Warum Peter Handke die Situation des Elfmeters umdrehte und den Tormann zur Person machte, die Angst hatte, bleibt das Geheimnis des österreichischen Nobelpreis-Trägers. Denn es ist natürlich der Schütze, der sich in einem bedeutenden Elfmeterschiessen fast in die Hosen macht. Da kann einer noch so cool sein, noch so viele Tore geschossen haben, Pelé, Messi, Ronaldo oder wie auch immer heissen: Penalty ist eine andere Sportart.
«Eine Sportart, die man nicht trainieren kann», sagt Kubi, der zweiterfolgreichste Torschütze in der Geschichte der Nati hinter Alex Frei. «Man kann Hunderte, Tausende, Zehntausende Elfmeter treten. Wenn man sich im Ernstfall den Ball zurechtlegt, ist das alles völlig egal. Es geht dann nur noch um den Kopf. Man ist in einem Glashaus und hofft, dieses nicht zu zerstören, bis der Ball getreten ist. Wem das gelingt, der hat die höchsten Erfolgsaussichten. Weil man dann die grössten Chancen hat, den initialen Plan durchzuziehen, wie man schiessen will. Wer im letzten Moment aus Angst alles über den Haufen wirft, der scheitert meistens. Wie Ricardo Rodriguez gegen Frankreich. Wie Italiens Jorginho im Final.»
«Die nackte Angst beherrscht dich»
Angst sei ohnehin der Zustand, der den Schützen befällt – und nicht loslässt. «Man ist dann einsam. Total allein. Niemand kann dir dann helfen. Aufmunternde Worte eines Mitspielers erreichen dich nicht mehr. Sie wirken gar störend, weil sie dazu führen können, dass dein Glashaus einstürzt. Es ist die pure und nackte Angst, die dich beherrscht. Eigentlich ein Zustand, den man nicht beschreiben kann.»
Weil es ein bisschen wie sterben ist? Kubi: «Das tönt zwar extrem. Aber es schiessen dir tausend Gedanken durch den Kopf, wenn du zum Ball schreitest und ihn auf den Punkt legst. Diese kreisen um deine Familie, deine Freunde, um deine ersten Schritte als Fussballer. Um grosse Spiele, die du gemacht hast. Um niederschmetternde Niederlagen. Darum, was passiert, wenn du triffst. Und vor allem: Wenn du versagst. Noch nie ist ein Film gedreht worden über einen verwandelten Penalty. Über jenen von Roberto Baggio im WM-Final 1994 sehr wohl. Er läuft jetzt auf Netflix. Wenn man sagt, dass dein Leben kurz vor dem Tod im Zeitraffer an dir vorbeizieht, so passiert das vor einem wichtigen Elfmeter auch. Von daher ist der Vergleich treffend.»
Southgate habe alles vergeigt
Stellt sich die Frage: Was dagegen tun? «Ich habe versucht, mich von positiven Gedanken leiten zu lassen. Davon, wie viele Menschen ich glücklich mache, wenn ich das verdammte Ding ins Tor bringe.» Der Ort sei dabei nicht das Wesentliche. «Klar ist es im Wembley speziell», sagt der Mann, der 1996 im EM-Eröffnungsspiel in London die Führung durch Englands Superstar Alan Shearer ausgeglichen hat und so dafür sorgte, dass das in der Schweiz 1994 entfachte Fussballfieber anhielt. «Aber am Ende des Tages bist du da so einsam, dass es nicht das wichtigste Kriterium ist, wo man den Elfer schiesst.»
Seine sachliche Analyse zum englischen Penaltydebakel? «Gareth Southgate kann es endgültig nicht mit Penaltys. 1996 verschiesst er als Spieler. Und hier versagt er als Trainer. Du darfst niemals zwei Spieler Sekunden vor dem Penaltyschiessen einwechseln. Die sind dann gar nicht drin in dieser Bubble. Haben keine Zeit, sich ein Glashaus zu errichten, das es braucht. Nein, Sancho und Rashford hätten niemals schiessen dürfen. Auch nicht der 19-jährige Teenager Saka. Erst recht nicht, wenn du Typen wie Shaw auf dem Feld hast. Oder Grealish, der gesagt hat, er sei bereit gewesen, zu schiessen.» Nein, Southgate sei da ein totaler Hasardeur gewesen, der für England alles verloren habe.