Knallhart-Analyse von Gerhard Berger
«Ferrari braucht drei Jahre zurück an die Spitze!»

Der frühere Ferrari-Star und heutige DTM Chef Gerhard Berger analysiert die Krise bei seinem früheren Arbeitgeber. Und er tut das ungeschminkt und mit deutlichen Worten.
Publiziert: 12.09.2020 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 17.09.2020 um 13:16 Uhr
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Ferraristi wohin? Sie wirken ratlos die Crew-Mitglieder um Sebastian Vettel.
Foto: Lukas Gorys
Roger Benoit

Wir kennen uns seit bald 40 Jahren. Gerhard Berger (61) ist längst vom Lausbub zum Familienmenschen gereift. «Heute ist mein freier Tag», sagt der gestresste DTM-Chef. «In zwei Wochen weiss ich, wie oder ob es mit dieser Serie weitergeht. Aber die Kinder lassen doch viele Sorgen vergessen!» Gerhard atmet schwer. Wo ist er gerade? «Auf dem Mountainbike in den Tiroler Bergen! Mit den Kindern.»

Wie erlebt man als früherer Ferrari-Sieger die aktuelle Krise der Roten?
Gerhard Berger: Grundsätzlich muss ich mal sagen. Mein Herz schlägt immer noch für Ferrari. Ich liebe dieses Team. Es war meine schönste Zeit in der Formel 1 und ich sehr wichtig. Ich bin immer noch ein Teil der Familie in Maranello. Und deshalb würde ich Ferrari in dieser schwierigen Zeit lieber unterstützen als kritisieren. Allerdings muss ich sagen, dass momentan alle irgendwo um den Brei herumreden. Was ist da los?

Ja, was ist da los?
Nun, letztes Jahr hat die FIA festgestellt, dass einige Dinge nicht ganz dem Reglement entsprochen haben – und jetzt haben sie das korrigiert. Und sind so etwas wie tot. Aber jetzt muss man sich eben herausarbeiten. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Binotto, der schon bei meinem Auto dabei ist, ein guter Mann ist. Aber man kann nicht allein ein so komplexes Team stemmen.

Sehen Sie jetzt eine schnelle Lösung?
Nein. Bei Mercedes und Red Bull gibt es einige starke Leute auf erster Ebene. Wenn man sich an die glorreichen Ferrari-Zeiten erinnert war das auch so. Da war ein Ross Brawn, ganz oben Jean Todt mit dem Rory Byrne und dem Michael Schumacher. Und Ferrari ist da einfach nicht gut genug aufgestellt.

Hat Teamchef Mattia Binotto Fehler gemacht?
Klar, wir machen doch alle Fehler, wenn man sich auf so einem dünnen Eis wie in der Formel 1 bewegt. Es bringt nichts nach hinten zu schauen.

Wie geht es weiter?
Es ist sicher nicht realistisch, wenn man glaubt, dass man den grossen Rückstand über Nacht aufholen kann. Eine schnelle Lösung ist sicher nicht in Sicht. Jetzt ist harte Knochenarbeit angesagt. Da sehe ich einen Weg von sicher drei Jahren zurück an die Spitze. Und dabei darf Ferrari kein neuer Fehler unterlaufen. Und das ist nicht so einfach.

Nochmals: Ist Binotto der richtige Mann, um die Zukunft in Angriff zu nehmen?
Wie ich schon vorher gesagt habe, er ist ein guter Techniker. Aber es braucht ja einiges mehr. Man muss die Operation managen, die Fahrer, die Politik und das Reglement. Das wusste schon Enzo Ferrari und wenn man sich erinnert, wie sich Jean Todt um alles kümmerte. Da hat Ferrari schon einen Vorteil an die Rennstrecken gebracht.

Vielleicht wären Sie ja der richtige Mann?
Nein, da bringen Sie mich nicht auf dieses Thema (lacht). Ferrari hat manchmal die Tendenz zu sagen, man möchte Weltmeister werden mit einer rein italienischen Mannschaft. Wenn Sie wieder Weltmeister werden sollten, ist es ja sowieso ein italienischer Erfolg. Aber die Mannschaft muss man immer zusammenstellen: Wo gibt es in allen Bereichen den besten Mann auf der Welt? Und das macht Ferrari momentan nicht.

Wo sind diese Leute?
Das ist die Aufgabe von Ferrari. Zu den goldenen Zeiten war Brawn ein Engländer, Todt ein Franzose, Byrne ein Südafrikaner und Schumi ein Deutscher. Das waren die besten Leute – das muss jetzt wieder das Ziel von Ferrari sein. Im eigenen Haus hat man selten die besten Leute. Das ist ein Irrglaube.

