Der Turm
Wer die Aussicht vom Stuttgarter Fernsehturm geniessen möchte, muss normalerweise 10,50 Euro bezahlen. Doch während der EM ist das auch gratis möglich. Dank SRF. Moderator Rainer Maria Salzgeber und Experte Benjamin Huggel berichten von hoch oben über alles, was unsere Nati betrifft. Als TV-Konsument denkt man sich beim ersten Mal: wow! Beim fünften Mal aber bereits: mau! Ja, das Mini-Studio ist dank der Aussicht einzigartig, doch die weissen Stühle und der weisse Tisch lassen das Ganze dann doch sehr steril wirken. Fussball-Atmosphäre? Fehlanzeige.
Die Sache mit den Turnschuhen
Nicht nur bei SRF, sondern auch bei den Deutschen und den Österreichern: Man hat das Gefühl, dass man derzeit als TV-Experte unbedingt weisse Schuhe tragen muss. Dieser Dresscode scheint offenbar wichtiger zu sein, als was man als Experte sagt. Unser Wunsch: Lieber mehr weise Worte als weisse Turnschuhe.
Das Hauptproblem
Ein Grossteil der SRF-Sendungen wird aus dem Standard-Studio in Zürich-Leutschenbach ausgestrahlt. Das Problem dabei: Dieses Dekor kennen wir schon zu Genüge und gefühlt seit Jahrzehnten. Deshalb kommt die EM 2024 auf den ersten (und leider oft auch auf den zweiten) Blick nicht frisch und anders rüber, sondern wie ein x-beliebiger Super-League-Match oder das Sportpanorama. Gleiche Moderatoren (die man mögen kann oder nicht), gleiche Experten (die man mögen kann oder nicht) und gleicher Look (den man mögen kann oder nicht) – Kreativität sieht anders aus.
VAR’s gut? Ja!
Sven Ivanic ist Stand-Up-Comedian, Jurist und während der EM SRF-Kreativkopf. In seinem bewährten Format «Das VAR’s» erzählt der selbst ernannte SRF-Videoschiedsrichter in horrendem Tempo, was ihm aufgefallen ist. Und schickt es durch den VAR-Check. Das ist wohltuend anders, unterhaltsam und erinnert wegen seiner Geschwindigkeit fast ein bisschen an Dr. Klöti, eine Kult-Figur von Viktor Giacobbo.
Ein Podcast im TV? Schwierig
Das zweite zusätzliche SRF-Format ist während dieser EM der bewährte Fussball-Talk «Sykora Gisler». In erster Linie ein unterhaltsamer Podcast, der aber während der EM auch regelmässig im Fernsehen zu sehen ist. Das Problem dabei: Im TV – Achtung, geniale und völlig neue Erkenntnis – ist in erster Linie das Bild wichtig und das ist bei «Sykora Gisler» nun mal so mässig spannend. Zwei Männer und ein Gast sitzen in einem dunklen Raum, und damit es dann doch noch ein bisschen nach Fussball aussieht, liegt ein Schweizer Nati-Trikot zusammengeknüllt auf dem Tisch. Das wars. Dass ein Fussball-Format aber auch Ambiente haben kann, beweist das EM-Kneipen-Quiz der ARD.
Ein Blick nach Deutschland
Ja, wir wissen, was SRF jetzt sagen würde: Dass sie als Staatssender behutsam mit den Gebühren umgehen und sie deshalb, um die Produktionskosten niedrig zu halten, auf Firlefanz verzichten. Doch auch ARD und ZDF sind gebührenfinanziert, und was diese bieten, ist halt schon besser. Das kongeniale ARD-Duo Esther Sedlaczek und Bastian Schweinsteiger, die unterhaltsamen ZDF-Experten Christoph Kramer und Per Mertesacker in einer tollen Location (Zollernhof in Berlin-Mitte) – all das macht Spass. Man spürt beim Zuschauen von der ersten Minute an, dass eine EM eben doch etwas Besonderes ist.
Die Kommentatoren
Wenn wir schon bei ARD und ZDF sind: Bei vielen Partien stellen die Deutschen dem Kommentator einen ehemaligen Fussballer als Co-Kommentator zur Seite. Das wertet das Ganze auf. Ein Schachzug, auf den SRF gänzlich verzichtet. Formulieren wir es mal diplomatisch: Dem einen oder anderen SRF-Kommentator würde ein Experte an seiner Sicht zumindest nicht schaden.
Die Lichtblicke
Hand aufs Herz: Weisst du, wer am Samstagabend Rumänien–Belgien kommentiert hat? Oder wer als Moderator durch den Spieltag geführt hat? Wohl kaum, weil es bei SRF eben viele glattgebügelte, biedere und dadurch tendenziell auch langweilige Gesichter und Stimmen hat. Doch es gibt ein paar löbliche Ausnahmen: Nati-Kommentator Sascha Ruefer (ja, er hat auch Nervpotenzial), Jeff Baltermia (ja, er hat auch Nervpotenzial) und Calvin Stettler (ja, er hat auch Nervpotenzial).
Das Fazit
Wer das Turnier auf SRF verfolgt, der wähnt sich oft nicht an der Fussball-EM 2024, sondern an der Fussball-EM 0815. Die Pflicht, die wird artig erfüllt, die Kür aber nicht. Das Argument, man müsse halt behutsam mit seinen Finanzen umgehen, ist nicht stichhaltig. Denn kreative und originelle Ideen und deren Umsetzung müssen nicht unbedingt teuer sein. Wenn man diese aber erst gar nicht hat, dann kann man sie auch nicht umsetzen.