Mein Chef? Nervt manchmal. Find ich ihn trotzdem gut? Ja. Meine Mutter? Nervt manchmal. Find ich sie trotzdem gut? Ja. Genau so ist es auch mit Sascha Ruefer. Nervt er manchmal? Ja. Find ich ihn trotzdem gut? Ja.
Doch diese Meinung scheint derzeit kaum mehrheitsfähig zu sein. Mitte-Präsident Gerhard Pfister forderte in diesen Tagen von SRF mit den Worten «Seine Gebrüll-Performance motiviert zur Fahnenflucht zu ARD/ZDF oder ORF», ihn auf die Ersatzbank zu verbannen. Und der SFV versuchte gemäss CH Media gar, ihn aus dem Amt zu hebeln.
Dass Ruefer, der Mann vom Leutschenbach, dem Gegenwind ausgesetzt ist, liegt in der Natur der Sache. Sportkommentatoren sind für uns wie Familienmitglieder. Sie begleiten uns durch unser Fussballleben. Bei Ruefer ist das nun bei der Nati seit 2008 der Fall.
Er war in meiner Stube, als Shaqiri an der EM 2016 gegen Polen spektakulär per Seitfallzieher traf. Er zerschrie mein Wohnzimmer, als die Schweiz an der EM 2021 im Spiel gegen Frankreich ihr eigenes Sommermärchen schrieb. Und er liess mich vom Sofa hochschnellen, als er diesen Mittwochabend Shaqs Traumtor mit einem langen und lauten «Shaaaaaaaqqiiiiiiriiiiii» abfeierte.
Retourkutsche gegen Pfister
Natürlich, in diesen 16 Jahren fand auch ich nicht immer alles toll an Ruefer. Trotzdem ist er für mich der Beste, denn im Gegensatz zu seinen SRF-«Gschpänlis» hat er Charisma. Er polarisiert. Er eckt an. Er schiesst mit seinen Sprüchen und Ansichten mal übers Ziel hinaus. Er hat eine klare, pointierte Meinung, auch wenn diese nicht immer richtig zu sein scheint. Er reagiert auf Kritik auch mal dünnhäutig und kontert wie während des Schottland-Spiels, als er sich eine Spitze gegen Pfister nicht verkneifen kann: «Wir sind mal wieder emotional unterwegs. Im Grossraum Zug möge man mir das verzeihen.» Mit anderen Worten: Er ist der Granit Xhaka des Schweizer Fernsehens.
Doch genug der Lobhudelei. Jetzt kommt der unangenehmere Teil für Ruefer. Er ist beim SRF auch der Beste, weil die anderen zu schwach sind. Zu langweilig. Zu fad. Zu spröd. Zu öd. Zu durchschnittlich. Zu glattgebügelt. Zu normiert.
Thurnheer hatte etwas, was Ruefer wohl nie haben wird
Nur etwas wird Ruefer nicht mehr gelingen: Aus ihm wird nie ein «Sascha national» werden, denn um es auf eine Stufe mit «Beni national» zu schaffen, fehlt ihm dann doch der Charme seines Vorgängers Thurnheer.
Trotzdem werde ich im Gegensatz zu Pfister und Co. auch in den nächsten Wochen bei Schweizer Spielen nicht zu ARD und ZDF flüchten. Und auch nach der Partie gegen Deutschland am Sonntag wird meine Meinung die gleiche bleiben: Nervt Ruefer manchmal? Ja. Find ich ihn trotzdem gut? Ja.