Im siebten Spiel der WM kassiert die Nati gegen Lettland die erste Niederlage (3:4 n.V.). Während der Gastgeber mit dem Messer zwischen den Zähnen um den für den Viertelfinal-Einzug nötigen Punkt kämpft, lässt Nati-Coach Patrick Fischer die NHL-Stürmer Nico Hischier, Nino Niederreiter und Denis Malgin sowie ZSC-Verteidiger Dean Kukan draussen und gibt Biel-Goalie Joren van Pottelberghe das WM-Debüt. Schliesslich hatten sich die Schweizer den Gruppensieg bereits gesichert. So fehlt es zwar nicht am Engagement, aber an der letzten Konsequenz und Konzentration.
Bereits rund sechs Stunden vor dem Spiel wurde klar, mit wem es die Nati im Viertelfinal zu tun bekommt: Deutschland. Schon wieder. Wie vor zwei Jahren, als die Schweizer – auch da wurde in Riga gespielt – 2:0 führten, dann vom Mut verlassen wurden, in letzter Minute den Ausgleich kassierten und im Penaltyschiessen verloren.
Reifeprüfung nicht bestanden
Blick schrieb vor jenem Derby von einer Reifeprüfung. Diese bestand die Nati damals noch nicht. Nun wird sie beweisen müssen, dass sie in den zwei Jahren genug gereift ist und ihr Spiel auch mutig durchziehen kann, wenn sie etwas zu verlieren hat.
Seit jener ernüchternden Pleite hatte die Nati bis gestern in Gruppenspielen nichts mehr anbrennen lassen und vor einem Jahr auch die Deutschen (siehe Box rechts) bezwungen. Doch damals in Helsinki ging es im Nachbarschaftsduell nicht um alles oder nichts, sondern nur noch um den Gruppensieg und Prestige. Zwei Tage später scheiterten die Schweizer im Viertelfinal an den USA (0:3).
«In der ganzen Vergangenheit als Spieler und Coach habe ich mehr gute als schlechte Erinnerungen an die Spiele gegen Deutschland», sagt Fischer. «Vor zwei Jahren haben wir das Spiel aus der Hand gegeben. Das tat weh. Seither sind wir gewachsen und sie auch. Wir haben Respekt für sie. Aber sie wissen auch, dass wir gutes Hockey spielen.»
Deutsche NHL-Power
Wie die Schweizer, die mit Hischier, Kevin Fiala (trifft gestern erstmals) und Niederreiter drei der prominentesten WM-Spieler an Bord haben, können die Deutschen auf Leistungsträger aus der NHL zählen, auch wenn Superstar Leon Draisaitl (Edmonton) und Tim Stützle (Ottawa) sowie Seattle-Goalie Philipp Grubauer fehlen.
Da ist zum einen Verteidiger Moritz Seider. Der 22-Jährige von den Detroit Red Wings spielt mit einer unglaublichen Coolness und Lässigkeit. Er kurbelt das Spiel an. Und wer nicht aufmerksam ist, muss sich nicht wundern, wenn ihn der 1,93 Meter grosse Star mit einem Check auf den Hosenboden befördert.
2021, als er bei Rögle spielte, wurde er zum besten Verteidiger der schwedischen Liga und der WM gewählt. In der Saison darauf erhielt er die Calder Trophy für den besten Neuling der NHL. Dabei hatte noch mancher Experte gestaunt, als Detroit ihn 2019 bereits an sechster Stelle des NHL-Drafts gezogen hatte.
Seider hatte zunächst für die WM angeschlagen abgesagt. Nach einem Monat Pause fühlte er sich dann aber wieder «vollständig gesund» und meldete, dass er «ein bisschen den Rost abkratzen» und wieder in Schwung kommen müsse.
WM 2022, Helsinki, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 4:3 n.P.
Schweizer Tore: 2. Ambühl 1:0. 22. Suter 2:2. 39. Malgin 3:2.
WM 2021, Riga, Viertelfinal
Schweiz – Deutschland 2:3 n.P.
Schweizer Tore: 16. Untersander 1:0. 34. Herzog 2:0.
Olympia 2018, Gangneung, Vor-Viertelfinal
Schweiz – Deutschland 1:2 n.V.
Schweizer Tor: 24. S. Moser 1:1.
WM 2015, Prag, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 1:0
Tor: 53. D. Hollenstein 1:0.
WM 2014, Minsk, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 3:2
Schweizer Tore: 13. Brunner 1:0. 33. D. Hollenstein 2:1. 37. Romy 3:1.
