Es war einmal Österreich, die kleine Fussballnation. Mit der Gegenwart hat das längst nichts mehr zu tun. Zwar hat der Fussball im Alpenland noch lange nicht die Popularität des Skisports – und wird sie wohl auch nie haben. Trotzdem steigt seine Bedeutung kontinuierlich. Eine Folge des Erfolgs. Vor 30 Jahren war unser östliches Nachbarland noch die Nummer 50 in der Fifa-Weltrangliste. Inzwischen bewegt es sich in deutlich höheren Gefilden.
Das ist auch der Verdienst von Ralf Rangnick (65), der kürzlich ein Angebot von Bayern München ausschlug und sich daraufhin zu Österreich bekannte: «Ich bin hier mit vollem Herzen Trainer.» Unter ihm befindet sich die österreichische Nationalmannschaft in einem absoluten Höhenflug. Seit November 2022 hat sie aus 15 Partien nur ein einziges Mal verloren. Das war gegen Belgien (2:3) in der EM-Qualifikation. Ansonsten gab es 2 Unentschieden und 12 (!) Siege.
Österreichs Fussball begeistert die Massen
Gegen die Schweiz winkt der siebte Sieg in Folge. Das wäre Rekord. «Klar, werden wir versuchen, das Spiel zu gewinnen und die Serie auszubauen. Es würde das Selbstvertrauen stärken. Der Rekord allein ist aber nicht wichtig. Wichtig wirds nächste Woche, wenn es gegen Frankreich an der EM losgeht», erklärt Rangnick am Tag vor dem Testspiel gegen die Schweiz an der Pressekonferenz.
An der EM ist Österreich neben den Franzosen auch noch mit Holland und Polen in der Gruppe. Ein Weiterkommen ist im Bereich des Möglichen. Zumal die Rot-Weiss-Roten unter Rangnick einen begeisternden Fussball, mit einem hohen und mutigen Pressing an den Tag legen und über eine funktionierende Tormaschinerie verfügen. Pro 90 Minuten schiessen sie im Schnitt fast zwei Tore.
Die zwei offenen Fragen
Es scheint alles zu passen. Gäbe es da nicht zwei grosse Fragezeichen.
Die erste Frage betrifft die lange Verletztenliste, die ausserdem noch aus hochkarätigen Namen besteht: Mit David Alaba (31), Xaver Schlager (26), Sasa Kalajdzic (26) und Alexander Schlager (28) fallen gleich vier potenzielle Stammspieler für das Turnier aus. Die ersten drei wegen eines Kreuzbandrisses, der vierte wegen einer Meniskusverletzung. Wie schwer wiegen die Ausfälle und schafft es Rangnick, sie über das Kollektiv vergessen zu machen?
Die zweite Frage betrifft die Mentalität. Die souveräne EM-Qualifikation sowie die hohe Qualität des Kaders haben in Österreich die Erwartungen der Bevölkerung nach oben geschraubt. Viele rechnen mit dem erfolgreichsten EM-Turnier der österreichischen Geschichte. Bisher war ein Viertelfinal an der EM 1960 in Frankreich das höchste der Gefühle. Der Hunger nach Erfolg ist dementsprechend gross. Doch wie wirkt sich diese hohe Erwartungshaltung im Team aus? Beflügelnd oder hemmend?
Leicht bessere Statistik für Österreich
Bevor es schlüssige Antworten darauf gibt, kommen die Österreicher am Samstag nach St. Gallen. Für beide Teams ist es so kurz vor der EM ein wichtiger Gradmesser. «Es wird ein Duell auf Augenhöhe», sagt Dortmund-Star Marcel Sabitzer (30).
42-mal gab es diese Begegnung schon. Österreich hat dabei die leicht bessere Statistik. Doch nur, weil das Team bis zur WM 1954 öfter gewonnen hat. In der Zeit danach spricht die Statistik klar für die Schweiz. Allein in diesem Jahrtausend jubelte die Nati in fünf von sechs Spielen.
Unentschieden gab es zwischen den beiden Nationen dagegen nur fünf Mal. Ob am Samstagabend das sechste folgt? «Wäre ich abergläubisch, würde ich für Rangnick hoffen, dass es ein Remis gibt», sagt Fussballlegende Herbert Prohaska (68) zu Blick. Der Grund? «Als wir damals im März 1999 gegen euch in St. Gallen siegten, verloren wir kurz darauf in Spanien 0:9 und ich war meinen Job als Trainer los.»