Fussball-Legende Andy Egli
«Ich war als Spieler oft ein Arschloch»

Er ist einer der grössten Fussballer, den die Schweiz je hatte: Andy Egli. Hier spricht der heute 66-Jährige offen über Diebstähle im Coop, Fahrten unter Alkoholeinfluss, eine Flucht in Nordkorea und seine Krebserkrankung.
Publiziert: 18.08.2024 um 13:51 Uhr
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Aktualisiert: 18.08.2024 um 14:02 Uhr
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Mister GC: Mit den Stadtzürchern wurde Andy Egli je viermal Meister und Cupsieger.
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Daniel LeuStv. Sportchef

Herr Egli, Sie sind der Sohn eines Bähnlers. Wie muss man sich eine solche Kindheit vorstellen?
Andy Egli: Wir sind sehr oft gezügelt. Als Baby lebte ich in Ramsen, dann an der Station Siggenthal, und mit sieben zog unsere Familie ins thurgauische Erlen. Ich fand das aber immer super und habe es genossen, im Bahnhof zu wohnen. In Erlen gab es zwischen den Geleisen und dem Schuppen ein asphaltiertes Gelände. Dort haben wir immer mit Steinen zwei Goals gemacht und dann Fussball gespielt, während die Züge an uns vorbeigefahren sind.

Lassen Sie mich raten: Sie haben lieber Fussball gespielt als Hausaufgaben gemacht.
Genau so war es. Ich kann mich nicht erinnern, regelmässig Hausaufgaben gemacht zu haben. Doch als ich meinem Vater eines Tages sagte, ich würde gerne beim FC Amriswil spielen, meinte er nur: «Wenn du ein gutes Zeugnis hast, darfst du gehen.» Deshalb musste ich mich dann ein bisschen mehr anstrengen.

Träumten Sie schon als Kind von einer Karriere als Profifussballer?
Damals gab es in der Schweiz noch gar keine Profifussballer. Deshalb konnte man auch nicht davon träumen. Ich wollte immer Lokiführer werden. Doch als ich das mal in der Schule dem Lehrer erzählte, lachte dieser nur und meinte: «Wer nichts lernt, der kann auch nicht Lokiführer werden.»

Aber die Fussballspiele haben Sie sich jeweils schon am TV angeschaut?
Wir hatten bis zu den Olympischen Spielen 1972 in Sapporo gar keinen Fernseher. Doch kurz zuvor hatte ich mir das Bein gebrochen, und mir war langweilig. Deshalb kauften mir meine Eltern aus Erbarmen einen TV.

In einem Interview haben Sie mal gesagt: «In meiner Jugend war ich in einer Clique. Eine Disziplin hiess: Wer stiehlt heute das teuerste Objekt aus dem Warenhaus?» Waren Sie gut in dieser Disziplin?
(Lacht.) Ja, ich war darin sehr erfolgreich. Das war vis-à-vis vom Bahnhof Erlen im Coop. Wir haben dort regelmässig Sachen mitgehen lassen, aber meist nur Kleinigkeiten.

Das ist Andy Egli

Der heute 66-Jährige spielte für GC (4-mal Meister, 4-mal Cupsieger), Dortmund, Xamax (1-mal Supercupsieger) und Servette (1-mal Meister). 1990 wurde er zum Schweizer Fussballer des Jahres gewählt. Für die Nati kam er zwischen 1979 und 1994 auf 80 Länderspiele, in denen er acht Tore erzielte. Andy Egli war während seiner Karriere polyvalent einsetzbar. Mal lief er als Verteidiger auf, mal als Stürmer.

Der heute 66-Jährige spielte für GC (4-mal Meister, 4-mal Cupsieger), Dortmund, Xamax (1-mal Supercupsieger) und Servette (1-mal Meister). 1990 wurde er zum Schweizer Fussballer des Jahres gewählt. Für die Nati kam er zwischen 1979 und 1994 auf 80 Länderspiele, in denen er acht Tore erzielte. Andy Egli war während seiner Karriere polyvalent einsetzbar. Mal lief er als Verteidiger auf, mal als Stürmer.

1978 wechselten Sie vom kleinen FC Amriswil zum grossen GC. Wie kamen Sie in der pulsierenden Grossstadt Zürich zurecht?
Ich war damals 20, und weil wir unter Trainer Helmuth Johannsen nur nachmittags trainierten, hatten wir sehr viel Zeit. Deshalb gingen wir abends oft ins Mascotte, weil wir ja am nächsten Tag ausschlafen konnten. Irgendwann wurde es Johannsen zu viel, und er teilte dem GC-Präsidenten Karl Oberholzer mit, der Egli müsse arbeiten. Danach arbeitete ich fortan jeweils morgens bei der BBC.

Was haben Sie damals bei GC verdient?
Als ich für die Vertragsgespräche bei Oberholzer im Büro sass, sagte er mir, er gebe mir pro Monat 300 Franken. Ich dachte mir: Das ist ganz schön wenig. Ich brauchte ja eine Wohnung in Zürich und ein Auto. Deshalb meinte ich, das sei schon nicht viel. Daraufhin sagte er: «Sie haben recht. Ich gebe Ihnen 2000 Franken, aber 1700 Franken davon müssen Sie mit den Prämien, die Sie erhalten, wieder zurückzahlen.»

