Carlos Sainz hatte sich in den letzten zehn Runden als Vierter (mit einst 12 Sekunden Rückstand) immer mehr an den tobenden Dreikampf zwischen Oscar Piastri (McLaren-Mercedes), Charles Leclerc (Ferrari) und dem wieder erwachten Sergio Pérez (Red Bull-Honda) herangesaugt.
Sainz, der Ferrari ja verlassen muss, schnupperte am Podest – und wollte alles. Er griff im DRS-Bereich (weniger als eine Sekunde Rückstand) Pérez an. Dieser hatte plötzlich zwei Probleme: Er wollte den knapp vor ihm liegenden Leclerc angreifen und musste die Attacke von Sainz abwehren. Auf der Geraden kam es zum Crash, als die beiden fast nebeneinanderliegenden Autos den Windschatten suchten und sich dabei berührten und links in die Mauer flogen.
Noch Stunden nach dem Zwischenfall wurde heftig diskutiert – auch bei den FIA-Kommissaren: Wer war schuld oder war es sogar ein Rennunfall? Keine der beiden Parteien wollte sich festlegen. Sainz: «Ich bin einfach froh, dass wir beide gesund sind. Ich glaube, ich hatte am Ende das stärkere Auto. Aber ich weiss nicht, was passiert ist. Da war ein Rennunfall.» Und so sahen es nach zwei Stunden auch die vier FIA-Richter, die beide Piloten angehört haben.
Piastri trickste Leclerc aus
So redet nur einer, der den Schock noch nicht verdaut hat. Für die Gegenpartei ging Pérez-Chef Christian Horner vor die TV-Mikrofone: «Was für eine Enttäuschung für Sergio und uns. Wir hätten gewinnen können. Vielleicht hat Sainz beim Duell ein wenig nach links gezogen. Man muss den Unfall wohl mehrmals anschauen.»
Der Grosskampf auf der 6003 Meter langen Strecke hatte in der 20. von 51 Runden begonnen. Mit einem weltmeisterlichen Überholmanöver von Piastri (22) im McLaren-Mercedes. Er trickste den bis dahin führenden Pole-Mann Leclerc im Ferrari aus, ging eiskalt am Monegassen vorbei. Dieser gab zu: «Damit hatte ich in diesem Moment nicht gerechnet. Dieser Fehler hätte mir nicht passieren dürfen.»
Piastri, in dem viele den neuen Ayrton Senna sehen, blieb nach seinem zweiten Sieg (nach Ungarn) gelassen: «Das war eines meiner besten Rennen. Die grösste Herausforderung ist immer, die Reifen zu schonen. Das ist mir gelungen.» Mit 135 Punkten aus den letzten sieben Rennen ist er der heisseste Fahrer im Feld. Und McLaren kann seine angedrohte Stallorder vor den letzten sieben WM-Läufen (und drei Sprintrennen) vergessen.
McLaren neuer Leader in der Team-WM
Der Australier, von Ex-GP-Sieger Mark Webber gemanagt, hat sich mit jetzt 222 Punkten wieder im Titelrennen zurückgemeldet. Noch führt Verstappen mit 313 Punkten vor Norris (254) und Leclerc (235).
Der dreifache Bullen-Weltmeister («dieses Auto bleibt ein störrischer Esel») erlebte als Fünfter nicht nur eine weitere Niederlage, sondern eine Demütigung seines Freundes Lando Norris. Dieser wurde nach der Quali (gelbe Flaggen missachtet) auf den 15. Startplatz zurückversetzt – Verstappen startete als Sechster. Im Ziel lag Super-Max aber 40 Sekunden hinter Norris (4.). Der Grund: Verstappen konnte sich mit seinem Vorsprung nach hinten einen späten Reifenstopp leisten. Er wollte Norris noch den Extrapunkt für die schnellste Runde stehlen. Der Crash des Jahres mit Millionenschaden verhinderte dies.
Der GP-Zirkus ist jetzt auf dem Weg zum Nachtspektakel am nächsten Sonntag in Singapur. Und seit Baku grüsst McLaren-Mercedes erstmals als neuer Leader in der Team-WM – 476:456. Was im Juni nach dem letzten Verstappen-Sieg in Spanien noch unmöglich schien.