Jetzt spricht FCSG-Präsident Hüppi
«Ich werde den ganzen Fanmarsch mitmachen»

Wo Matthias Hüppi 1969 den bislang einzigen Cupsieg der Espen feierte, woran er extrem zu knabbern hatte und wie er ein 16-jähriges Mädchen glücklich machte.
Publiziert: 15.05.2022 um 00:56 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2022 um 14:41 Uhr
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Hat nach einer Top-Rückrunde gut lachen: Matthias Hüppi.
Foto: Sven Thomann
Interview: Felix Bingesser und Stefan Kreis

Matthias Hüppi sitzt in der Loge Nummer 7 im Kybunpark. «Sämtliche Logen sind verkauft. In allen Bereichen gehts aufwärts. Im Sponsoring, bei den Matcheinnahmen, bei den Saisonkarten, überall», schwärmt Hüppi.

Der FC St. Gallen schwebt nach einem tristen Herbst eine Woche vor dem Cupfinal auf Wolke sieben. An vorderster Front ist Matthias Hüppi. Die Seele des Klubs, der erste Botschafter des Vereins, der Mann mit dem grün-weissen Schal, für den die Führung des FC St. Gallen mehr ist als Mandat oder ein Job. Die Identifikation mit dem Klub, mit der Region und ihren Menschen ist bei jedem Satz spürbar, der Enthusiasmus mit jedem Wort greifbar.

Matthias Hüppi, wo waren Sie am 26. Mai 1969?
Matthias Hüppi:
In der Stube bei meiner Grossmutter in St. Gallen. Wir hatten zu Hause noch keinen Fernseher, und ich durfte als elfjähriger Bub den Cupfinal bei der Grossmutter schauen.

Es ist der bislang einzige Cupsieg des FC St. Gallen. Sind Tränen geflossen?
Das weiss ich nicht mehr. Ausgeflippt bin ich sicher. Ich war in dieser Zeit am Sonntagabend auch meist bei der Grossmutter und habe mir «Sport am Wochenende» angeschaut. Das war immer ein Highlight. Einen Spieler habe ich damals besonders gut gekannt.

Wen?
Den Torhüter Jean-Paul Biaggi. Mein Vater war Rechtsanwalt und hatte mit Biaggi zu tun. Darum war dieser einige Male bei uns zum Mittagessen. Da bin ich dann vor lauter Ehrfurcht mit offenem Mund am Tisch gesessen. Er hat mir jetzt geschrieben, dass es schön wäre, wir würden uns in Bern sehen. Wir haben ihn auch eingeladen. So schliesst sich der Kreis.

St. Gallen hat damals auf dem Weg in den Final gegen Lugano gewonnen und im Final Bellinzona bezwungen. Ein gutes Omen für das Duell mit Lugano?
Dieser Cupfinal ist ein Fifty-fifty-Spiel. Da gibt es keine Omen und keinen Favoriten. Das ist ein Duell auf Augenhöhe, das auf beide Seiten kippen kann.

Sie haben den Cupsieg immer als Ihren Traum bezeichnet. Ist Ihr Traum damals in der Stube der Grossmutter entstanden?
Vielleicht ist da die erste Begeisterung für diesen Wettbewerb geweckt worden. Der Cup ist für einen Klub wie den FC St. Gallen die Chance, einen Titel zu gewinnen. Insbesondere auch für die Spieler. Es gibt sehr viele Profifussballer, die holen in ihrer Karriere nie einen Titel. Der Sonntag ist für jeden Einzelnen eine riesige Chance. Ja, der Cup hat mich immer fasziniert. 1998 bei der unglücklichen Finalniederlage war ich als Fan im Stadion. Und sonst hatte ich das Glück, dass ich als Fernsehkommentator sehr viele Cupfinals begleiten durfte.

Ihr Onkel ist alt Bundesrat Kurt Furgler. Waren Sie mal als TV-Kommentator dabei und Ihr Onkel hat den Pokal überreicht?
Genau kann ich das nicht sagen. Aber es ist sehr gut möglich. Für mich geht jedenfalls ein grosser Wunsch in Erfüllung: dass diese begeisterte Fussballregion jetzt an diesem Ereignis teilhaben kann.

Wie werden Sie den Tag erleben?
Ich werde sicher nicht eine Rede vor der Mannschaft halten und spreche auch nicht von meinem Traum. Ich bin wie immer beim Abschlusstraining dabei. Und möchte dann die ganze Atmosphäre miterleben. Ich werde mit dem Zug anreisen und den ganzen Fanmarsch mitmachen. Ich möchte Teil dieser Gemeinschaft sein und nicht mit der Limousine ins Stadion kutschiert werden.

