Wladimir Putins Feldzug gegen die Ukraine bringt Tod und Schrecken über die Nachbarn Russlands. Die Sanktionen, die der russische Despot mit dem Überfall auf sein Nachbarland provoziert hat, werden aber auch im eigenen Volk nachhaltigen Schaden anrichten. Experten sind sich sicher: Die russische Wirtschaft wird schwer leiden, wenn Zahlungen nicht mehr so einfach abgewickelt werden, wenn Waren nicht mehr einfach so ins Land gebracht werden, wenn Währungsreserven nicht mehr umgewandelt werden können.
Aber was bringt eigentlich ein Sport-Boykott? Tut es Putin und seinen Schergen wirklich weh, wenn bei Tennisturnieren die russische Flagge nicht mehr eingeblendet wird? Oder wenn bei den Paralympics oder an der Fussball-WM keine russische Mannschaft dabei sein darf?
Der Geheimdienst beweist die Bedeutung des Sports
Ja, das tut es, meint der Fachmann. «Wie hoch die Bedeutung der Reputation durch Medaillen ist, zeigt sich dadurch, dass es ja der russische Geheimdienst war, der das staatliche Dopingprogramm orchestriert hat», sagt Timm Beichelt, Professor für Europa-Studien an der Universität Frankfurt (Oder). «Es sollte darum gehen, russische Überlegenheit zu demonstrieren. Dem russischen Staat wird also durch den Boykott eine wichtige symbolische Bühne genommen.»
Eine Bühne, die der russische Staat gerne zügig zurückhaben möchte: Gegen den Ausschluss ihres Landesverbandes von der Fussball-WM wollen sie vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS ziehen. «Unter dem Druck» der gegnerischen Verbände sei dieser Entscheid getroffen worden, moniert der Fussballverband. Die Polen, im WM-Playoff im Frühjahr als Gegner Russlands vorgesehen, weigern sich, gegen Putins Team anzutreten.
Politik und Verbände – ein Klüngel
Auch gegen den Ausschluss von den Paralympics hat Russlands Sportminister Oleg Matyzin vorzugehen versucht. Dass sich ein Regierungsmitglied einschaltet, ist keine Überraschung – im Gegenteil. «In den russischen Sportverbänden gibt es keine politische Autonomie, wie das etwa in der Schweiz oder in Deutschland der Fall ist», erklärt Beichelt. «Führungsposten in russischen Sportverbänden werden auch als Gegenleistung für politische Loyalität und Unterstützung gewährt. Daher sind es ganz überwiegend Putin-Getreue, die nationale Sportverbände führen oder die Russland in internationalen Sportverbänden vertreten.»
Vorzeigebeispiel in diesem Fall: Witali Mutko. In den 1990er-Jahren Präsident von Gazprom-Klub Zenit St. Petersburg geworden, dann ins Parlament gewählt, parallel Präsident des russischen Fussballverbandes, danach Sportminister. Als das Staatsdoping der Spiele von Sotschi im Jahr 2015 aufflog, musste Mutko seinen Sportminister-Posten räumen. Konsequenzen? Fehlanzeige. Er wurde zum Vize-Premier gemacht.
Warum ein Ausschluss der Russen auch noch fair ist
Trotzdem gibt es Hoffnung, dass auch die Sportfunktionäre etwas ausrichten könnten. «Diese Gruppe ist wohl das Hauptziel des Sport-Boykotts», so Beichelt. «Man versucht, Druck auszuüben und sie vielleicht dazu zu bringen, sich von Putin zu distanzieren. Ausserdem nimmt man dem russischen Staat ein Instrument, um gesellschaftliche Eliten an sich zu binden.»
Davon abgesehen gibt es ein Argument, das den Ausschluss der Russen auf schon fast zynische Weise als fair erscheinen lässt. «In der Ukraine gibt es ja Generalmobilmachung, auch Sportler sind zur Landesverteidigung aufgerufen. Dadurch können sie natürlich keinen Sport mehr treiben. So würde aber nun die Situation entstehen, dass russische Mannschaften an Wettbewerben teilnehmen, an denen ukrainische Mannschaften wegen der russischen Aggression nicht mehr teilnehmen können. Das kann kein Sportverband erlauben, selbst wenn er sich als ‹unpolitisch› sieht.»
Der Effekt von WM und Olympia wird verpuffen
Aber was passiert denn jetzt mit dem Sport in Russland? Kommt es nun zum Kollaps? Vieles deutet darauf hin. Ausländische Fussballer sollten ihre Verträge mit russischen Klubs auflösen können, sagt die internationale Spielervereinigung Fifpro. Millionen-Kicker könnten abwandern. Die KHL, hinter der nordamerikanischen NHL die beste Hockey-Liga der Welt, hat mit Jokerit Helsinki und Dinamo Riga bereits zwei nicht-russische Teams verloren.
Auch die Effekte der Megaevents der letzten Jahre dürften weiter verpuffen. Beichelt: «Russland hat Milliarden in die Ausrichtung von Grossevents wie der Fussball-WM und den Olympischen Spielen gesteckt. Das waren Investitionen, die sich rentieren sollten. Das ist nun um Jahre zurückgeworfen.»