Blick-Fussball-Reporter Alain Kunz erinnert sich an Holland-Ikone Neeskens (†73)
«Immer freitags gabs den türkischen Basar mit Johan»

Johan Neeskens ist tot. Herzinfarkt. Mit erst 73. Blick-Fussball-Reporter Alain Kunz erinnert sich an seine Zeit beim FC Zug mit dem kongenialen Partner von Johan Cruyff.
Publiziert: 11.10.2024 um 20:05 Uhr
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Johan Neeskens war von 1990 bis 1993 Trainer von Erstligist FC Zug.
Foto: Alain Kunz

Auf einen Blick

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Alain KunzReporter Fussball

Er war wahrscheinlich der grösste Fussballer, mit dem ich je zusammengearbeitet habe. Nicht darüber geschrieben, das gilt nicht. Gearbeitet. Und dann kommt dieses Whatsapp eines Kollegen. Ansatzlos. Schmerzvoll wie ein verdeckter Schuss von Johan.

An einem Montag, an dem sich alles um YB und die sich anbahnende Entlassung von Trainer Patrick Rahmen dreht: «Neeskens gestorben in Algerien.»

Johan. Der Grosse! Klar, wir hatten uns aus den Augen verloren. Komplett. Ich wusste nicht mal, ob er seine Villa in Goldau SZ noch besass, die er gekauft hatte, als er sich in der Schweiz niederliess. Laut «Bote der Urschweiz» nicht mehr.

Für den holländischen Fussballverband war der Wahlzuger im Rahmen des Work-Coaches-Programm in Algerien unterwegs. Er habe über Unwohlsein geklagt. Danach hörte sein Herz auf zu schlagen. Johan wurde nur 73.

Ein Diamantenhändler lotste ihn nach Zug

Ob er noch geraucht habe? Ich weiss es nicht. Aber dass er damals, als wir zusammenarbeiteten, «schlotete» wie ein Bürstenbinder, das ist in Stein gemeisselt. Wir rauchten jeweils gemeinsam. Ich allerdings weniger. Viel weniger als der grosse Johan.

Damals, das ist Anfang der 90er-Jahre des vergangenen Jahrtausends. Ein paar Jahre früher lernte er in einem Restaurant in Zürich Marlis von Reding kennen. Eine Baarerin. 1985 wird sie seine zweite Frau. Er lebt damals in New York, spielt mit Pelé bei Cosmos. 1988 kommt das Paar in den Kanton Zug. Johan wird Spielertrainer beim Drittligisten FC Baar. 1990 wechselt er zum FC Zug. Erstligist mit Ambitionen. Ein holländischer Investor kennt den grossen Johan. André van Loggem heisst der. Diamantenhändler in Zug. Seine Firma gibts immer noch.

Der türkische Basar in der Hertiallmend

Er also lotste den grossen Johan nach Zug. Auch da wurde er Spielertrainer. Der ersten Mannschaft, versteht sich. Ich war auch Spielertrainer. Auch beim FC Zug, meinem Jugendklub, dem ich mit Ausnahme von drei Saisons Untreue 50 Jahre lange die Stange hielt. Allerdings trainierte ich, 28-jährig, die zweite Mannschaft. 3. Liga. Talent ist durchaus vorhanden. Ambitionen natürlich auch. Weshalb es jeden Freitag zu einem nebligen Austausch im Stadionrestaurant der Hertiallmend kommt. Zwischen dem Coach der ersten und jenem der zweiten Mannschaft. «Ich kann dir den Michi und den Giova geben. Ich habe aber keinen linken Flügel. Kannst du mir da helfen?»

Klar, tat ich. Wenn der grosse Johan so höflich fragt. Ich musste ja. Und hasste Johan manchmal. Weil er immer nur meine besten Spieler wollte... In diesem türkischen Basar fürs Wochenende konnte ich nur verlieren.

Die erste Liga tat er sich, 39 geworden, als Spieler nicht mehr an. Ganz selten lief er in der zweiten Mannschaft auf. Irgendwo auf einem Nebenplatz. Einmal gar im «Stadion Rot Erde», wie unser Hartplatz hiess. Durchaus respektvoll, denn zerschundene Knie waren garantiert auf diesem roten Todesgranulat.

Ohne Johan 1 hätte es keinen Johan 2 gegeben

Johan war ein Kämpfer. Kein Glänzer, kein Filigrantechniker wie Johan der ganz Grosse. Cruyff. Der Maestro, alles leicht und schweberisch. Der Ballstreichler. Bei «Johan Segundo», wie ihn die Barcelona-Fans tauften, war alles erarbeitet.

Er war der Antreiber, der Balleroberer. Und der perfekte Sekundant. Ohne Johan 2 wäre Johan 1 niemals das geworden, was er wurde. «Ich habe bedingungslos ausgeführt, was er gesagt hat», sagte Neeskens später mal. Sein Markenzeichen seien Härte und Einsatz, weil er zu wenig Technik habe. Gegen Johan zu spielen, tat weh, immer. Auch in der 3. Liga fuhr er den Ellbogen aus und tackelte lustvoll.

Auch mit 40 noch ein gewaltiger Wumms

Und er konnte scharf schiessen! Die Penaltys, die er an der WM 1974 schoss, liessen die Netze erzittern. Vollrist. Unter die Latte. Humorlos. Nervenlos. Einzig im WM-Final spielten sie eine Rolle. Beim Schuss wurde derart viel Staub aufgewirbelt, dass der deutsche Goalie Sepp Maier feststellte: «Der hat in den Boden getreten. Das war eine richtige Staubwolke.» Gefühlte 300 Kilometer pro Stunde.

Physisch ist als 40-Jähriger vieles nicht mehr so wie zwanzig Jahre zuvor. Die Härte des Schusses bleibt länger. Weltmeister wurde der Holländer dennoch nicht. Weder 1974 noch 1978 in Argentinien.

Weltmeister der Herzen aber sehr wohl, vor allem in Barcelona. Unfassbar, was da während des von ihm organisierten Trainingscamps abging, wenn er sich auf der Strasse aufhielt. Alles kam zum Erliegen. Die Leute liessen ihren Wagen mitten auf der Strasse stehen, um sich ein Autogramm von Halbgott Johan Segundo zu ergattern. Unvorstellbar!

Ebenso wie Neeskens’ viel zu früher, plötzlicher Tod mit erst 73. Leb wohl, Johan!

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