WM 2010, Mannheim, Viertelfinal
Schweiz – Deutschland 0:1
WM 2009, Bern, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 3:2 n.V.
Schweizer Tore: 9. R. Wick 1:1. 24. Seger 2:1. 62. Streit 3:2.
Olympia 2006, Torino, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 2:2
Schweizer Tore: 29. Conne 1:1. 39. DiPietro 2:1.
WM 2002, Jönköping, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 0:3
WM 2001, Köln, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 1:3
Schweizer Tor: 36. Reichert 1:1.
WM 2022, Helsinki, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 4:3 n.P.
Schweizer Tore: 2. Ambühl 1:0. 22. Suter 2:2. 39. Malgin 3:2.
WM 2021, Riga, Viertelfinal
Schweiz – Deutschland 2:3 n.P.
Schweizer Tore: 16. Untersander 1:0. 34. Herzog 2:0.
Olympia 2018, Gangneung, Vor-Viertelfinal
Schweiz – Deutschland 1:2 n.V.
Schweizer Tor: 24. S. Moser 1:1.
WM 2015, Prag, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 1:0
Tor: 53. D. Hollenstein 1:0.
WM 2014, Minsk, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 3:2
Schweizer Tore: 13. Brunner 1:0. 33. D. Hollenstein 2:1. 37. Romy 3:1.
WM 2010, Mannheim, Viertelfinal
Schweiz – Deutschland 0:1
WM 2009, Bern, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 3:2 n.V.
Schweizer Tore: 9. R. Wick 1:1. 24. Seger 2:1. 62. Streit 3:2.
Olympia 2006, Torino, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 2:2
Schweizer Tore: 29. Conne 1:1. 39. DiPietro 2:1.
WM 2002, Jönköping, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 0:3
WM 2001, Köln, Gruppenspiel
Schweiz – Deutschland 1:3
Schweizer Tor: 36. Reichert 1:1.
Neben Seider prägen mit den Stürmern JJ Peterka (Buffalo) und Nico Sturm (San Jose), der letzte mit Colorado den Stanley Cup gewann, zwei weitere NHL-Verstärkungen das Spiel.
Drei unglückliche Niederlagen
Im Gegensatz zu den Schweizern waren es nicht Siege, die das Selbstvertrauen hochschraubten, wie Seider betonte. Es waren vielmehr die drei unglücklichen Niederlagen gegen die Top-Teams Schweden (0:1), Finnland (3:4) und USA (2:3) zum Start. Danach hatten die Deutschen in den Worten Seiders das «Gewehr auf der Brust liegen», weil sie alle Spiele gewinnen mussten. Nach dem Sieg im Schlüsselspiel gegen Dänemark wurden dann trotz Wacklern in der Defensive auch Österreich, Ungarn sowie Frankreich besiegt.
Wie bei den Schweizern, bei denen Anspruch und Zielsetzung nach den WM-Finals von 2013 und 2018 organisch gewachsen ist, peilen auch die Deutschen seit dem Olympia-Silber von 2018, als sie die Nati eliminiert hatten, den grossen Coup an. Der Viertelfinal war das Ziel. Sturm hatte schon vor seiner ersten WM gesagt: «Es darf auch gerne mehr sein, wenn es nach mir geht.» NHL-Spieler verlängern ihre Saison naturgemäss nicht, um dann nur die Gruppenspiele und den Viertelfinal spielen zu wollen. Das ist bei den Deutschen nicht anders als bei den Schweizern.
«Intern haben wir mit der Mannschaft gesagt, dass wir den maximalen Erfolg wollen – egal, wie der aussieht», sagte der deutsch-kanadische Bundestrainer Harold Kreis (64). Der zweifache Schweizer Meister-Trainer (2006 Lugano, 2008 ZSC Lions) war mitten in der Saison ins Amt gerutscht, als sich Toni Söderholm nach Bern abgesetzt hatte.
Bei den Deutschen, die ohnehin selten mit Minderwertigkeitskomplexen ins Rennen gehen, ist das Selbstvertrauen nach vier Siegen in Serie riesig. So sagt Stürmer Marcel Noebels: «Wir haben die Pflichtaufgabe erfüllt. Aber unsere Reise hat erst begonnen. Wir haben sehr gut gespielt und uns von Spiel zu Spiel gesteigert. Heute können wir eine breite Brust haben.» Und er schoss einen Giftpfeil in Richtung Nachbar: «Ich freue mich auf das Spiel und glaube nicht, dass sich die Schweizer auch freuen.»
Es wird sich zeigen, für wen die Reise am Donnerstag endet und wer in Tampere um die Medaillen kämpft.