends.»

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Das 332-seitige Hardcover-Buch «Wir waren Helden» ist ab sofort im Fachhandel erhältlich. Darin enthalten sind 30 Interviews mit Schweizer Sport-Legenden – von Jörg Abderhalden bis Beat Breu, von Denise Biellmann bis Ariella Kaeslin. Das Buch kostet 39 Franken, ISBN-Nummer 978-3-03875-567-8. Zu bestellen unter beobachter.ch/shop.

Das 332-seitige Hardcover-Buch «Wir waren Helden» ist ab sofort im Fachhandel erhältlich. Darin enthalten sind 30 Interviews mit Schweizer Sport-Legenden – von Jörg Abderhalden bis Beat Breu, von Denise Biellmann bis Ariella Kaeslin. Das Buch kostet 39 Franken, ISBN-Nummer 978-3-03875-567-8. Zu bestellen unter beobachter.ch/shop.

Vor den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck waren Sie aber plötzlich voller Selbstbewusstsein. Sie sollen damals gar den Druck Ihrer Autogrammkarten gestoppt haben, «weil nach Innsbruck auf der Rückseite noch etwas bedruckt werden muss».
(Lacht.) Habe ich das wirklich so gesagt? Ich kann mich auch noch an ein Fotoshooting in Fiesch erinnern. Wir posierten in einer Gondel, die Abfahrer auf dem Dach der Gondel und wir Techniker in der Gondel. Da sagte ich: «Wartet bis Innsbruck, dann wird alles anders sein. Dann sind wir Techniker oben.»

Woher kam dieses neue Selbstvertrauen?
Das letzte Weltcuprennen vor Innsbruck fand in Zwiesel statt. Dort fuhr ich im zweiten Durchgang Laufbestzeit. Das löste einen Knopf in mir, weil ich spätestens da wusste, dass ich auch im zweiten Lauf stark fahren kann.

Der Olympia-Riesenslalom fand damals an zwei Tagen auf zwei verschiedenen Hängen statt. Wie schwierig war die Nacht dazwischen?
Nach dem ersten Lauf lag ich auf Platz 3. Der Teamarzt gab uns damals Schlaftabletten, doch ich nahm keine davon. Das hätte ja keinen Sinn gemacht, weil ich am Start explodieren wollte. Damals war die Luft in Innsbruck sehr trocken, und wir hatten alle Probleme mit dem Hals, deshalb legten wir uns Schnapswickel um. Doch der Enzian hat so gestunken, dass wir die Wickel kurze Zeit später wieder abgemacht haben, denn so hätte man nie im Leben schlafen können.

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Was danach abging, war unglaublich. Innerhalb einer Woche erhielt ich 5000 Fan-Briefe.
Olympiasieger Heini Hemmi
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Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren zweiten Lauf, der Sie zum Olympiasieger krönte?
Direkt vor mir war Ingemar Stenmark gestartet. Als ich ungefähr in der Mitte des Laufs ankam, hörte ich über die Lautsprecher eines Megafons, dass er offenbar einen rausgelassen hatte. Da dachte ich mir: Alles oder nichts. Ein Plan, der aufging.

Und plötzlich standen Sie im Rampenlicht.
Was danach abging, war unglaublich. Innerhalb einer Woche erhielt ich 5000 Fan-Briefe. Und ich kann mich noch an eine Episode in Innsbruck erinnern. Ich ging danach mit meiner Frau Susi in einem Restaurant etwas essen. Draussen war ein Schild angebracht: «Brigitte Totschnig ist hier nicht erwünscht.» Dies, weil sie im Riesenslalom versagt hatte. Doch meine Frau und ich erhielten drinnen als Einzige die Getränke aus Gläsern mit Goldrand serviert.

Sie sind eher introvertiert. Wie gingen Sie mit Ihrer plötzlichen Popularität um?
Mein Bart war natürlich ein Nachteil, weil mich alle erkannten. Im Sommer nach dem Olympiasieg gab ich schweizweit gegen 70 Autogrammstunden. Damals merkte ich, dass ich etwas brauchte, das mich erdet. So kam ich zum Fischen, was ich bis heute noch gerne ausübe.

Nach Innsbruck fuhren Sie von Erfolg zu Erfolg. Was waren die Highlights?
Da gab es noch einige, zum Beispiel den Sieg im Riesenslalom-Weltcup 1977 oder meinen Triumph in Ebnat-Kappel 1977. Ich siegte vor meinem jüngeren Bruder Christian. Die Menschenmassen damals waren unglaublich. Am Ende soll es 30’000 Zuschauer gehabt haben, darunter meine Eltern, die sonst höchst selten an einem Skirennen waren.

