Blick: Drei verballerte Elfer im EM-Final. Ist England wieder in die alten Muster von vor 2018 zurückgefallen?
Geir Jordet: Bis zur WM vor drei Jahren haben sie alles verloren. Dann haben sie die Sache mit den Penaltyschiessen professionell aufgearbeitet, sie haben Kolumbien besiegt. Wie sie sich diesmal auf die EM vorbereitet haben, weiss ich aber nicht. Eines ist aber klar…
Was meinen Sie?
Für England war es das extremste Penaltyschiessen überhaupt. Noch nie hat ein WM- oder EM-Finalist im eigenen Land ein Penaltyschiessen gehabt. Das schürte noch höhere Erwartungen und erhöhte den Druck. Dazu kommt das belastete Verhältnis aus der Vergangenheit zu den Penaltys. Als Saka zum letzten Schuss antrat, war ich erstaunt, dass er sich überhaupt noch auf den Beinen halten konnte vor lauter Druck. Denn er hatte auch noch das Problem, dass er unbedingt treffen musste. Bei dieser Konstellation geht der Schuss nur in 60 Prozent der Fälle rein.
Nicht gerade ideal, dass es mit Saka ein 19-Jähriger war?
Man könnte meinen, dass das Alter eine Rolle spielt. Denn auch mit Sancho und Rashford haben Junge verschossen. Aber es gibt in der Forschung keine Anzeichen dafür, dass Unter-23-Jährige weniger gut treffen. Die Daten zeigen sogar, dass sie minim häufiger treffen als ältere Spieler.
Sancho und Rashford kamen erst in der 120. Minute rein.
Ja, aber die Forschung zeigt, dass Eingewechselte nicht schlechter treffen.
Auch, wenn sie nur fürs Schiessen aufs Feld kommen?
Eine gute Frage. Diese extrem späten Einwechslungen waren ein Risiko, das der Trainer in Kauf nahm, um seine besten Schützen auf dem Feld zu haben. Doch es hat den Druck für die beiden nochmals erhöht, im Penaltyschiessen abzuliefern. Und noch etwas…
Was?
Sancho und Rashford haben an dieser EM nicht oft gespielt, ein weiterer Risikofaktor. Es ist bei den Engländern an diesem Abend sehr vieles zusammengekommen.
Verschiesst nicht fast zwangsläufig, wer wie die drei Engländer nur tänzelnde Schritte als Anlauf nimmt?
Die Schussart spielt eine untergeordnete Rolle. Der Spieler muss sich einfach mit seinem Stil wohl fühlen. Den perfekten Penalty zu definieren, ist schwierig. Natürlich ist hoch und scharf wie bei Maguire perfekt, wenn er aufs Tor kommt. Aber auch Jorginhos Elfer im Halbfinal war perfekt. Im Final hat er es wieder so probiert, doch diesmal war er nicht mehr perfekt.
Was sagt die Forschung zum Jubel nach verwandelten Penaltys? Die Italiener schienen deutlich emotionaler zu sein.
Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass ausgiebiger Jubel die Mitspieler stärkt und dem Gegner Energie raubt. Ich habe vom Sonntag noch zu wenige Bilder gesehen, um es zu bestätigen. Aber wenn die Italiener wirklich stärker gejubelt haben, kann das ebenfalls ein Faktor für die englische Niederlage gewesen sein.
Apropos Niederlage. Die Schweiz ist in ihrem zweiten Penaltyschiessen ausgeschieden, die Spanier in ihrem zweiten gegen Italien. Die Azzurri haben hingegen zwei Shootouts gewonnen. Was sagt die Forschung dazu?
Wenn du weisst, dass der Gegner schon ein Penaltyschiessen analysieren konnte, musst du das bei deiner Vorbereitung einfach berücksichtigen. Die Schweiz war diesbezüglich interessant. Einige haben wieder gleich geschossen, andere nicht. Fabian Schär war besonders interessant.
Warum?
Wir haben an der EM bei den Schützen die Zeit zwischen Schiri-Pfiff und Schuss gemessen. Bei denen, die verwandelt haben, waren es im Schnitt 2,5 Sekunden. Aber nur 0,9 Sekunden bei den Fehlschützen. Schär war mit unter 0,5 Sekunden der schnellste Torschütze überhaupt. Doch als er gegen Spanien wieder so schnell schoss, hat er verschossen.