Jetzt liegt das Team vorerst am Boden und man muss einen frustrierten Vettel über die Saison mitschleppen. Was kann man Sebastian raten?
Einfach die Augen zu und durch. Er sollte die letzten Rennen mit einem Teamgedanken noch anständig über die Runden bringen und dann das Kapitel abschliessen. Dabei kann er der Welt vor dem Neubeginn bei Aston Martin noch zeigen, dass er mit schwierigen Situationen umgehen kann. Das gilt natürlich auch für Ferrari, das Vettel in diesen Zeiten gut bedienen sollte. Diese Wertschätzung sollte man für solche Profis erwarten können.

Sie sind in zweimal drei Jahren total 96 Mal für Ferrari gefahren und haben fünf Siege herausgefahren...
Ich habe zweimal eine jeweils zweijährige Durststrecke von Ferrari beendet. 1987 in Suzuka und 1994 in Hockenheim. Ich habe auch das letzte und erste Rennen vor und nach Enzos Tod gewonnen. Das wird ewig in der Ferrari-Geschichte verankert sein.

Können Sie sich an alle fünf Siege mit Ferrari erinnern?
Absolut. Und damals hat der Sport mehr Spass gemacht. Die Autos der 80er-Jahre waren schöner, breiter, lärmiger, aerodynamisch weniger sensibler – ich sage immer Männerautos. Es waren einfach die besseren Zeiten. Die 90er-Jahre waren dann wieder anders. Normal eben.

Die 80er-Jahre waren wohl der Höhepunkt des Formel-1-Sportes. Viel Action, weniger Politik...
Richtig. Und ich habe sie erleben dürfen. Bei ATS, Arrows, Benetton und Ferrari. Ja, ich habe sie erlebt und vor allem überlebt. Was zu dieser Zeit auch nicht selbstverständlich war.

Sie hatten ja nicht nur bei Ferrari einige schwere Unfälle. Feuerdrama in Imola – und der Ferrari-Abschied 1995 in Monza war bis am Sonntag der letzte Doppelausfall der Roten beim GP von Italien...
Das war damals der Horror. Mein Teamkollege Alesi führte, ich plante schon den Angriff. Da löste sich die Helmkamera von Jean und zerstörte mir bei Tempo 300 die Vorderachse. 20 Zentimeter höher – und wir würden dieses Interview nicht machen!

Wie würden sie Firmengründer Enzo Ferrari, der im August 1988 starb, beschreiben?
Er war in der Formel 1 sicher die grösste Persönlichkeit, die es je gegeben hat und geben wird.

Reden wir noch kurz über das Thema Teamkollegen.
Ich bin eigentlich immer gut mit dem Fahrer neben mir zurechtgekommen, bin jedem Zoff aus dem Weg gegangen und habe mich auf die Sache konzentriert.

Und Senna war ein Spezialfall?
In mehreren Hinsichten. Das Thema Senna habe ich damals leider unterschätzt. Nach drei Rennen wusste ich, an diesem Mann kommst du nicht vorbei. Ich bin Ayrton noch heute für die Freundschaft dankbar. Er war einfach ein ehrlicher und charmanter Typ. Und viel zu schnell (lacht)...

Warum wird Hamilton bald zum siebten Mal Weltmeister?
Weil er der einzige ist, den man auf die Stufe von Senna stellen kann. Er ist sportlich ein Ausnahmetalent, wie vielleicht nur noch Max Verstappen. Aber was den Charme und das Charisma betrifft wird Senna nie einzuholen sein.

Gerhard Berger persönlich

Gerhard Berger wurde am 27. August 1959 in Wörgl (Tirol) geboren. Neben seiner Rennfahrerkarriere war er auch Transport-Unternehmer und seit 2017 DTM-Chef. Aus seiner Ehe mit Ana (1995 bis 2013) und zwei andern Beziehungen entstanden fünf Kinder. In der Formel 1 fuhr er 210 Rennen. Für ATS, Arrows, Benetton (zweimal), Ferrari (zweimal) und McLaren. Dabei holte er total zehn Siege und stand 48 Mal auf dem Podest. 1988 und 1994 wurde er mit Ferrari zweimal WM-Dritter. Berger lebt nach vielen Jahren in Monte Carlo heute wieder in Söll (Tirol).

Gerhard Berger wurde am 27. August 1959 in Wörgl (Tirol) geboren. Neben seiner Rennfahrerkarriere war er auch Transport-Unternehmer und seit 2017 DTM-Chef. Aus seiner Ehe mit Ana (1995 bis 2013) und zwei andern Beziehungen entstanden fünf Kinder. In der Formel 1 fuhr er 210 Rennen. Für ATS, Arrows, Benetton (zweimal), Ferrari (zweimal) und McLaren. Dabei holte er total zehn Siege und stand 48 Mal auf dem Podest. 1988 und 1994 wurde er mit Ferrari zweimal WM-Dritter. Berger lebt nach vielen Jahren in Monte Carlo heute wieder in Söll (Tirol).

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