Der Kollaps von Christian Eriksen löste am Samstag weltweit Bestürzung aus. Ein Athlet in der Blütezeit seiner Karriere, regelmässig medizinisch gecheckt und für gesund befunden, kippt während eines Spiels einfach um. Wie kann so etwas passieren? Der Fall Eriksen verlangt nach Antworten, weil er Zeitzeugen so hilflos und verwundbar macht. Und so startete die Aufarbeitung des nur schwer Erklärbaren noch am Samstagabend, nur Minuten nachdem die gute Nachricht publik geworden war, dass sich Eriksen nach minutenlanger Reanimation ansprechbar und stabil in Spitalpflege befinde.
Die Partie in Kopenhagen zwischen Dänemark und Finnland wurde nach zweistündigem Unterbruch noch am Samstagabend zu Ende geführt, sie endete in einer unbedeutenden 0:1-Niederlage des Heimteams. Wie die Uefa mitteilte, sei das Spiel auf Wunsch der Spieler fortgesetzt worden, die sich zuvor via Videoanruf das Okay des 29-Jährigen Eriksen aus dem Spitalbett abgeholt hatten.
Macht es sich die Uefa zu leicht?
Dass sich die Uefa dabei auf die Urteilsfähigkeit von Akteuren verliess, die minutenlang unter grossen Schock gestanden hatten, ist für viele nicht nachvollziehbar. Die dänische Legende Michael Laudrup sagte, in solchen Situationen dürfe der Verband nicht diejenigen entscheiden lassen, die «voller Emotionen sind und nicht die Übersicht haben, wichtige Entscheide zu treffen».
Gemäss Goalie-Legende Peter Schmeichel, dessen Sohn Kasper das dänische Tor hütet, hätten die Uefa den Teams schlicht keinen gangbaren Weg gelassen, als das Spiel noch am Abend fortzusetzen. Es passiere etwas «Schreckliches wie das und die Uefa lässt den Spielern die Wahl, herauszugehen und die letzten 55 Minuten zu Ende zu spielen oder am nächsten Tag um 12.00 Uhr zurückzukehren. Was für eine Option ist das?», sagte Schmeichel gegenüber BBC Radio. Auch der dänische Nationalcoach Kasper Hjulmand kritisierte das Vorgehen der Uefa als falsch und hart.
Wie sehr der Vorfall den Spielern zusetzte, lässt sich am Beispiel des dänischen Captains Simon Kjaer ablesen. Der 32-jährige Verteidiger hatte Eriksen erste Hilfe geleistet und sich um dessen Frau und die geschockten Teamkollegen gekümmert, was ihn für viele zum Held des Abends machte. Nachdem er sein Team zurück auf das Feld geführt hatte, bat er 20 Minuten nach Wiederanpfiff bei Trainer Kasper Hjulmand um die Auswechslung. «Simon war tief betroffen und zweifelte, ob er weitermachen konnte. Er hat es versucht, aber es war nicht möglich», sagte der Coach nach dem Spiel.
Keine News sind keine schlechten News
Spieler und Staff erhalten nun psychologische Hilfe zur Bewältigung des traumatischen Ereignisses, das für Sonntag geplante Training wurde verschoben. Ebenso fanden keine Medienaktivitäten statt. Stattdessen informierte der dänische Verband auf den sozialen Medien über den Stand der Dinge: Man habe mit Eriksen sprechen können und der Mittelfeldspieler habe auch die Teamkollegen gegrüsst. «Er ist stabil und bleibt für eingehende Untersuchungen im Spital», schrieb die Dansk Boldspil-Union (DBU).
In einer am Sonntagnachmittag einberufenen Pressekonferenz sagte Morten Boesen, der Teamarzt des Nationalteams, dass er sich mehrmals mit Eriksen unterhalten habe. Dieser habe sich dabei vor allem um seine Familie und das Team besorgt gezeigt. Zum Vorfall selber sagte Teamarzt Boesen: «Wir haben bislang keine Erklärung, wieso das passiert ist.» Klar ist einzig, dass Eriksen einen Herzstillstand erlitten hat, ansonsten gibt es vorerst nur Mutmassungen.
Vor dem dänischen Verband hatte sich schon Eriksens Arbeitgeber Inter Mailand zu Wort gemeldet, der nach Aussage von Geschäftsführer Beppe Marotta in engem Austausch mit den dänischen Ärzten steht. Über die Gründe für den Zusammenbruch wolle er nicht spekulieren, sagte Marotta. Eriksen sei jedoch nicht am Coronavirus erkrankt und auch nicht geimpft worden. Auch waren gemäss Eriksens früherem Kardiologen, Dr. Sanjay Sharma von der Londoner St. George's University, während seiner Zeit bei Tottenham Hotspur keine medizinischen Checks auffällig. «Seine Tests bis 2019 waren völlig normal, ohne offensichtliche zugrunde liegende Herzfehler.» (SDA)