Haben Sie sich darauf eingelassen?
Ja, und es hat sich rückblickend auch gelohnt, weil ich ja relativ schnell Stammspieler wurde und dementsprechend hoch meine Einsatz- und Siegesprämien waren.

Sie haben mit einem einjährigen Unterbruch insgesamt elf Jahre für GC gespielt. Wer war während dieser Zeit Ihr verrücktester Teamkollege?
Eindeutig Roger Wehrli. Ein extrem loyaler Typ, der mit dir durch alle Wände hindurch geht. Ich wohnte damals in Dübendorf und er in Winterthur. Deshalb sind wir oft nach dem Ausgang zusammen nach Hause gefahren. Heute darf ich es ja zugeben: Wir waren nicht immer nüchtern. Aber etwas darf man bei Wehrli nicht vergessen.

Was?
Es gab keinen, der bessere Flanken schlagen konnte als er. Von meinen 100 Profi-Toren habe ich wahrscheinlich etwa die Hälfte davon dank seinen Flanken erzielt.

Mit GC gewannen Sie vier Meistertitel und wurden viermal Cupsieger. Besonders legendär soll die Cup-Feier 1988 gewesen sein …
Schön, dass Sie mich daran erinnern. Wir spielten den Final gegen den B-Ligisten Schaffhausen. Im Vorfeld ging ich als Captain zum Vorstand und fragte die Herren, was sie bei einem allfälligen Sieg geplant hätten. Da hiess es nur: «Nichts, unterschätzen Sie die bloss nicht.» Deshalb organisierte ich die mögliche Siegesfeier.

Die dann nach dem 2:0-Triumph nicht in Zürich, sondern in Baden stattfand!
Stimmt. Wir fuhren mit dem von mir organisierten Bus ins Café Schief nach Baden, assen dort etwas und feierten danach in Neuenhof in einem Nachtclub. Eine Feier von GC im Aargau – das wurde mir richtig übel genommen, und ich erhielt eine Strafe über 10’000 Franken aufgebrummt. Bezahlt habe ich diese aber nie.

Das alles klingt sehr rebellisch.
Ich war in jener Zeit oft ein Arschloch. Für mich gab es immer nur Schwarz und Weiss.

Warum?
Ich gehörte zur ersten Generation von Profifussballern in der Schweiz. Das war ein unglaubliches Privileg. Und ich war mir immer bewusst, dass man als Fussballer nur eine begrenzte Anzahl von Jahren diesem Beruf nachgehen kann. Deshalb konnte ich es nie dulden, wenn im direkten Umfeld oder im Team schlampig gearbeitet wurde. Darum habe ich als Captain immer sehr viel gefordert und bin oft angeeckt.

Das war auch in der Nati so, wo Sie ein paarmal diszipliniert wurden.
Ich war auch dort gelegentlich der Rädelsführer und hatte die Gabe, diplomatisch zu sein, noch nicht drauf. Doch für mich war jedes Länderspiel das Grösste. Ich wollte immer alles geben, auch für die Nation.

Sie träumten 16 Jahre lang von einem WM-Spiel. Ein Traum, der nicht in Erfüllung ging.
Da muss ich kurz ausholen. Vor der Abreise an die WM 1994 in den USA spielten wir noch in Italien. Roberto Baggio hat mich damals so richtig durch den Kakao gezogen und mir die Grenzen aufgezeigt. Vor dem letzten WM-Gruppenspiel gegen Kolumbien kam Trainer Roy Hodgson dann auf mich zu und sagte, dass ich spielen werde.

Was sagten Sie ihm?
«Nein, ich will das nicht. Dominique Herr ist deutlich besser als ich. Er soll spielen.» Deshalb verzichtete ich freiwillig auf das Angebot, bedankte mich aber bei Roy herzlich für sein Vertrauen und sein Angebot.

Auch nach Ihrer Karriere als Fussballer eckten Sie gelegentlich an. 1995 ordnete der französische Präsident Jacques Chirac Atomtests im Südpazifik an. Als die Schweiz dann in der EM-Quali gegen Schweden spielte, entrollten Alain Sutter und Co. ein Plakat mit der Aufschrift «Stop It Chirac». Sie waren damals mittendrin.
Alain kam eines Tages auf mich zu und weihte mich in die Aktion ein, weil ich Repräsentant der Fussballer-Gewerkschaft Profoot war. Also nahm ich aus dem Hotelzimmer ein Bettlaken, kaufte mir einen Spray und sprayte das heute legendäre Plakat.

1996 liessen Sie als Profoot-Repräsentant ein Plakat drucken, mit dem Slogan: «Die Fussball-Nati hat mehr in den Füssen als der Verband im Kopf.»
Damals gab es im Verband sehr viele «Leugelis». Es wurde einfach nicht professionell gearbeitet. Deren Leistungen waren tatsächlich viel schlechter als die der Nati-Spieler. Das konnte ich nicht ertragen und hat mich richtig hässig gemacht. Ich wollte, dass die Profifussballer mehr Anerkennung erhalten, was damals eben noch nicht der Fall war.