Kann man aufgrund Ihrer Faszination für diesen K.o.-Wettbewerb auch daraus schliessen, dass Sie für eine Modusänderung der Liga mit Playoffs sind?
Diese Diskussion ist für uns vor dem Cupfinal kein Thema. Wir werden uns intern gut abstimmen und uns als Klub dann für eine gemeinsame Haltung entscheiden und zum geeigneten Zeitpunkt kommunizieren.

Ist die letztjährige Finalniederlage gegen Luzern die bisher grösste Enttäuschung in Ihrer mittlerweile vierjährigen Amtszeit?
An diesem Geister-Cupfinal hatte ich extrem zu knabbern. Es war eine krasse Atmosphäre. Zuschauer gab es keine, und kaum ist jemandem die Maske unter die Nase gerutscht, stand einer da und hat zurechtgewiesen. Die Niederlage als solche ist zu verschmerzen, Luzern war an diesem Tag besser. Aber diese ganze trostlose, sterile Veranstaltung hat aufs Gemüt geschlagen. Darum haben wir schon damals davon gesprochen, dass wir einmal einen solchen Tag mit unseren Fans erleben möchten. Dass es bereits ein Jahr später klappt, ist schon statistisch gesehen alles andere als selbstverständlich. Die Begeisterung in der Ostschweiz ist riesig. In der Stadt sind sogar die Hydranten grün-weiss gestrichen.

Die Menschen sind sechzehn Stunden in der Schlange gestanden für ein Finalticket. Ist das nicht bitter, dass nicht alle mit nach Bern können?
Wir können das nicht ändern, die Kapazität ist begrenzt. Ich habe diesbezüglich viele Reaktionen bekommen. Im einen oder anderen Fall konnten wir noch helfen.

Zum Beispiel?
Ein 16-jähriges Mädchen ist stundenlang angestanden. Und wurde dann von ein paar Rüpeln nach hinten gedrängt und ging schliesslich leer aus. Die Mutter hat mir eine lange Nachricht geschrieben. Am nächsten Tag hatte das Mädchen ein Ticket im Briefkasten. Unser Team arbeitet auch hinter den Kulissen grossartig.

Kann Matthias Hüppi in diesem erfreulichen Frühling ernten, was man in den letzten Jahren gesät hat?
Es geht nicht um mich, es geht um den Klub. Aber zum Ernten ist es zu früh, wir lehnen uns nicht zurück. Wir arbeiten nachhaltig und langfristig. Natürlich haben wir jetzt einen tollen Frühling. Wir haben aber auch im Herbst die Gelassenheit und Ruhe nicht verloren. Und werden jetzt dafür belohnt.

Aber Sie hatten in der Herbst-Krise schon die eine oder andere schlaflose Nacht, oder?
Natürlich, das war eine sehr belastende Situation, da macht man sich viele Gedanken. Wir haben intern Klartext geredet und uns nicht geschont. Aber wir waren nie panisch und haben alles unterlassen, was Schlüssel-Exponenten hätte schwächen können.

Hat der FC St. Gallen derzeit das Kader mit dem grössten Potenzial in der Schweiz?
Wir haben eine junge Mannschaft mit sehr interessanten Spielern. Dazu gehört halt auch, dass der eine oder andere weiterzieht, um den nächsten Schritt zu machen.

Nochmals und mit Blick auf diesen Frühling: Kann man mit diesem Kader in der nächsten Saison um den Titel mitspielen?
Das weiss ich nicht. Wir sind ambitioniert. Und wir tun alles dafür, um diese Mannschaft zusammenzuhalten. Das Team ist voller Erfolgshunger.

In diesem Frühling war man leistungsmässig mindestens auf Augenhöhe mit YB und Basel.
Das möchte ich nicht beurteilen. Ich sehe einfach, dass wir eine tolle Mannschaft haben. Fabian Schubert hat jüngst gesagt: Wir haben eine Mannschaft, in der jeder dem anderen alles gönnen mag. Das ist für mich die Schlüsselbotschaft. Und die kommt von einem Spieler.

Ist das nicht etwas romantisch? Gibt es so was im Fussballbusiness?
Ja. Ich sehe das in der Gestik und an vielen Details. Dieser Teamspirit wird gelebt.

Ist Torhüter Lukas Watkowiak ein Beispiel dafür?
Ja.