1979 beendeten Sie ein Jahr vor den nächsten Olympischen Spielen Ihre Karriere. Warum?
Ich hatte in den letzten Jahren meiner Karriere immer mal wieder Rückenprobleme, zudem fuhr ich seit 1977 mit der sogenannten B-Lizenz.

Was ist das?
Wer eine B-Lizenz hatte, war Halbprofi und durfte auch für Ski-ferne Marken Werbung machen, gleichzeitig aber nicht mehr an Olympischen Spielen teilnehmen.

Verdienten Sie gutes Geld?
Sehr gutes Geld, ich machte damals Werbung für Ragusa, Rhäzünser und Ski-Unterwäsche.

Ich möchte gegen Ende noch über Ihr Privatleben reden. Auch hier gibt es eine Legende …
Ich weiss, worauf Sie hinauswollen. Wie ich meine Frau Susi kennengelernt habe?

Ja.
Nach einem Ski-Ball in Parpan gingen wir noch zu einem Kollegen nach Hause. Ich hatte damals eine Bekanntschaft dabei. Doch als wir Platten auflegten, schlief sie auf dem Sofa einfach ein. Deshalb fragte ich Susi, die Schwester eines Klubkollegen, ob sie mit mir tanzen wolle. Das war vor 57 Jahren. Seitdem sind wir zusammen.

Sie wollten dann bald einmal eine Familie gründen, doch das klappte nicht.
Wir liessen uns damals untersuchen. Danach teilten sie uns mit, dass wir keine eigenen Kinder kriegen können. Deshalb wollten wir eines adoptieren. In der Schweiz hätte das aber um die sieben Jahre gedauert. Dann erfuhren wir von Freunden, dass es in Brasilien in einem Kloster eine Möglichkeit gäbe, ein Baby zu adoptieren. Wir haben uns dann beworben und bekamen innerhalb von wenigen Monaten die Zusage. Danach flogen wir rüber und kamen mit Martino wieder zurück. Später klappte es dann doch noch mit dem natürlichen Elternwerden, als Gianin zur Welt kam. Mittlerweile haben wir fünf Enkelkinder.

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Als Russi und die anderen in der Nacht zurück zum Hotel kamen, holten sie offenbar alle Fahnen ausser der Schweizer herunter, was wir aber gar nicht mitbekamen, weil wir ja schliefen. Am nächsten Morgen tauchte plötzlich das Militär auf, alle ihre Maschinenpistolen griffbereit.
Olympiasieger Heini Hemmi
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Wir haben vorhin schon mal kurz darüber geredet. Sie sind seit Jahren ein leidenschaftlicher Fischer und sind regelmässig in Alaska. Haben Sie noch nie eine unliebsame Begegnung mit einem Bären gemacht?
Nein, wenn wir in Alaska fischen, sind die Bären oft nur 10 bis 15 Meter von uns entfernt. Wir haben zwar immer einen Pfefferspray dabei, mussten ihn aber noch nie einsetzen. Es ist halt wie bei der Katze und der Maus. Wenn die Maus wegspringt, hat sie keine Chance. So ist es auch bei den Bären, die sind so schnell wie Rennpferde. Deshalb darf man nie wegrennen, wenn man einen Bären sieht, sondern ganz ruhig bleiben.

Letzte Frage: Ist Ihnen mittlerweile eine Geschichte über Bernhard Russi eingefallen?
Ja, Frühling 1971. Damals waren viele Fahrer von einer Bindungsfirma nach Cesme in die Türkei eingeladen worden, darunter auch Bernhard, meine Frau und ich. Wir wohnten in einem grossen Hotelkomplex. Draussen hingen zahlreiche Fahnen. Eines Abends gingen die meisten in den Ausgang, ausser meiner zukünftigen Frau und mir. Als Russi und die anderen in der Nacht zurück zum Hotel kamen, holten sie offenbar alle Fahnen ausser der Schweizer herunter, was wir aber gar nicht mitbekamen, weil wir ja schliefen. Am nächsten Morgen tauchte plötzlich das Militär auf, alle ihre Maschinenpistolen griffbereit.

Und Russi landete im Knast?
Nein, das waren wir und ein anderes Pärchen. Damals galt in der Türkei ja noch das Kriegsrecht. Wir mussten uns alle draussen in einer Reihe aufstellen. Dann pickte das Militär wahllos zwei Pärchen raus, leider auch Susi und mich. Wir wurden danach auf einen Militärposten gebracht. Über den Mittag durften wir zurück ins Hotel. Während wir dort assen, sass uns gegenüber ein Militär mit der Maschinenpistole auf dem Schoss. Danach ging es zurück auf den Posten. Uns hatten zwei Jahre Knast gedroht, doch spätabends wurden wir aus Mangel an Beweisen freigelassen. Erst dann erfuhren wir von Bernhard, was überhaupt passiert war.

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