Ebenfalls 1996 sagten Sie auf die Frage, was Sie in zehn Jahren machen werden: «Dann werde ich Trainer bei Bayern München oder einem anderen grossen, europäischen Verein sein.» Stattdessen arbeiteten Sie 2006 in … Südkorea. Was lief schief?
Aus meiner Sicht nicht allzu viel. Nur etwas habe ich falsch gemacht. 2001 erhielt ich von GC ein Angebot, das ich rückblickend betrachtet hätte annehmen sollen. Doch ich hatte damals ein gutes Verhältnis zum Luzern-Präsidenten Albert Koller und blieb deshalb aus Loyalität beim FCL.

Blick-Kubi schrieb einst: «Überall, wo Andy Egli Trainer ist, ist der Misserfolg zu Gast.»
(Lacht laut.) Ich war insgesamt über zehn Jahre Trainer und feierte Erfolge. Ich hielt Aarau in der Super League, stieg mit Thun in die NLB auf, machte einen guten Job in Luzern und war im Ausland tätig. Meine eindrücklichste Trainerstelle war übrigens bei Waldhof Mannheim.

Warum?
Ich kam im November 2001 als neuer Trainer und rettete den Klub vor dem Abstieg aus der 2. Bundesliga. Doch als wir in der neuen Saison die ersten vier Spiele alle jeweils mit einem Tor verloren hatten, musste ich beim VR-Präsidenten antraben. Er meinte nur: «Es tut mir wahnsinnig leid, aber ich muss Sie entlassen, weil die Sponsoren Druck machen.» Dabei hatte er Tränen in den Augen.

Wie reagiert man auf ein solches Gespräch?
Ich bin damals zu einem Maisfeld in der Nähe von Mannheim gefahren und habe ein ganzes Päckli Zigaretten durchgeraucht, obwohl ich eigentlich meistens Nichtraucher war.

Speziell muss wohl auch Ihre Zeit in Nordkorea gewesen sein.
Ich machte damals im Auftrag der Fifa zwei Monate lang Entwicklungshilfe und hatte dauernd einen Bodyguard an meiner Seite. Da mein Hotel in Pjöngjang gleich neben dem Bahnhof war, wollte ich einmal alleine rüberlaufen und mir die nordkoreanischen Züge anschauen. Weit kam ich aber nicht. Der Bodyguard rannte mir nach, holte mich ein und zeigte mit dem Finger zum Hotel rüber.

Lassen Sie uns gegen Ende des Gesprächs noch über die Privatperson Egli reden: Sie sind seit fast 50 Jahren mit Silvana zusammen und haben vier Kinder. Ist es eigentlich Zufall, dass alle Vornamen mit einem R beginnen?
Nein, unser erstes Kind Ramon benannten wir nach dem ehemaligen argentinischen Fussballer Ramon Diaz. 1980 kickte ich mit der Nati gegen ihn und war von ihm beeindruckt. Bei Riana war das mit dem R reiner Zufall, die Namen für unsere beiden jüngeren Töchter Rebecca und Roxana haben wir dann bewusst mit R gesucht.

2015 wurde bei Ihnen Hodenkrebs diagnostiziert. Wie erfuhren Sie davon?
Ich wohne in Bern nahe des Spitals. Auf einmal hatte ich in der Bauchgegend sehr starke Schmerzen. Als es in der zweiten Nacht immer schlimmer wurde, ging ich in den Notfall. Dort kam dann raus, dass ich Hodenkrebs habe.

Kurze Zeit später traten Sie mit einer Glatze als SRF-Fussball-Experte auf. Brauchte das viel Mut?
Nein. Als ich während der Chemo merkte, dass mir die Haare ausfielen, schnitt ich mir eine Glatze. Dann rief ich den SRF-Verantwortlichen an und teilte ihm mit, dass ich an Hodenkrebs erkrankt sei und ich nun einen New Look hätte. Ich fragte ihn, ob das ein Problem sei. Das war es natürlich nicht, und so kam es zu diesem aussergewöhnlichen Auftritt, in dem wir auch offen über das Thema redeten.

2021 teilte Ihnen SRF mit, dass Sie nicht mehr auf den Experten Egli zurückgreifen werden. Wie schmerzhaft war das?
Damals verlor SRF die Rechte für die Europa League an Blue. Deshalb brauchten sie mich nicht mehr.

Wie sieht Ihr Leben heute aus?
Ich habe immer noch viel zu tun. Einmal pro Woche trainiere ich die 3.-Liga-Frauen des FC Breitenrain, hinzu kommen am Wochenende die Spiele. Ausserdem koordiniere ich ja die Nati-Legenden, organisiere deren Spiele. Dann bilde ich immer noch als Instruktor Trainer aus und arbeite Teilzeit in der Agentur von Mario Eggimann. Alles in allem kommen da schon 100 Prozent zusammen. Und nicht zu vergessen: Mittlerweile bin ich schon achtfacher Grossvater.

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