Und jetzt muss Zigi im Cupfinal auf die Bank.
Auch er akzeptiert das solidarisch und freut sich für Lukas. Wir stehen gemeinsam hinter jedem Entscheid des Trainerteams und sind auch in dieser Frage konsequent. Lukas ist ein Top-Goalie.

Haben Sie eigentlich in den letzten zwanzig Jahren mit Bernhard Russi und Alain Sutter zusammengezählt mehr gesprochen als mit Ihrer Frau?
In all den Jahrzehnten kamen mit Bernhard und Alain schon sehr viele Stunden zusammen. Mit Bernhard natürlich noch mehr als mit Alain. Von Alain habe ich schon bei der Begleitung der Nationalmannschaft viel gelernt. Uns verbindet ein Konsens, der mittlerweile gar nicht mehr so viele Gespräche benötigt.

Kommt Bernhard Russi an den Cupfinal?
Ich habe ihn eingeladen. Aber er ist in Schottland. Golfen ist mal wieder wichtiger (lacht). Er verfolgt unseren Weg in St. Gallen sehr genau und unterstützt mich. Es kommen aber alle Ex-Präsidenten. Und selbst unser Schwiegersohn, der in Frankreich wohnt, fliegt ein.

Welche Beziehung haben Sie zum FC Lugano?
Ein Traditionsverein, den ich zu Zeiten von Torhüter Mario Prosperi schon verfolgt habe. Im Moment ist der Klub nicht so stark verankert im Tessin wie zu früheren Zeiten und braucht ausländische Investoren. Ich möchte das nicht beurteilen – das ist ihr Weg.

Und Sie haben im Tessin auf einer Alp ja noch Ihr Hochlandrind Fränzi?
Ja. Dieses Projekt hat Bernhard Russi initiiert. Seine Rinder stehen in der Innerschweiz, meins im Tessin. Von ihm kriege ich ab und zu Fotos. Es ist bestens umsorgt, ihm geht es prächtig. Aber meine Zukunft liegt nicht in der Viehzucht.

Sie werden beim FC St. Gallen pensioniert.
Ich bin 64 Jahre alt und habe kürzlich meinen Vertrag verlängert. Es ist nicht davon auszugehen, dass ich noch in ganz neuen Branchen aktiv werde …

Werden Sie nie müde?
Auch ich spüre die Belastung in gewissen Situationen. Der Job ist umfassend und fordernd. Wenn wir ein gutes Spiel machen und trotzdem in Rückstand geraten, dann wirds schwierig, dann muss ich kurz weg, um mich zu sammeln.

Ist es möglich, Fan und Entscheidungsträger gleichzeitig zu sein?
Das gelingt mir, weil ich das Beste für den Verein will. Ich habe eine gewisse Distanz, bin nicht zu Tode betrübt, wenn wir nicht gewinnen. Und ich werde nie laut gegenüber einem Spieler oder dem Trainer. Und ich renne auch nicht hysterisch herum.

Wie bleiben Sie in der Balance?
Ich treibe extrem viel Sport. Ausdauer, Krafttraining, ich bin ein Bewegungsmensch, aber ich kann mich auch sehr gut erholen.

Wo erholen Sie sich?
Zu Hause. Bei Familie und Freunden. Wir haben einen grossen Tisch, eine Kücheninsel, dort können wir bei einer guten Flasche Wein stundenlang verweilen. Das ist mein Ausgleich.

Sie haben vor 22 Jahren, als der FCSG den letzten Titel gewann, die Meisterfeier für das Schweizer Fernsehen moderiert. Ihre Erinnerungen?
Es war ein Sonntag, St. Gallen gewann zwei Tage zuvor und wartete auf das Resultat des Spiels zwischen Servette und Basel. Ein Unentschieden hätte gereicht, um Meister zu werden. In der 88. Minute glich Servette aus, dann ist der Marktplatz übergekocht. Die Mannschaft sass drinnen im Haus, einige waren gar nicht dabei. Aber das Fernsehen hatte das damals so ernst genommen, dass übertragen wurde.

Waren Sie die treibende Kraft?
Das weise ich weit, weit von mir (lacht).

Wie gings weiter?
Es gab eine Riesenfete. Und ich habe aus dem Stand heraus moderiert. Unvergesslich.

Was ist bei einem Cupsieg geplant?
Es wäre vermessen und respektlos, das Festprogramm für eine eventuelle Feier im Voraus zu verschicken. Das haben wir nie gemacht, und ich würde auch nie wollen, dass wir das machen. Jetzt spielen wir das Spiel und sehen dann, wie’s rauskommt.

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